Chartreuse - ein wunderbarer Alkohol
07.01.2012 - arthur.wirtzfeld
FRANKREICH (Voiron) - Wenn zwei Mönche derart wichtige Geheimnisträger sind, dass sie noch nicht einmal gleichzeitig in einem Auto fahren dürfen, dann muss schon ein ganz ungewöhnliches Wissen dahinterstecken: das sorgsam gehütete Rezept für das "Elixier des langen Lebens". So wird der berühmte Kräuterlikör Chartreuse genannt, der seit dem 18. Jahrhundert vom Kloster der Großen Kartause in Voiron im Südosten Frankreichs hergestellt wird. Nun erobert das geheimnisvolle, gelbgrüne Getränk die Bars von New York - und die altehrwürdigen Mönche in Europa kommen kaum noch mit der Lieferung hinterher.
Gehüllt in seine weiße Robe wirft Bruder Jean-Jacques mit seinem struppigen Bart einen aufmerksamen Blick auf die großen Metall-Destilliergeräte in Voiron. Der Kartäuser-Mönch steuert normalerweise die Fabrikation des Likörs von seinem Computer aus, in der Stille und Einsamkeit des Klosters in den Bergen von Chartreuse bei Grenoble. Einmal in der Woche aber muss er ins Tal hinabsteigen, um die Qualität des begehrten Likörs zu überprüfen.
Zwar wurde die Herstellung des hochprozentigen Getränks teilweise weltlichen Helfern übertragen, aber das Rezept wird von den Mönchen in einem Zauberbuch unklarer Herkunft unter Verschluss gehalten. Und nur zwei Mönche beherrschen die Herstellung aus 130 pflanzlichen Zutaten, weshalb Vertriebsleiter Antoine Munoz witzelt: "Wir verbieten ihnen, zusammen ins Auto zu steigen."
Das Geheimnis der Mönche ist in der Tat so wertvoll wie Gold: 1,55 Millionen Flaschen des Likörs werden jährlich weltweit verkauft, der Export stieg zuletzt um zehn Prozent. In den USA schnellten die Verkäufe bis Ende Oktober sogar um 40 Prozent binnen eines Jahres nach oben. "Das hat all unsere Erwartungen übertroffen. Wir mussten Überstunden bei der Abfüllung machen und wir sind dabei, unsere Produktion merklich zu erhöhen", erzählt Munoz.
Als ein Grund für den Boom in den USA gilt der Film "Todsicher" (Death Proof) aus dem Jahr 2007 von Regisseur Quentin Tarantino, der in dem Actionthriller selbst einen Barmann spielt. Das Kräutergetränk Chartreuse lobt Tarantino darin als "einzigen Likör, der so gut ist, dass sogar eine Farbe nach ihm benannt ist". Gemeint ist der einzigartige Farbton des hochprozentigen Gebräus zwischen gelb und grün. Vertriebsleiter Munoz stellt staunend fest: "Der Film von Tarantino hat einen unglaublichen Hype ausgelöst."
Die kostenlose Werbung kam genau in dem Moment, in dem das Kloster mit seinem Produkt in den USA wieder Fuß fassen wollte, nachdem es ruhmreiche Zeiten in den 70er Jahren erlebt hatte. Als "seltsames Gebräu" hatte Tom Waits den Likör einst besungen, heute sind die Flaschen Chartreuse aus den angesagten Bars der US-Ostküste nicht mehr wegzudenken. "Das ist eine neue Generation Barmänner, die sich nicht nur für das Produkt interessieren, sondern auch für seine Geschichte", meint Munoz. Es seien sogar schon Barmänner aus New York und Boston - mit Tatoos und Piercings - in der südostfranzösischen Provinz zu Besuch gewesen: In den Hügeln um das Kloster hätten sie gemeinsam ein Picknick gemacht.
Die Barmänner lieben es, mit dem Likör ihre Cocktails zu verfeinern. "Das ist ein wunderbarer Alkohol und eine hervorragende Zutat", versichert Joaquim, der Barmann des Death & Company in New York, wo gelber und grüner Chartreuse in würdiger 30er-Jahre-Atmosphäre hinter dem Tresen thronen. Schmunzelnd gibt der Barkeeper zu: Einen Cocktail mit diesem Gebräu aus 130 Kräutern zu mixen, "das ist schon ein bisschen wie schummeln".
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