Im memoriam Gerhard Strecker – Ein Wein-Visionär aus Württemberg

12.10.2016 - R.KNOLL

DEUTSCHLAND (Heilbronn) – Kaum bemerkt von der deutschen Weinszene verstarb vor kurzem ein besonders innovativer „Wengerter“ aus Württemberg, dem unter anderem eine der wohl ungewöhnlichsten Rebsorten zu verdanken ist, die hierzulande wurzelt. Gerhard Strecker (1929-2016), der Gründer des Amalienhofes in Heilbronn, war viel mehr als nur ein Weingärtner. Er war, so sein Freund und langjähriger Wegbegleiter, Edwin Schrank (25 Jahre lang, bis 2015 Weinbaupräsident der Pfalz) „ein rastloser Forschungsgeist mit vielen Visionen, aber auch ein Praktiker, der immer einen guten Rat hatte, wenn Kollegen nicht mehr recht weiter wussten.“

 

Strecker begann als Obstbauer. Später setzte der Diplom-Ingenieur der Önologie seine Laufbahn als Ausbilder an der Weinbauschule Weinsberg fort. Dort wirkte er an der Fortentwicklung des Kerner (Trollinger x Riesling) mit, der bald zu einer sehr erfolgreichen Neuzüchtung avancierte und in seiner besten Zeit in den neunziger Jahren eine Rebfläche von rund 7 000 Hektar erreichte. Durch zu viele Weine mit wenig Profil ist der Kerner wieder abgedriftet, lässt aber immer noch durch die spezielle, von Weinsberg entwickelte Linie „Justinus K.“ sein Potenzial erkennen.

Strecker forcierte die Doppelsalzentsäuerung, mit der in besonders säurebetonten Jahrgängen Wein erst richtig trinkbar gemacht werden kann. Es ist eine aufwändige Methode mit komplizierten Formeln, aber sie sorgte zum Beispiel im Jahrgang 2010 für eine merkliche Milderung bei Weißweinen, die zunächst deutlich über 10 g/l Säure mit reichlich spitzer Apfelsäure aufwiesen. Er war auch ein Verfechter der Kupferschönung, mit der Böckser (unerwünschte Düfte) im Wein entfernt werden können.

Als Winzer startete er Anfang der siebziger Jahre, als er die Lage Beilsteiner Steinberg, einst Bestandteil des historischen Rittergutes derer von Helfenberg, erwarb. Daraus wurde der Amalienhof mit einer etwa 25 Hektar großen, sorgfältig geformten Einzellage, die fast vollständig von einem Wald eingewachsen ist.

Auf diesen mit diversen Rebsorten bepflanzten Fluren frönte Strecker seiner Leidenschaft, neue Reben zu erzeugen. Sein Hauptsitz blieb zwar Heilbronn. Aber er begann auf der Beilsteiner Anlage, Reben durch Aussaat von tausenden von Lemberger-Kernen zu vermehren. Zielsetzung war es dabei, einen besonders wertvollen Lemberger-Klon zu gewinnen. Aus 200 so entstandenen Stöcken selektionierte er zwei Reben heraus, deren Trauben allerdings, nicht eben typisch für Lemberger, ein deutliches Muskataroma aufwiesen. Gerhard Strecker vermehrte sie trotzdem, wobei sie wegen der Reblausgefahr auf amerikanische Unterlagen aufgepfropft wurden. Die neue, früh reifende Sorte, die 1983 erstmals fünf Liter Wein lieferte, nannte er Muskat-Lemberger. Woher der unverwechselbare, an einen klassischen Muskateller erinnernde Duft kam, blieb ein Rätsel. Aber die Natur geht oft eigene, schwer nachvollziehbare Wege…

Ab 1991 konnte Strecker die Weine mit dem eigenwilligen Aroma vermarkten. 2003 wurde aus rechtlichen Gründen eine Namensänderung in Wildmuskat notwendig; gleichzeitig wurde das Weinkind von Gerhard Strecker vom Bundessortenamt und dem Europäischen Sortenamt offiziell zugelassen. Er bekam noch mit, dass eine molekularbiologische Analyse beim Institut für Rebenzüchtung Geilweilerhof ergab, dass die „Eltern“ der Sorte kaum etwas mit Lemberger zu tun hatten. Möglicherweise hatten Vögel andere Kerne zwischen seinen Versuchsfeldern abgeladen oder starker Wind trieb sein Spiel. Wie dem auch sei, es stellte sich heraus, dass offenbar Sulmer (eine bedeutungslos gebliebene Kreuzung von Lemberger mit Schwarzriesling) und eine muskatartige Tafeltraube namens Noir Hatif de Marseille beteiligt waren. Stockers Tochter Regine Böhringer benutzt seitdem in Beschreibungen die Formulierung „Stammt aus dem Lemberger-Clan“.

Was Ihr Vater außerdem noch registrierte, waren die zahlreichen Komplimente für seinen Wildmuskat in verschiedenen Medien. Ganz aktuell belegte eine trockene Wildmuskat-Auslese einen dritten Rang beim Wettbewerb um den Deutschen Rotweinpreis von Vinum in der Kategorie „unterschätzte Sorten“. Die Entscheidung fiel Anfang September fast zeitgleich mit dem Ableben von Gerhard Strecker.