Rettungsanker der Weinwelt in Zeiten des Klimawandels: Vergessene Rebsorten

14.12.2010 - arthur.wirtzfeld

FRANKREICH (Le Grau du Roi) - Trauben am Weinstock sehnen sich nach Sonnenschein und davon gibt es reichlich in Zeiten des Klimawandels - dabei ist die große Sorge der Winzer in Frankreich und anderswo die globale Erwärmung. Glaubt man den Wissenschaftlern und Weinexperten, dann ist es an der Zeit, sich um die Reben zu kümmern.

 

Die von Klimatologen prognostizierten durchschnittlichen Erhöhungen der Temperaturen in diesem Jahrhundert belaufen sich auf 2 bis 4 Grad Celsius (35,6 bis 39,2 Grad Fahrenheit). Trifft dies so ein, dann wäre der Zauber vieler europäischer Weinberge ruiniert. Und die Warnzeichen bleiben nicht aus. Allein der Wankelmut des Wetters führt zu mehr oder weniger denkwürdigen Jahrgängen. Der Umgang mit den jährlichen Schwankungen ist längst Teil der Alchemie rund um das Elixier Traubensaft.

Seit vielen Jahrzehnten hat man sich nicht oder nur unwesentlich um Klimate kümmern müssen, sondern man hat sich auf Rebsorten spezialisiert, die ausreichend Erträge lieferten, die schneller reiften, ein gutes Säure und Alkoholspiel aufwiesen und die über ihren Geschmack zu wirtschaftlichem Erfolg führten.

Aus heutiger Sicht rissen frühere Generationen ironischerweise langsam reifende Rebstöcke heraus und ersetzen diese mit leicht abweichenden aber schnell reifenden Sorten – so verteilten sich Merlot, Cabernet Sauvignon, Chardonnay und ein halbes Dutzend andere Rebsorten über die Anbauzonen weltweit. Alle diese Sorten liefern perfekt und schnell reifende Frucht.

„Wir haben uns in den letzten 40 Jahren auf früh reifende Sorten konzentriert“, sagt Pascal Bloy, verantwortlich für über 400 Rebsorten beim französischen Institut für Rebe und Wein (IFV). „Die Idee war, eine hohe Reifedichte in kürzester Zeit zu erlangen. Wir realisieren jetzt, dass dies wahrscheinlich ein Fehler war. Aber wir stehen nicht allein mit dem Problem, auch die Portugiesen, Spanier, Italiener und Griechen machen sich gleiche Gedanken.“

„Insgesamt sehen wir mit Sorge den Anstieg des Alkoholgehalts und gleichzeitig den Rückgang an Säure“ sagt Laurent Audeguin, Leiter für Forschung und Entwicklung am französischen Institut für Rebe und Wein (IFV). „Der Säuregehalt ist aber von entscheidender Bedeutung für das Gleichgewicht und den Geschmack sowie auch für ein normales Altern des Weines. Zu viel Wärme und Sonnenstrahlung bedeuten, dass die Trauben noch schneller reifen und es entsteht ein heikles Verhältnis zwischen Zucker und Säure.“

Aber so einfach ist das nicht. Die Identität vieler Weinregionen in Frankreich und anderswo haben sich ein „Terroir“ aufgebaut, das so eng mit den Rebsorten verbunden ist, dass eine Transplantation mit anderen Rebsorten in Bezug auf Akzeptanz im weltweiten Markt unmöglich erscheint. Und das wissen auch die Experten bei der IFV wie auch bei analogen Instituten anderer Weinnationen.

Praktisch nebenbei, aber doch sensibilisiert, hat man schon vor Jahren bei den einschlägigen Instituten behutsam experimentiert und Versuche mit lang reifenden und teilweise vergessenen Rebsorten durchgeführt. Parallel dazu stolperten vorausschauende Winzer auf Sorten, die längst vergessen schienen, nun aber durch ihre robusten Eigenschaften in den Focus rücken. Andere Erzeuger haben aus regionalem Stolz oder bei der Suche nach Marktnischen alte Rebsorten erhalten, die sich jetzt als Glücksbringer erweisen könnten. Alle diese Erkenntnisse der Experten und Winzer werden jetzt hoch beachtet und zusammen getragen.

„Je näher wir dem ursprünglichen Weinberg kommen, desto größere Chancen haben wir bei Vielfalt, Individualität mit gleichzeitiger Anpassung an die kommenden Bedürfnisse“, sagt Laurent Audeguin (IFV). „Es stellt sich zudem heraus, das einige alte Sorten, beispielsweise die Rebsorte Mauzac, die noch aus der römischen Besatzungszeit stammt, die kommende Erwärmung besser verträgt. Wir experimentieren auch mit alten Rebsorten wie der Ugni Blanc, die man zur Herstellung von Cognac verwendet. Unsere Kollegen in Italien tun dies zeitgleich mit der Sorte Trebbiano Toscano. Dabei ist uns allen das Ziel vorgegeben, nämlich Rebsorten wiederzuentdecken, die dem Klimawandel standhalten können“.

Gleichgesinnte wie Michel Issaly, Winzer und Präsident der Unabhängigen Winzer Frankreichs (VIF) haben die Veränderungen in den Weinbergen ebenfalls aufmerksam beobachtet. „Wir entdeckten in den letzten Jahren Vogelarten, die erstmals aus Nordafrika zu uns kamen und sich hier scheinbar wohl fühlen“, sagt Issly. „Wir finden zunehmend neue Arten von Unkräutern und stellen gleichzeitig fest, das andere einfach verschwinden. Beunruhigend dabei ist wie schnell der Wechsel stattfindet, wenn wir nicht bewusst mit dem Klima umgehen, kann das dramatisch werden.“

Die stellaren Jahrgänge 2005 und 2009 in Frankreich und auch anderswo hatten zwar euphorische Anklänge gleichermaßen bei Erzeugern wie bei Weinliebhabern aber andererseits deuten die Experten sie heute als Vorboten einer Änderung. „Wir haben das noch nicht im Griff“, sagt Issly. „Ich empfehle unseren Mitgliedern verantwortungsvoll zu handeln und zwar in Bezug auf Weinberge, Rebsorten, Wasser und Energie. Denn nur mit einem bewussten Umgang können wir der globalen Erwärmung entgegen wirken.“