Eduardo Chadwick und der Aufstieg einer Weinbaunation

Der Don des chilenischen Weins

Text: Harald Scholl, Foto: Sara Matthews, Jorge Guy, Michael Holz, z.V.g.

Es dürfte nur wenige Weinbaunationen geben, in denen der Name eines Winzers so eindeutig für Exzellenz, Qualität und Anerkennung steht, wie es bei Chile und Eduardo Chadwick der Fall ist. Ohne ihn wäre das Land an der südamerikanischen Pazifikküste praktisch unbekannt im internationalen Fine-Wine-Segment. Der Ausgangspunkt für den erstaunlichen Aufstieg des chilenischen Weins war vor 20 Jahren: Berlin!

«Berlin war der Beginn unseres Erfolgs, hier hat es angefangen, dass wir der Welt die Geschichte unserer Weine erzählen konnten. Wir haben hier unsere Weine gegen die besten Cabernet-basierten Weine der Welt gestellt, aus Italien, Frankreich, den USA. Ursprünglich war es nur als eine Masterclass gedacht, aber es wurde zu einem Meilenstein, einem Augenöffner für all die Weinkritiker, die dabei waren. Immerhin sechs der damals wichtigsten Weinjournalisten waren anwesend, das hat natürlich geholfen, die Augen der ganzen Weinwelt zu öffnen!»

Eduardo Chadwicks Augen leuchten noch immer, wenn er vom legendären Tasting am 23. Januar 2004 berichtet. Von jenem Tag, an dem seine Weine renommierte Gewächse aus der halben Weinwelt in einem Tasting auf die Plätze verweisen konnten. Ein Paukenschlag, der klar machte, was für ein Potenzial in den so fernen Weinbergen am Pazifik schlummert. Um zu verstehen, welche Bedeutung dieses Ereignis für den chilenischen Wein und Chadwick bis heute hat, muss man ein wenig in der Geschichte zurückgehen. Zu einer Familiengeschichte, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht. So weit reichen die Wurzeln der Familie. Schon die Vorfahren von Eduardo Chadwick bauten Wein, damals sicher auf einem anderen Level, an – das gehörte auf einem grossen Landbesitz quasi dazu. Aber die Qualität der Weinberge von Viña Errázuriz, dem legendären Weingut der Familie im Aconcagua Valley, liess sich schon damals erahnen. Eduardo wurde von Kindesbeinen an in die Geheimnisse des Weinbaus eingeführt, auch wenn sein Vater sich in erster Linie für das Polo-Spiel interessierte und auch der Sohn zunächst nicht Wein ins Zentrum seines Interesses stellte. Ähnlich wie viele andere heute bekannte Weinproduzenten war Eduardos Vater ein Quereinsteiger. «Das war bei mir ganz ähnlich,» sagt Eduardo Chadwick, «ich bin studierter Wirtschaftsingenieur. Aber mein Vater hatte nun mal beschlossen, die Geschicke des Familienweinguts, das völlig brach lag, wieder in die Hände zu nehmen.

Auf gut Deutsch: Es war bankrott und marode nach Enteignung und Misswirtschaft während der Militärdiktatur. Mein Vater lud mich ein, mit ihm zusammen das Ganze wieder aufzubauen. Das war 1983, es dauerte ein paar Jahre, um alles wieder auf einen aktuellen Stand zu bringen, die Technik, das Know-how, das Personal.» Sein Vater ermöglichte ihm das Önologie-Studium in Bordeaux, Eduardo fing an zu lernen und besuchte die Grand-Cru-Weingüter des Bordelais, er lernte von ihrem Know-how und fing sukzessive an, ein Team aufzubauen, das die Herausforderungen des Weinbaus in Chile bewältigen konnte. Noch wichtiger war es aber, eine Vorstellung davon zu bekommen, wohin man mit dem Weingut wollte. Also mit welchen Rebsorten, welchen Anbaumethoden, welcher Kellertechnik die Vision vom chilenischen Fine Wine umzusetzen wäre. Und auch davon, wie man sich von Bordeaux, Napa oder sonst wem unterscheiden könnte. Denn eine blosse Kopie der weltweit gefragten und geschätzten Weinstile kam für Eduardo nicht infrage.

Nach seiner Rückkehr aus Europa stürzte sich Eduardo Chadwick regelrecht in die Arbeit. Er war wild entschlossen, die einzigartigen Terroirs des Aconcagua Valley zu nutzen und Weine von unvergleichlicher Qualität und mit viel Charakter zu produzieren. Denn dass die Voraussetzungen dafür gegeben waren, war sich Chadwick sicher: «Wir haben ganz objektiv hervorragende klimatische Bedingungen für die Produktion von Wein. Wir haben unterschiedliche Böden mit hohen mineralischen Anteilen, keine Reblausplage, keine Pilzkrankheiten, keinen Mehltau, ausreichend Wasser und Wind. Das ergibt in Summe genau das Gaumengefühl, das Geschmacksprofil, das viele Weintrinker von einem hochklassigen Wein erwarten.» Dennoch gibt es in Chile zwei Lager der Weinproduzenten. Die einen stellen relativ kräftige, mächtige, häufig auch etwas oxidative Weine her. Aber die anderen – und zu denen zählt sich Chadwick mit seinen Weinen – suchen nach Frische, Säure, Eleganz und Finesse; mit reifen Phenolen und ausbalanciertem Alkoholgehalt. Mithin genau das, was die Hauptmärkte für Chadwicks Weine, England und Japan, suchen. «Finesse, Eleganz und Frische sind unsere Marker, ich sehe uns in der Mitte zwischen Napa und Bordeaux. Es ist kälter als in Bordeaux, weil wir so nah am Pazifik liegen und mehr als 6000 Kilometer Küste haben. Das bringt den Weinen Eleganz und Finesse. Und wir haben ebenfalls viel Sonne und Wärme, was viel Fruchtintensität bringt, ähnlich wie in Napa. Aber die Temperatur­unterschiede zwischen Tag und Nacht liegen in Chile in aller Regel bei 20 Grad Celsius, was uns die nötige Frische und Säure bringt.»

