Justin Leone im Gespräch: Der verstrubbelte Tantris-Sommelier
08.12.2014 - R.KNOLL
DEUTSCHLAND (München) - Er wurde vor 33 Jahren in Toronto geboren, als Sohn einer Engländerin und eines Italieners. Die strengen Eltern wollten, dass er Musiker wird. Justin Leone übte mit Bass und Kontrabass, studierte klassische Musik, schloss sich einer erfolgreichen Band in Chicago an, musste aber dennoch nebenbei jobben. In einem Weinshop lernte er einen Winzer aus der Bourgogne kennen, der ihn in seine Heimat einlud und auf den Weinpfad brachte. Der führte ihn geradewegs in das „radikalste Restaurant der USA“ (Wall Street Journal), das 2005 eröffnete Drei-Sterne-Haus „Alinea“, wo Leone nicht nur die Molekularküche, sondern auch einen umfangreichen Weinkeller und viele interessante Leute kennen lernte – unter anderem eines gewissen Fritz Eichbauer aus München. Der erinnerte sich an ihn, als er Jahre später, Leone war inzwischen in London gelandet, von ihm eine „SOS-Botschaft“ erhielt, weil er sich als Sommelier in der britischen Hauptstadt nicht wohl fühlte.
Die Nachricht kam zur rechten Zeit. Die langjährige Sommeliere Paula Bosch (Jahrgang 1956), eine Tantris-Institution, hatte Anfang 2011 nach 20 Jahren gekündigt und sich in die Selbstständigkeit als Weinberaterin verabschiedet. Seitdem steht der Nachfolger an der Front der Weinberatung. Die an die souveräne, seriöse Paula Bosch gewöhnten Gäste mussten sich neu orientieren. Jetzt empfahl ihnen ein flott gekleideter, etwas exzentrisch anmutender junger Mann mit Drei-Tage-Bart und verstrubbelter Haartracht die passender Weine zur Küche von Hans Haas, anfangs in einem deutsch-englischen Kauderwelsch. Aber inzwischen hat er die Sprache seiner neuen Heimat gut gelernt, kann auch souverän hochkarätige Verkostungen im Rahmen der „Tantris-Schule“ leiten und lässt erkennen, dass er nicht nur Ahnung von Wein hat, sondern zudem ein echter Weinfan ist. Die Musik hat er dabei nicht vergessen: „Wenn ich Wein verkoste, schmecke ich Musik. Ich spüre die Harmonie, Balance, Entwicklung, Kontraste, laute Noten, leise Töne…“.
Was Justin Leone sonst noch verspürt und erlebt, erzählte er Rudolf Knoll im Interview.
Gibt es noch Kontakte oder gelegentlichen Gedankenaustausch mit Vorgängerin Paula Bosch?
Na klar, wir haben auch gemeinsam an dem kürzlich erschienenen Buch über die Legende „Tantris“ mitgearbeitet.
Wie viel Weine stehen eigentlich auf der „Tantris“-Karte?
So um die 1500 werden es sein. Aber insgesamt haben wir etwas 2000 Positionen auf Lager, da ein nicht geringer Teil der Weine noch zu jung sind.
Wie viele dieser Weine haben Sie schon probiert?
Es werden vielleicht noch 50, 60 sein, die in meiner Sammlung fehlen, darunter einige der Senioren zurück bis 1928.
Wie viele Weine verkosten Sie im Jahr während und neben Ihrer Sommelier-Tätigkeit?
Ich arbeite etwa 250 Tage im Jahr und beschäftige mich natürlich auch in meiner Freizeit mit Wein. Da kommen schon so 13 000 bis 14 000 Weine zusammen.
Welche Weinländer haben Sie bislang bereist?
Spontan fallen mir ein – um nur einige zu nennen - Bordeaux, Burgund, die von mir besonders geschätzte Loire-Region, die nördliche Rhône, ganz Deutschland, Kalifornien, das Priorat, Rioja, Australien, wo ich erstaunliche Weine von uralten Reben kennenlernte.
Der teuerste Wein auf der Tantris-Karte ist ein Romanée Conti 1978 für 18.500 Euro. Wurde davon schon mal eine Flasche verkauft?
Vorläufig ruht der Wein tief in der Schatzkammer. Unser Vorteil bei solchen Gewächsen ist, dass wir die Originalität garantieren können, während in manchen anderen Kellern von solchen Raritäten auch gefälschte Flaschen liegen.
