Michael Broadbent
Die Weineminenz hinter Christie´s
Text: Arthur Wirtzfeld | Veröffentlicht: 31. März 2020
UK (Bergshire) – Manchmal muss sich eine Nachricht erst setzen, man muss erst über das Gehörte oder Gelesene nachdenken, bevor man es begreift und darüber sprechen kann. In diesem Fall betrifft es die Nachricht vom Ableben eines der Granden der Weinszene – Michael Broadbent. Seine Verdienste sind groß, sein Leben bestand aus der Obhut seiner Mutter, Zufällen und Opportunismus, Akribie und Gewissenhaftigkeit. Seine unermüdliche Leidenschaft und Neugierde für den Wein und den modernen Weinauktionsmarkt sind bemerkenswert. Am 17. März verstarb Michael Broadbent in Berkshire, England. Er wurde 92 Jahre alt.
Vater moderner Weinauktionen und Weinnotizen
Michael Broadbent war 26 Jahre leitender Direktor von Christie's Fine Wine Department und für weitere 17 Jahre Berater des Londoner Auktionshauses. Als Autor schrieb er für den britischen Decanter und auch für Europas Weinmagazin Vinum. Er war es, der die Weinauktion aufbaute, in die Moderne führte, dem Markt für seltene Weine eine Bühne und damit neue Aufmerksamkeit gab. Seine gewissenhafte Arbeit und seine akribischen Verkostungsmethoden machten ihn zu einem anerkannten Experten für sammelbare Weine. Für die internationale Weinwelt gilt Michael Broadbent als Pionier der Weinauktionen. Er brachte Struktur und Raffinessen in die Auktionen, seinem Urteil schenkten Weinsammler aus der ganzen Welt ihr Vertrauen.
Neben seinem Wirken als Weinauktionator war Michael Broadbent ein produktiver Autor und Weinkolumnist, dessen wichtigsten Werke „The Pocket Guide to Wine Tasting“ (1968) und „The Great Vintage Wine Book“" (1980) in vielen Ausgaben und Sprachen erschienen sind. Sein Faible war die Verkostung, die Beschreibung und Beurteilung eines Weins, die er präzisierte wie kein anderer notierte. Die Beschreibung war schon bei Plinius dem Älteren (1. Jahrhundert n. Chr.) ein Zeitvertreib und blieb lange Zeit vage und überaus subjektiv, bis Michael Broadbent eine Methodik festlegte und der Verkostung eine nachvollziehbare Struktur gab. Er skizzierte die Bedeutung jedes einzelnen Elements, von der Tageszeit über die von ihm bevorzugten Gläser, die Reihenfolge der Weine bis hin zur Beleuchtung des Raumes.
„Am besten ist Tageslicht, vorzugsweise ein gutes Nordlicht, da künstliche Beleuchtung sowohl den Farbton als auch das Empfinden des Weins negativ beeinflusst“, schrieb er in einer Notiz. Vermutlich ein Credo für sein Publikum von enthusiastischen Weinliebhabern und Sammlern. Die meiste Zeit seines Lebens hielt er detaillierte Notizen über jeden Wein fest, den er verkostete. So entstand im Lauf der Zeit eine nicht enden wollende Reihe dieser Notizbücher. Seine Frau Daphne begann, sie zu tippen, und Broadbent stellte sie zu einer beliebten Buchreihe zusammen. Er schrieb auch einen Leitfaden zur Verkostung und war nebenbei ein angesehener Weindozent und Pädagoge.
Kritische Weinnotizen bis ins Alter
Selbst als er sich von seiner Rolle bei Christie's zurückzog, schrieb Broadbent bis weit in seine 80er Jahre hinein weiter über Wein und hielt Vorträge. Er schien jeden Tag im Leben zu genießen, oft begann er mit etwas Champagner in seinem Orangensaft zum Frühstück und trank ein wenig Madeira vor dem Mittagessen. Er widmete sich auch in zunehmendem Alter dem Nachdenken über das, was er trank. „Kritische Verkostungen müssen am Leben erhalten werden“, schrieb Broadbent in seinem 1968 erstmals veröffentlichten Leitfaden für Verkostungen. „Es wäre schade, die feinere Wahrnehmung der menschlichen Geschmackserfahrung und die daraus resultierende Palette an Vergnügen verkümmern zu lassen.“
Michael Broadbent im Zeitraffer
Geboren am 2. Mai 1927 durchlief er zunächst ab 1952 eine Ausbildung zum Weinhändler. Im Jahr 1960 machte er erfolgreich seinen Abschluss als Master of Wine. Von 1966 bis in die 1990er Jahre wer er Senior Direktor der Weinabteilung beim Auktionshaus Christie´s. Lange Zeit war Broadbent ein gefragter Gastreferent und Leiter von Weinverkostungen. Im Jahr 1979 wurde er zum Ritter des Ordre national du Mérite ernannt. Seit 1986 war er Präsident der International Wine & Foods Society sowie Ehrenmitglied der Academie du Vin de Bordeaux und etlicher Weinbruderschaften in Frankreich. Bis ins hohe Alter blieb er Senior-Berater bei Christie´s.
Sein in der Weinszene bekanntes wein-literarische Werk „Vintage Wine“, das zuletzt 2002 veröffentlicht wurde, enthält Notizen zu mehr als 10.000 Weinen aus den Jahrgängen 1680 bis 2001. Weinliebhaber und Weinsammler sehen darin eine Bibel, ein Nachschlagewerk gereifter Weine über Jahrzehnte. Michael Broadbent hinterlässt seine zweite Frau, Valerie Smallwood, seinen Sohn, seine Tochter Emma und sechs Enkelkinder.
Portrait „Legendärer Weinkenner“
Mehr zum Leben und Wirken von Michael Broadbent, Anekdoten und warum er konträr zu Parker stand, lesen Sie in meinem Portrait: „Michael Broadbent – was ich gelernt habe“