Spitzenweine aus dem Knast
13.11.2008 - arthur.wirtzfeld
PORTUGAL (Alcoentre) - "Sie sind süß, weniger als die weißen, aber sie werden gut sein." Joao Manuel steht mit einer Schere in der Hand zwischen Weinstöcken und kostet fachmännisch die diesjährige Ernte. 2008 werde ein gutes Jahr für den Wein im portugiesischen Anbaugebiet Ribatejo, prophezeit er. Manuel ist kein gewöhnlicher Winzer. Nicht die Liebe zum Wein, sondern eine langjährige Haftstrafe hat ihn dazu gemacht. Manuel ist Häftling im Gefängnis von Alcoentre.
Seit 1944 baut das Gefängnis 70 Kilometer nordöstlich von Lissabon Wein an. Viele Jahrgänge wurden bereits ausgezeichnet. 27 Hektar Weinberge gehören zu der Haftanstalt, längst nicht alle der 481 Gefangenen in Alcoentre bekommen die Chance, dort zu arbeiten.
"Es melden sich viele freiwillig", sagt der stellvertretende Gefängnisdirektor Jorge Gregorio. "Wir wählen sie nach der Länge ihrer Strafe aus, in der Regel müssen sie mindestens ein Drittel ihrer Haftzeit verbüßt haben. Aber auch ihr Verhalten spielt eine Rolle und wie gefährlich sie sein könnten." Manuel gehört zu den maximal 60 Auserwählten. "Ich genieße es, es ist toll, draußen zu sein", sagt der 58-Jährige, dessen Vater auch Winzer war - aber in Freiheit.
Die Aufseher wurden als Winzer ausgebildet, denn sie müssen nicht nur aufpassen, dass niemand flüchtet, sondern auch, dass die Häftlinge guten Wein herstellen. In den vergangenen fünf Jahren habe es nie ein ernsthaftes Problem mit der Sicherheit gegeben, sagt Oberaufseher Gabriel Vaz.
Die Gefangenen produzieren jedes Jahr 85.000 Liter Rotwein und 25.000 Liter Weißwein. Der größte Teil davon wird als einfacher Tafelwein verkauft. 10.000 Flaschen des "Chao de Urze" jedoch gelten als Spezialität, die bereits den ersten Preis bei einem regionalen Wettbewerb gewann. Auf jeder Flasche klebt ein Etikett mit der Aufschrift "hergestellt im Gefängnis Alcoentre".
"Das ist ein handwerklich produzierter Wein. Es werden keine Chemikalien oder Maschinen eingesetzt, das ist reine Natur", lobt der Weinkenner Francisco Cruz Ferreira. An dem Wein zeige sich, wie gut die Böden und das Klima in Ribatejo für den Weinanbau seien. Die niedrigen Arbeitslöhne für die Häftlinge - 3,60 Euro pro Stunde - machen es möglich, den Gefängnis-Wein auf traditionelle Art von Hand herzustellen, während die meisten Weingüter zunehmend auf industrielle Produktion umstellen.