Rudolf Knoll – investigativ, kritisch, sportlich, fair

17.01.2017 - arthur.wirtzfeld

DEUTSCHLAND (Ilshofen) – Das Urgestein des deutschen Weinjournalismus hatte eingeladen – Anlass war sein "Runder". Rudolf (Rudi) Knoll, der gefühlt seit Jahrzehnten die Weinszene aufmischt, hatte eine ganze Reihe von Persönlichkeiten zu einem kulinarischen Weinabend eingeladen. Darunter einige Menschen, mit denen er anfangs gar nicht konnte – oder sie nicht mit ihm, wie er in einer amüsanten Rückschau diese Begegnungen vorstellte. Dennoch habe er im Lauf der Zeit gerade auch zu diesen Gästen enge und intensive Beziehungen geknüpft, aus denen sich über die Jahre innige Freundschaften bildeten.

 

Es versammelte sich also eine illustre und sehr sympathische Gesellschaft im Flair Park-Hotel in Ilshofen, ein Hotel und Restaurant, das sich mit einem professionellen Team gebührend auf diesen Abend vorbereitet hatte. Janko Hilliges, Chefkoch des Hauses, der eine Einladung nach Dubai ausschlug, blieb extra für den Jubilar in der Küche und zauberte Köstlichkeiten, an denen die Gesellschaft sich ausgiebig labte und die sie lobte. Der Event verlief äußerst spannend, bei intensiven Gesprächen und eingerahmt in die charmante Führung des Abends durch Rudis "bessere Hälfte" Gisela Pöhler, die für "Ordnung" sorgte, dabei für jeden Gast jederzeit ansprechbar war.

Sehr beeindruckend neben den Weinraritäten, auf die ich noch eingehe, waren Ausschnitte aus Fernsehsendungen seit den 1980er-Jahren, in denen Rudi Knoll entweder interviewt wurde oder als Berater in Weinsendungen fungierte. Wenn man Rudi kennt, dann waren seine Auftritte und Meinungsäußerungen damals nicht anders als heute. Schon früh hatte der Jubilar ein Wissen, dass so manchen Gegenspieler und Zuhörer überraschte. Sein Humor und seine Kenntnis, gepaart mit seiner sympathisch-brummigen Art, waren schon damals erfrischend und beides hat er sich durch lange Jahre des Weinschreibens und Weinerlebens nicht abschleifen lassen. Gern hätten die Gäste mehr filmische Rückblicke gesehen, waren sie doch aus heutiger Sicht äußerst vergnüglich, doch es war rundum so kurzweilig an den Tischen, dass erst weit nach Mitternacht aufiel, dass schon längst ein neuer Tag angebrochen war

Eine tragende Säule an diesem Abend war dem Jubilar sein Freund, der österreichische Professor Walter Kutscher, der sich um die fachgerechte Öffnung der Raritäten bemühte – manchmal musste der Weinfachmann auch gekonnt Hilfsmittel zur Hand nehmen, um den einen oder anderen Korken zu überreden, sich heil und ohne Brösel zu lösen. Was dann zur Verkostung anstand, war ein hochinteressanter Spiegel durch die letzten beiden Jahrhunderte der Weinländer Italien, Griechenland, Österreich, Deutschland, Frankreich, Spanien und Portugal. Nicht jede Buddel erfreute die Nasen und Gaumen, doch viele, überraschend viele, waren noch gut trinkbar, sogar mit Genuss, und einige davon waren umwerfend in ihrer Art und ihrer Präsentation. 

Das Gros des Interesses galt zuerst den Granaten aus Bordeaux. Doch für mich waren die Raritäten ein besonderes Highlight, die durch Säure und Süße sowie durch ihre Produktionsart und wahrscheinlich auch "artgerechte" Lagerung 80, 100 oder sogar beinahe 200 Jahre klaglos überstanden haben. Zu ihnen gehörten der 1827er Bual Quinta de Serrado, der 1918er Sherry Oloroso Pilar Aranda und vor allem der verführerische 1943er Samos Nectar. Aber auch einige trockene, gereifte Bordelaiser unter den Jahrgängen 1916 bis 1966, einige Tropfen aus dem "besonderen" Jahrgang 1947 und weitere spannende Raritäten der Jahrgänge 1827 bis 2002 überzeugten derart, dass durchaus verständlich ist, wenn Weinliebhaber und Sammler Unsummen für solche raren Weine lockermachen.

