Chianti & Chianti Classico: Harte Landung nach dem Höhenflug

25.10.2011 - arthur.wirtzfeld

ITALIEN (Lamporecchio) - Der Boom ist gründlich vorbei. In der Toskana bereits seit zehn Jahren. Unter der derzeitigen Wein-Absatzkrise leiden vor allem Chianti und Chianti Classico. Die Beliebtheit dieser erztoskanischen Weine ist weit mehr als die anderer toskanischer Weine eingebrochen. Nur die Schuld der Krise? Oder sind die Produzenten selbst dafür verantwortlich? Merum hat mit Winzern, Abfüllern, Politikern, Önologen, Brokern, Konsortien und Händlern gesprochen und kommt zum Schluss, dass zu viel falsch gelaufen ist, dass Hochmut statt Appellationsbewusstsein, Improvisation statt Weitblick für das heutige Desaster ebenso verantwortlich sind wie die Wirtschaftskrise. Das Resultat: Immer mehr Weingütern geht die Puste aus. Es sind die Bankzinsen, die den Betrieben die letzte Liquidität absaugen. Viele Weingüter stehen zum Verkauf. Aber keiner will sie.

 

Toskana. Ein Zauberwort! Toskana verkörpert alles, was Nordeuropäer unter dem Jahr vermissen: Sonne, wunderschöne Landschaften, südländische Straßenatmosphäre, Italianità, Wein, herzhaftes toskanisches Essen… Früher war das Paradies - inklusive Wein und Essen - für die Toskana-Pilger quasi umsonst. Heute ists dort teurer als zuhause.

"Ich lebe seit 30 Jahren in der Toskana. Nichts bringt mich mehr von hier weg! Meine Liebe zu Italien und zur Toskana ist größer als mein Angewidertsein von der politischen Bungabunga-Kultur", konstatiert Adreas März. In den späten 70er-Jahren eilte er in jeder freien Minute in seine geliebte Toskana. Auch wenn „eilen“ wohl etwas übertrieben ist, wenn von einem alten R4 als Gefährt die Rede ist, vor allem damals, als die Schweiz größtenteils noch auf Landstraßen durchquert werden musste.

"Auf dem Rückweg gings dann noch langsamer", erinnert sich Adreas März. Da die Reise mit Wein- und Ölverkauf finanziert werden musste, waren 160 Flaschen Chianti und ein paar Kanister Olivenöl die Standardbeladung seines R4. Wie bei jeder guten Beziehung ist die Verliebtheit nach vielen Jahren des Zusammenlebens nicht mehr ein tranceartiger Dauerzustand, sondern tieferen Gefühlen gewichen. Durch die zunehmende Vertrautheit wird eine gesunde Beziehung immer inniger und fester. Obschon die Toskana für März Alltäglichkeit geworden ist, erfüllt ihn der Blick über die Hügel mit Oliven, Reben, zypressenbesäumten Straßen und Wäldern nach wie vor mit Glücksgefühlen.

"Wenn es mir trotz Siebentagearbeitswoche gesundheitlich blendend geht, dann sicher auch deshalb, weil ich in den Arbeitspausen vor die Haustür treten kann und mitten in dieser traumhaften Landschaft stehe: Zehn, zwanzig Minuten im Olivenhain sind wie ein kleiner Urlaub", sagt März. Heute sieht auch er die Toskaner selbst weniger verklärt als vor 30 Jahren, denn er versteht mittlerweile, was sie ihm sagen und er hat ihre witzige, ironische Art lieben gelernt. "Sie, die sie inmitten von Weinbergen aufgewachsen sind, trinken zwar kaum Wein - so wie die Deutschen nicht zum Vergnügen Kartoffeln essen - aber eine unterhaltsame Gesellschaft geben sie trotzdem immer ab", meint März.

Aus der Traum! Willkommen in der Realität…

"Gewisse Märkte und gewisse Betriebe funktionieren noch. Aber die Luft ist überall dünn geworden", meint März. "Da helfen keine PR-Önologen und keine willigen Weinpäpste, die sich ihre Glaubwürdigkeit mittlerweile verspielt haben."

Absatzprobleme gibt es auch dort, wo der Anschein des Erfolgs mittels unveränderter Listenpreise gewahrt wird. Denn Zweitweine in Super-Tuscan-Qualität, verhökert zu Tiefstpreisen, zeigen die Wirklichkeit: Bei teuren Super Tuscans und Riserva-Weinen läuft definitiv nichts mehr. Wer den bedrohlich hohen Pegelstand in seinem Keller nicht durch Verkauf von Fasswein senken will, füllt den Wein ab und haut ihn preisgünstig raus. Der gute Name hilft immerhin, Preise im Mittelfeld zu realisieren. Alles ist besser als der dramatisch defizitäre Fassweinverkauf.

Und es gibt eine gewisse Preisgrenze, unter der mit jedem verkauften Liter ein Stück Betriebskapital vernichtet wird. Diese Grenze liegt beim Chianti bei rund 1,20 Euro pro Liter, beim Chianti Classico noch höher. Aufgrund ihrer Absatzprobleme sind viele Produzenten gezwungen, unverkauften Wein den Abfüllern zu überlassen. Das Angebot ist groß, die Nachfrage gering, die Preise sind im Keller. Die Rede ist von 80 Cent pro Liter, manchmal sogar weniger. Nicht nur für Chianti, auch für Chianti Classico!...