Die Grundvoraussetzungen sind also gut, Klima, Terroir, Know-how – fehlt eigentlich nur eine möglichst glorreiche Geschichte, um den Aufstieg in den Weinolymp zu ermöglichen. Denn ohne geschichtlichen Bezug, ohne die Garantie, dass die Weine über Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte, reifen können, ist Fine Wine nicht denkbar. Aber man muss vielleicht doch ein wenig genauer hinsehen. Denn die heute weltweit als Ikonen gehandelten Weine waren nicht immer schon das, was sie heute sind: legendär. Eduardo Chadwick hat sich einen klaren Blick auf die Fakten bewahrt: «Nehmen Sie die Toskana. In den 1960er Jahren hat sich niemand für den Wein von dort interessiert, er war einfach ein landwirtschaftliches Produkt, das in Korbflaschen abgefüllt wurde. Vor Antinori, vor Sassicaia wurde italienischer Wein für einen Appel und ein Ei («selling for a dime») verkauft. Vor Angelo Gaja war Barbaresco nichts, vor Biondi Santi hat sich niemand für Brunello interessiert. Vor Robert Mondavi wurde kalifornischer Wein für fünf Dollar die Flasche verkauft, wohlgemerkt, das war der teuerste Wein, und er startete erst 1978 mit dem Opus One, dem ersten Fine Wine aus der Region. Wir sind mit Chile vielleicht die Letzten, die in dieses Segment vorgestossen sind, aber die Toskana oder das Piemont haben auch nicht wirklich viel zeitlichen Vorsprung. Da sprechen wir am Ende auch nur von rund 50 Jahren. Natürlich wurde schon vorher Wein getrunken, Stichwort Mittelmeerküche. Aber wirklich feiner Wein ist noch gar nicht so alt. So gesehen ist es gar nicht so schwer, sich zu etablieren, einfach weil diese Marktnische noch ziemlich jung ist.» Der Seña, erstmals 1995 auf den Markt gebracht, und der Viña Chadwick, den es seit 1999 gibt, sind die besten Beispiele dafür, dass diese These ihre Berechtigung hat. Beide werden nur in begrenzter Menge auf den Markt gebracht, beide sind international gefragt und gesucht.

Eduardo Chadwick könnte sich also gemütlich zurücklehnen und den Erfolg seiner Arbeit geniessen. Das kommt natürlich nicht infrage, es gibt noch so viel zu tun. Beispiele gefällig? «Also im Moment ist mein grosses Thema die Nachfolgeregelung. Ich habe vier Töchter, drei davon sind im Weinbusiness tätig. Mal sehen, wie sich das entwickelt. Und dann haben wir auch in Chile mit Trockenheit zu kämpfen. Am wichtigsten wird sein, die Geschichte der Chadwick-Weine weiterzuschreiben. In einigen Schlüsselmärkten könnten sie noch bekannter sein, der Viña Chadwick, der Seña, der Don Maximiano könnten eine stärkere Präsenz haben. Zum Beispiel in Deutschland, da werden sicher viele Topitaliener oder Spitzenfranzosen getrunken, aber zu wenig Chilenen. Da ist noch Platz für mehr Abwechslung.»

Was ist eigentlich Fine Wine?

Eine amtliche Definition des Begriffs «Fine Wine» gibt es nicht, aber die Parameter Qualität, Herkunft, Verfügbarkeit, Alterungspotenzial und Reputation spielen ganz bestimmt eine Rolle. Sie sind jedoch sicher nicht die alleinigen Kennzeichen. Aber der Reihe nach. Die Qualität ist natürlich nicht absolut objektiv zu bewerten, aber ein Fine Wine sollte international von den führenden Weinkritikern hoch bewertet werden. Er sollte sich auf den Weinkarten der besten Restaurants finden lassen. Fine Wines können in der Flasche reifen und sich über viele Jahre verbessern, weniger erlesene Weine hingegen nicht. Traditionell werden Fine Wines vor der Abfüllung in Holzfässern ausgebaut, aber auch das ist immer seltener ein absolutes Kriterium. Eher sind es schon Verfügbarkeit und Preis. Die erforderliche Handwerkskunst des Winzers respektive der Winzerin, der Ruf des Herstellers, die Qualität der verwendeten Materialien, all das führt dazu, dass die Produktion begrenzt ist. Im Gegensatz also zu Massenweinen, die in Supermarktregalen zu finden sind und von denen hunderttausende Flaschen produziert werden, zeichnet sich ein guter Wein durch seine vergleichsweise geringe Verfügbarkeit aus. Gemäss der Gesetze von Angebot und Nachfrage ist es also logisch, dass ein begehrter Wein, der knapp ist, einen höheren Preis erzielen kann. Das gilt vor allem für den Preis, der auf dem sogenannten Sekundärmarkt zu erzielen ist. Denn nur echte Fine Wines werden auf den internationalen Auktionen gehandelt, durchschnittliche Weine haben keine Chance, von Christie’s oder Sotheby’s versteigert zu werden.

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