Lassen Sie mich kurz auf meine drei Favoriten eingehen, angefangen mit dem Ältesten unter ihnen: 

1827er Bual Quinta de Serrado: Der Bual, im englischen Sprachraum Boal genannt, ist eine weiße Sorte (und gleichzeitig eine Geschmacksrichtung), die überraschend dunkle, bernsteinfarbene, aromatische, halbsüße Madeiras hervorbringt. Die Reben sind heute wie damals vorwiegend im Süden der Insel Madeira in niedrigen, warmen Lagen, meist direkt an der Küste, im Anbau. Diesem 1827er Bual Quinta de Serrado, mittlerweile 190 Jahre in der Flasche, war sein Alter zwar anzumerken, dennoch waren Säure und Süße im ausgewogenen Spiel, das zudem reines Trinkvergnügen schenkte. Seine Aromen von Rosinen und Mandeln verteilten sich äußerst harmonisch am Gaumen, gefolgt von einem langen und würzigen Finale. (Mehr zum System und den Weinen aus Madeira lesen Sie auch in unserem Spezial: "Madeira – eine wunderbare Renaissance"

1918er Sherry Oloroso Pilar Aranda: Dieser gespritete Wein präsentierte sich sehr konzentriert, doch nicht zu süß, und er verteilte am Gaumen beharrlich Aromen von Karamell, Schokolade und Nüssen im Überfluss. Sein Alkohol war ebenfalls sehr präsent, was mich aber nicht im Mindesten störte, denn er verlieh ihm das nötige Rückgrat. Und die Länge? Einfach schön.

1943er Samos Nectar: Kennen Sie das? Sie trinken einen Wein und es haut Sie um? Schon erlebt? Nun ja, kommt ab und an mal vor, aber dass michein Grieche derart beeindrucken würde, hätte ich mir nicht träumen lassen. Gleichwohl, dieses Mal war es tatsächlich ein Hellene. Dieser Tropfen hatte eine Süße am Gaumen, die betörte, dabei eine erstaunliche Frische. Was für eine Kraft, Ausdauer und Eleganz damals mit den Trauben der Sorte Gelber Muskateller, gewachsen auf der ostägäischen Insel Samos, in diese Flasche gebracht wurde, ist unglaublich. Der Süßwein präsentierte sich an diesem Abend phänomenal mit einer überwältigenden Balance und unendlichem Finale. Das macht glücklich. Das macht süchtig. Chapeau!

Womöglich tue ich vielen der anderen Raritäten Unrecht, wenn ich diese hier nicht im Einzelnen auch noch erwähne, aber die vorgenannten drei Kandidaten haben mich gefesselt. Nicht zu vergessen, weil auch beeindruckend, waren die feinen Weine, die zu den Speisen gereicht wurden – siehe Liste im Anschluss. Was bleibt, ist eine freudige und herzliche Dankbarkeit für diesen gelungenen Abend, die Gespräche mit sympathischen Kollegen und Winzern, das Fachsimpeln über und das Verkosten der ungewöhnlichen Raritäten sowie der unbedingte Wunsch, dass Rudi Knoll der Weinszene noch lange erhalten bleiben möge.

Die Weinwelt an diesem Abend war phänomenal – da waren sich alle Gäste einig. Hier die komplette Liste:

BORDELAISER RARITÄTEN

  • 1916 Château Margaux
  • 1934 Château Mouton-Rothschild
  • 1937 La Côte Haut-Brion (Magnum)
  • 1940 Pichon-Lalande Comtesse
  • 1945 Château Fonreaud 1er Cru Bourgeois
  • 1947 Château Cantenac-Brown
  • 1953 Château Lafite
  • 1956 Château Latour
  • 1961 Château Reysson Cru Bourgeois Haut-Médoc
  • 1966 Château Mouton-Rothschild

EIN BEDEUTENDER JAHRGANG

  • 1947 Grüner Veltliner Dürnsteiner Himmelstiege, Winzergenossenschaft Wachau
  • 1947 Grüner Veltliner), Mantlerhof, Gedersdorf
  • 1947 Riesling, Ferdinand Pieroth, Burg Layen
  • 1947 Barolo Riserva, Giacomo Bourgogno
  • 1947 Château Pichon Longueville
  • 1947 Port Niepoort

SONSTIGE SPANNENDE RARITÄTEN

  • 2003 Trockenbeerenauslese Nouvelle Vague No. 1, Cuvée, Weinlaubenhof Kracher, Illmitz
  • 2002 Grüner Veltliner, Argentinien, Norton
  • 1976 Vernatsch Gschleier, Kellereigenossenschaft Girlan
  • 1976 Muskateller Trockenbeerenauslese Baden, Käfersberger Andreasberg, St. Andreas Hospital, Offenburg
  • 1943 Samos Nectar, Union der Winzergenossenschaften
  • 1936 Cabernet Sauvignon White Port, Massandra Collection
  • 1898 Mavrodaphne, Achaia Clauss, Patras
  • 1918 Sherry Oloroso, Almacenista
  • 1827 Madeira Bual (bottled 1988), Quinta de Serrado
  • Único Reserva Especial (o. J.), Vega Sicilia

