Keller-Festspiele am Niersteiner Roter Hang
06.09.2012 - R.KNOLL
DEUTSCHLAND (Nierstein) - Franz Karl Schmitt, das war mal ein großer Name in Nierstein bis in die neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts hinein. Heute lässt sich sagen: Aus, vorbei. Das Weingut existiert nicht mehr, wohl aber eine bedeutende Hinterlassenschaft, nämlich gepflegte Weinberge, von deren Potenzial jetzt sogar ein Klaus-Peter Keller aus Flörsheim-Dalsheim zehrt.
Ein Johann Schmitt war einst Bürgermeister der bekannten rheinhessischen Weinmetropole (1761-1780). Schon im 19. Jahrhundert wurden F.K.-Schmitt-Weine nach Großbritannien und den USA exportiert. Im Jahrgang 1900 gelang Franz Carl Schmitt die erste Trockenbeerenauslese in Rheinhessens Weingeschichte. Hermann Franz Schmitt war Vorsitzender des Weinbauverbandes Rheinhessen (1948-1962) und konnte sich zwischendrin freuen, dass bei der Krönung der englischen Königin Elisabeth II. eine 1952er Riesling Auslese aus der Lage Niersteiner Hipping ausgeschenkt wurde.
Damals und auch noch hinterher sahen sich Niersteins Weinerzeuger gewissermaßen als Nabel des rheinhessischen Weinbaus. Hier - und nur hier - spielte nach ihrer Anschauung die Musik der Qualität. Nackenheim und Oppenheim, die Nachbarorte, wurden noch toleriert. Dass anderswo in Rheinhessen auch Weinbau betrieben wurde, übersahen die Erzeuger an der sog. „Rheinterrasse“ mit dem berühmten Roten Hang. So etwas war unter ihrer Würde.
Die Zeiten haben sich geändert. Es gibt zwar noch einige sehr gute Betriebe in Nierstein, aber die führende Rolle wurde längst abgegeben. Heute spielt die Musik in anderen Orten, in Westhofen, Appenheim, Bechtheim und vor allem in Flörsheim-Dalsheim, dem nach eigener Rechnung höchstprämierten Weinort Rheinhessens. Der Medaillensegen ist zwar nicht unbedingt ein Gradmesser für hohe Qualität, weil bei der Landesprämierung sehr großzügig ausgeschüttet wird. Aber in diesem Ort hat sich ein Familienbetrieb in den letzten 20 Jahren in die absolute deutsche Spitze hochgearbeitet: die Kellers sind nicht im Keller, sondern längst umgezogen ins oberste Stockwerk des Qualitäts-Hochhauses.
Sie haben Besitz in Lagen, die heute als hochwertig angesehen werden, etwa im Dalsheimer Hubacker oder im Westhofener Morstein. Aber schon Hedwig Keller, die vor über zehn Jahren verstorbene Gattin von Senior Klaus Keller, träumte davon, einmal Besitz in Niersteiner Fluren zu haben. Vor einigen Jahren bot sich die erste Chance, als Franz Karl Schmitt, der lange Zeit die Fahne der Qualität hoch gehalten hatte, in der Familie keinen Nachfolger hatte. Die Söhne fanden mehr Gefallen am Beruf des Steuerberaters, auf die Enkel konnte er nicht warten. „Die sind gerade acht Jahre alt“, rechnete der inzwischen 72-Jährige vor. Erstaunlich rüstig ist er für sein Alter noch. Aber: „Ich glaube nicht, dass ich hoch in den Achtzigern ein Weingut aufrecht erhalten kann.“
Vielleicht wäre alles etwas anders gelaufen, wenn er nicht vor gut zehn Jahren einen Tiefschlag erlitten hätte. In den Jahrgängen 1999 und 2000 bekam er weit reichende Probleme mit dem Naturkork, was ihm einige Schelte auch in einem Weinführer einbrachte, bei dem offenbar nicht gründlich genug probiert und nachgeforscht wurde. So war das Weingut plötzlich medial nahezu von der Bildfläche verschwunden und Franz Karl Schmitt verlor die Lust am Kampf um die Zukunft.
Einen größeren Teil seiner zehn Hektar verkaufte er an das Weingut St. Antony, beziehungsweise den ehemaligen Eigentümer einer Textilhandelskette, Detlev Meyer, der St. Antony mit dem Weingut Heyl zu Herrnsheim vereinte und aus Heyl eine Zweitmarke machte. Mit Klaus-Peter Keller, der mit dem Jahrgang 2001 die Verantwortung in Flörsheim-Dalsheim in der Vinifikation übernommen hatte, ist Schmitt seit 2008 bekannt. Zunächst verpachtete er ihm knapp einen Hektar, inzwischen ist die Rebfläche verkauft. Beliebt gemacht hat sich Franz Karl Schmitt bei seinen Niersteiner Winzerkollegen damit nicht unbedingt. Manche sahen es vermutlich sogar als Verrat an, dass Flächen im Pettenthal und Hipping an einen Winzer aus dem „Hinterland“ veräußert wurden.
Aber das, was Klaus-Peter Keller aus diesen Flächen herausholt, ist sensationell gut. Ob es sogar einen Tick besser ist als das, was er in seinen angestammten Lagen in Westhofen und Dalsheim zustande bringt, wird die Zeit zeigen. Auf jeden Fall sind die beiden Großen Gewächse des Jahrgangs 2011 aus dem Pettenthal und Hipping mit ihrer Mineralität und exzellenten Würze ganz oben bei den Gewächsen des Bundes-VDP dabei.
Seinen Einstieg in Nierstein wollte Keller mit einer denkwürdigen Probe würdigen. Über ein Jahr hatte er, nachdem es in den Vorräten von Franz Karl Schmitt nur noch geringe Vorräte gab, nach Raritäten gesucht und schließlich bei einem Weinsammler einige Schätze zu Tage gefördert. So konnte ein kleiner Kreis von Medien-Vertretern und Freunden des Hauses beispielsweise miterleben, welche Strahlkraft eine 1997er Auslese aus dem Pettenthal noch hatte, wie spannend und raffiniert eine 1959er Spätlese Fläschenhahl und eine 1971er Rehbach Auslese anmuteten. Immer noch gut in Form war eine 1934er Rehbach Auslese.
Gerade zeitlos präsentierten sich die hochwertigen edelsüßen Beerenauslesen und Trockenbeerenauslesen aus den Jahrgängen 1953, 1934, 1937 und 1921. Und nach wie vor lebhaft zeigte sich der älteste Wein der Verkostung, eine 1895er Auslese Fläschenhahl. So konnten es die Teilnehmer verschmerzen, dass der Korkfehler-Teufel gleich zweimal gnadenlos zugeschlagen hatte, nämlich bei einer 1959er feinsten Auslese und - noch grausamer - einer 1898er Auslese Cabinet.
Das Fazit einer ereignisreichen Probe zog Franz Karl Schmitt. „Ich hoffe, man hat erkannt, dass wir in der Familie immer von Qualität und nicht von Quantität angetrieben wurden. Auf meine aktive Zeit mit über 50 Jahren Weinbau blicke ich gern zurück. Jetzt freue ich mich sehr, dass die beiden Spitzenparzellen Hipping und Pettenthal bei der Familie Keller in so guten Händen sind.
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