Kunde beschert Weingut: Ungewöhnliche Probe auf Schloss Vollrads

19.05.2012 - R.KNOLL

DEUTSCHLAND (Oestrich-Winkel) - Dass Weingüter Raritätenproben veranstalten, kommt immer wieder vor. Dass ein Kunde eines Weingutes zu einer solchen Verkostung im Erzeugerbetrieb einlädt und dabei seine eigene Schatzkammer plündert, ist dagegen schon außergewöhnlich - vor allem, wenn es sich um ein Gut vom Rang eines Schloss Vollrads im Rheingau handelt.

 

Rudolf Tschakert, heute Rentner, früher Elektroniker, heimisch im bayerischen Oberland, sowie seine Frau Christine, einstige kaufmännische Angestellte und immer noch nebenbei Weinhändlerin, waren zum zweiten Mal Gastgeber einer Vollrads-Altwein-Verkostung. 1989 hatte er zu sich nach Hause eingeladen und konnte damals Erwein Graf Matuschka-Greiffenclau empfangen, der ihm hinterher ins Gästebuch schrieb: „Ihre Liebe zu Vollrads ist für mich sehr beeindruckend. Nach dem Tod meines Vaters litt der Raritätenkeller sehr. Viele Jahrgänge besitzen wir nicht mehr. Ihr Keller ist perfekt. Ich danke Ihnen für neue Perspektiven von Vollrads. Die wechselreichen Jahre kommen auch im Wein zur Geltung. Toll Ihre Sammlung.“

Diese Sammlung wurde zwischendrin mal etwas beschädigt, weil im Keller ein Feuer ausbrach, dem aber nur wenige Flaschen zum Opfer fielen. Mehr ramponiert wurde da schon der Betrieb, aus dem sie stammten. Das Traditionsgut, eines der ältesten im Familienbesitz auf der ganzen Welt, kam in finanzielle Bedrängnis, weil die Erhaltung des Schlosses viel Geld verschlang. Durch fehlende Investitionen in den Keller kam es zudem zu Qualitätsschwankungen. Das alles konnte der Graf, der sich national und international sehr für deutschen Wein einsetzte, durch sein Charisma nicht ausgleichen. Als sein Hauptgläubiger, die Naspa, 1997 die Schuldenlast (eine stattliche zweistellige Millionenhöhe) als zu hoch ansah und die Insolvenz in die Wege leitete, schied Erwein Graf Matuschka-Greiffenclau aus dem Leben.

Die Bank übernahm bald darauf den Besitz und die Verantwortung für den Fortbestand. Sie investierte und holte - ein Glücksgriff - Dr. Rowald Hepp als Gutsverwalter. Dieser hatte vorher, nach einem Intermezzo beim Hessischen Staatsweingut, für frischen Wind im Staatlichen Hofkeller in Würzburg gesorgt, sah hier aber keine Perspektiven mehr, weil der Freistaat notwendige Maßnahmen blockierte. Dem Motivator Hepp gelang es innerhalb kurzer Zeit, Schloss Vollrads wieder auf Kurs zu bringen. Aber die Verkostung mit Weinen aus dem Tschakert-Keller war für ihn selbst Motivation.

Nach 21 Weinen, beginnend mit dem Jahrgang 1963, zog der Gutsdirektor das Fazit: „Wir haben heute keine großen edelsüßen Weine probiert, sondern eher die normalen Qualitätsweine, Kabinett und Spätlesen. Ich war erstaunt, wie gut sie sich teilweise präsentierten und welche Stabilität sie aufwiesen. Die Frische und Präsenz der sogenannten kleinen Weine war beeindruckend. Das hat uns aufgezeigt, dass Vollrads ein besonderes Weingut ist, für das es sich lohnt, Engagement zu zeigen. Wenn Weine ein Feuer so bravourös überstehen, kann man getrost auch für sie durch’s Feuer gehen!“

Selbst eine Sünde der Vergangenheit war dabei, ein Müller-Thurgau von 1978 (die Sorte ist schon längst ausgehackt). Besonders eindrucksvoll waren der 1963er, 67er, 69er, 70er, 71er, 72er, 75er, 76er (Spätlese und Auslese). Ein 70er korkte, aber das war verschmerzbar.

Tschakert hatte auch nicht davor zurückgeschreckt, einen 1965er „Deputatswein“ mitzubringen, der früher an das Personal ausgeschenkt wurde. Sonderlich motiviert wurde damals mit diesem Wein aus einem der schlechtesten Jahrgänge des 20. Jahrhunderts allerdings wohl kein Mitarbeiter.

Der Weinsammler und seine Frau hatten solche speziellen Raritäten dennoch ihrem Keller einverleibt. „Wir haben den Rheingau ab 1970 kennen und lieben gelernt“, blickt er zurück. Man besuchte Weinseminare und wurde auf Schloss Vollrads aufmerksam, „weil es dort besonders saure Weine gab“. Der Säurefreak erinnert sich noch an den ersten Jahrgang, den er aus dem Schlosskeller verkostete, den 1968er. Bald darauf lernte er etwas ältere Jahrgänge kennen und erkor diesen Rheingauer Riesling in Übereinstimmung mit seiner Frau Christine zum Hauptwein. „Wir waren über einen längeren Zeitraum der größte Abnehmer von Vollrads im süddeutschen Raum.“