DIE WEINE ZU DEN SPEISEN

  • 2005 Riesling Hubacker Großes Gewächs (Doppelmagnum), Keller, Flörsheim-Dalsheim 
  • 2015 Weißburgunder Marienglas Großes Gewächs (Doppelmagnum), Weingut Aldinger, Fellbach
  • 2010 Grauburgunder & Riesling (Doppelmagnum), Schloss Proschwitz, Zadel
  • 2010 Grüner Veltliner Scheiben (Doppelmagnum), Franz Leth, Fels/Wagram
  • 2015 Riesling Goldener Wagen (Magnum), Schloss Wackerbarth, Radebeul
  • 2008 Cabernet Franc „Konquest I“ (Magnum), Weingut Kirnbauer, Deutschkreutz
  • 2009 Solitaire (Magnum), Feiler-Artinger, Rust
  • 2008 Spätburgunder Heller Berg (Magnum), Roth, Wiesenbronn
  • 2004 Cabernet Sauvignon (Magnum), Prieler, Schützen am Gebirge
  • 1997 Vino Nobile di Montepulciano Riserva (Magnum), Piccini, Castellina
  • 1990 Château Palmer (4 x 0,75)

Zur Vita von Rudolf Knoll: Sein Berufsweg begann mit dem erlernten Beruf des Verlagskaufmanns, der 1968/69 durch 18 Monate Bundeswehrdienst unterbrochen wurde. Höhepunkt dieser Zeit war die deutsche Fußball-Heeresmeisterschaft 1969 mit dem Münchner Pionier-Bataillon 210. Hier kickte Knoll mit Größen wie „Bulle“ Roth und „Katsche“ Schwarzenbeck vom FC Bayern.

Bevor er in die Weinszene trat, startete er seine Karriere als Redakteur einer Tageszeitung und als Sportreporter (Münchner Merkur, tz). In den Jahren 1980 bis 1984 war er Chefredakteur der Zeitschrift Weinfreund. Anschließend wechselte er in leitender Funktion zum internationalen Weinmagazin Vinum (Intervinum AG Zürich) und blieb auch nach Verleger-Wechseln zum Landwirtschaftsverlag Münster (2001) und zur KünzlerBachmann Medien AG, St. Gallen (2009) im Team, zuständig für Deutschland, Österreich und Osteuropa.

Seit 2009 verstärkte er als ständiger freier Mitarbeiter die Redaktion des Internet-Weinmagazins YOOPRESS. Seit 2014 gehört er zum Trio der Deutschland-Chefredakteure von Vinum und ist nebenbei noch Mitarbeiter des Fachmagazins Wein+Markt (Fachverlag Dr. Fraund, Mainz). Als Degustationsprofi gehörte er von 2001 bis 2015 dem Verkostungsteam des Gault&Millau an und initiierte für Vinum mehrere Wettbewerbe wie den "Deutschen Rotweinpreis" (der dieses Jahr zum 31. Mal stattfindet) sowie den "Riesling-Champion" und "Genossenschafts-Cup".

Rudolf Knoll hat über 40 Bücher geschrieben und wurde mehrmals ausgezeichnet, unter anderem 1991 mit dem Bacchuspreis der Österreichischen Wein Marketing, 1993 mit dem Steinfederpreis für Weinpublizistik der Vinea Wachau. Im Jahr 2004 ehrte ihn zunächst der Weinbauverband Saale-Unstrut für seine Kontakte mit dem ostdeutschen Weinbau mit einem Pressepreis (Knoll war bereits in DDR-Zeiten 1984 berichterstattend vor Ort), danach der VDP.Die Prädikatsweingüter für seine Verdienste um den deutschen Wein mit der Publizistik-Trophy „Herkunft Deutschland“. 2007 wurde ihm für seine Verdienste um den deutschen Rotwein die Staufermedaille des Landes Baden-Württemberg verliehen.

"Ich bin immer auf der Suche nach Entdeckungen und will besonders die Leute hinter dem Wein erkennbar machen", sagt Rudolf Knoll, der auf YOOPRESS die viel beachteten Rubriken "Knolls Winzertipps" und "Knolls Weinweiber" initiierte. Und fragt man ihn, wie er an seine spannenden Weingeschichten kommt, erhält man die knappe, aber prägnante Antwort: "Die liegen auf der Straße – man muss sie nur aufheben."