1911er „Kometenwein“ aus Rheinhessen überzeugt und erfreut

30.11.2011 - R.KNOLL

DEUTSCHLAND (Bechtheim) - Winzer, die an das Gesetz der Serie glaubten, waren trotz der Witterungskapriolen beim Jahrgang 2011 bis zuletzt zuversichtlich. Schließlich gingen sowohl der 1811er als auch der 1911er als „Jahrhundert-Jahrgänge“ in die Geschichte ein. Das könnte, so die Eindrücke von ersten Fassproben in sehr guten Häusern, durchaus auf den 2011er passen. Aber noch viel mehr Spaß als das Verkosten der jungen, meist noch „staubigen“ Tropfen ist der Genuss von gereiften Altweinen - wenn man etwas für diese Art der Weinkultur übrig hat.

 

Kürzlich hatten sich gleich rund 80 solcher Genießer in Bechtheim in Rheinhessen versammelt, um gemeinsam einen Wein aus dem Jahr 1911 über die Zunge gleiten zu lassen. Gastgeber war das Weingut Jean Buscher, dessen Seniorchef Jean Michael Buscher es seit etlichen Jahren mit pfiffigen und manchmal aufwändigen Marketingideen bis hin zum Flaschenetikett aus purem Gold schafft, in den Medien Schlagzeilen zu machen.

Weil auch die Qualität seiner Weine durchaus stimmig ist, kommen zu seinen diversen Veranstaltungen immer wieder prominente Leute. Diesmal waren das zum Beispiel Leichtathletik-Olympiasiegerin Heide Ecker-Rosendahl, Marie-Luise Marjan („Mutter Beimer“ aus der „Lindenstraße“), Ulrike Neradt (früher „Fröhlicher Weinberg“ im SWR), der einstige TV-Moderator Max Schautzer und Radsportlegende Rudi Altig. Sie alle wurden im Lauf der Jahre vom Bechtheimer Bauern- und Winzerverein in Anlehnung an die Lage Bechtheimer Pilgerpfad zu „Bechtheimer Weinpilgern“ ernannt und beim Weinfest Anfang September in eine Mönchskutte gesteckt.

Buscher und Junior Jean Raphael („J.R.“) überraschten die weinorientierte Prominenz und gute Freunde des 16-Hektar-Betriebes nicht nur mit dem „Kometenwein“ aus den Sorten Riesling und Silvaner (benannt nach dem 1910 aufgetauchten Halley’schen Kometen). Aus der mit 2000 Flaschen gut gefüllten Schatzkammer entkorkten sie am 11.11.2011 auch noch weitere feine reife Tropfen, darunter einen eleganten, feingliederigen 1959er Riesling (Feine Auslese) und eine ungemein rassige Riesling Beerenauslese aus 1976, ein Jahrgang, in dem es fast nur Prädikate ab Auslese aufwärts gab und die Weine oft plump zuckrig ausfielen. Der Riesling aus dem Buscher-Keller war hier eine wohltuende Ausnahme.

Wie schmeckte der 1911er? Die reife Note, die an einen alten Sherry erinnerte, zeigte, dass man einen in Ehren ergrauten Senior im Glas hatte. Aber sie wurde untermalt von einer dezenten Apfelnote. Auf der Zunge war noch Lebhaftigkeit in Verbindung mit einer zarten, delikaten Süße spürbar.

Es waren nicht die letzten, dicht mit Kellerschimmel überzogenen, aber vor dem Entkorkungsakt gereinigten Flaschen, die der Senior eigenhändig öffnete. Die Vorfahren hatten erkannt, welch besonderen Wein sie damals ernteten und auch in Kriegszeiten dafür gesorgt, dass keine fremden Mächte sich vergriffen.

Einmal, vor zehn Jahren, wurde eine Flasche zu Gunsten des Wormser Doms für 2.150 D-Mark versteigert. Zum 100-Jährigen wurden drei Flaschen (alle 1973 neu verkorkt) geopfert - ohne Gewissensbisse. Denn noch liegen einige 1911er Buddeln in der gut verschlossenen Schatzkammer, die etliche weitere überzeugende Jahrgänge enthält. Ein Jahrhundert-Wein fehlt, ausgerechnet Jean Michael Buschers eigener, der 1947er. „Da haben meine Eltern nicht aufgepasst“, lacht er.

Die Bezeichnung „Kometenwein“ ließ sich der Winzer inzwischen schützen. Er wird sie aber so bald nicht anwenden können. Das wird wohl ein Fall für einen Enkel sein. Denn die nächste Gelegenheit, in der dieser seit 240 v. Chr. im Rhythmus von rund 76 Jahren auftretende Halley’sche Komet sichtbar wird, ergibt sich voraussichtlich im Jahr 2061. Zuletzt gab er der Erde 1986 die Ehre (ohne in Verbindung mit einem Jahrhundert-Jahrgang gebracht zu werden).

Die Menschheit reagierte vor 25 Jahren schon gelassener als 1910. Damals vermuteten „Experten“, der Kometenschweif sei mit Blausäure aufgeladen und befürchteten das Ende alles Lebens. Kometenpillen und Gasmasken hatten Hochkonjunktur, ebenso Flaschen mit Atemluft. Andere Flaschen standen im Hause Buscher im Mittelpunkt. Vom 1911er „Kometenwein“ hätte mancher der Gäste am liebsten eine ganze Flasche allein geleert. 

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