Der älteste Normalwein im Keller ist ein Vouvray 1924 der Domaine Huet, der nur vergleichsweise schlappe 1100 Euro kostet. Wie viel Flaschen sind vorrätig? Und gibt es eine Garantie für die Qualität?
Wir haben noch drei Flaschen mit einem Super-Inhalt. Der Wein hat eine tolle Säure.
Was war der älteste Wein, den Sie bisher getrunken haben?
Das war ein unvergesslicher 1878er Port, noch unfassbar jung schmeckend, mit sehr viel Power. Außerdem konnte ich schon einige sehr gute Madeira aus der Mitte des 19. Jahrhunderts verkosten.“
Wie viele Weine mit Korkproblemen haben Sie schon in ihrem Beruf erlebt?
In genaue Zahlen kann ich das nicht fassen. Aber es werden wohl so zwischen sieben und zehn Prozent sein. Ein Albtraum war eine Kiste mit 82er Figeac, da hatte etwa die Hälfte der Flaschen ein Problem.
Sie haben ja länger in Amerika gearbeitet und sich im Tantris stark gemacht für eine umfangreichere Präsenz der kalifornischen Weine, obwohl diese eine Weile in Europa, vor allem in Deutschland, eher kritisch betrachtet wurden. Woher kommt die gewisse Vorliebe für Kalifornien?
Sie sind oft ganz einfach super. Ich vergleiche Kalifornien gern mit Bordeaux, auch in Seminaren. Dabei stellen wir immer wieder fest, dass auch reife kalifornische Rotweine über einen langen Zeitraum eine sehr gute Qualität bewahren – wenn sie schon anfangs groß waren. Ein einschneidendes Erlebnis hatte ich allerdings in einem Vergleich mit großen Weinen der Bourgogne, Chambertin von 1929 und 1947. Hier entpuppte sich ein 1957er von Louis M. Martini aus St. Helena im Napa Valley als der überraschende Knaller, vor dem alle regelrecht in die Knie gingen.
Manche Weine aus den Vereinigten Staaten, die schon als Kultweine bezeichnet werden, sind im Preis relativ hoch, um nicht zu sagen abgehoben. Ist das gerechtfertigt?
Wenn die Qualität stimmt, warum nicht. Heutzutage werden auch vierstellige Summen für eher mittelmäßige, aber berühmte Bordeaux-Weine verlangt. Da dürfen die Kalifornier schon mal mutig sein.
Welche besonders überzeugende deutsche Weine oder Erzeuger fallen Ihnen spontan ein?
Beispielsweise den Wiltinger Gottesfuß Alte Reben 2011 von Van Volxem an der Saar, bei dem ich im Einkauf kräftig zugeschlagen habe. Oder als Winzer an der Nahe Gut Hermannsberg und den fast unschlagbaren Tim Fröhlich von Schäfer-Fröhlich.
Was halten Sie von Punktbewertungen beim Wein? Sind sie für Sie eine Hilfestellung?
Ich halte davon nicht viel, weil einfach zu viele Journalisten auf diesem Feld unterwegs sind und schon urteilen, wenn der erste Bordeaux des neuen Jahrgangs noch nicht gefüllt ist. Ich habe für mich auch festgestellt, dass zum Beispiel der deutsche Jahrgang 2010 viel zu kritisch angepackt wurde. Dabei gab es teilweise Weine, die einfach super sind.
Namhafte Sommeliers treten gelegentlich in der Werbung auf und machen für bestimmte Weine, Produkte bis hin zur Milch oder Unternehmen Reklame. Wären Sie für Werbung zu haben?
So etwas finde ich schwierig. Das funktioniert bei manchen Köchen, die zudem TV-Shows machen. Unser Hans Haas aber wäre für so etwas nie zu haben, er ist ein Arbeitstier. Es gibt in unserer Szene verschiedene Typen, einige mögen so etwas und sind auch gute Schauspieler. Ein Sommelier muss schließlich neben Fachwissen nach meiner Meinung eine Prise Show-Talent haben, sollte humorvoll oder lustig sein. Aber solche Nebenbeschäftigungen kosten Zeit. Und sie können in die Hose gehen.
Vielen Dank Justin Leone für das Interview.
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