Tokaj: Wieder «König der Weine»?
Rebfläche
6000 Hektar
Produktion
250 000 Hektoliter
Top 3-Traubensorten
Furmint, Lindenblättriger (Hárslevelü), Muscat Lunel
Weinart
Schmelzige, feinwürzige Edelsüsse, zunehmend auch herbe, kraftvolle Weissweine
Früher wurde sogar die Erde, auf der die Tokajer-Weine wuchsen, in Apotheken als Heilmittel verkauft. Mit den edelsüssen Weinen aus dem Nordosten Ungarns verbinden sich jede Menge Legenden bis hin zur Mär, dass die Weine gut gegen Erkältungskrankheiten sind und die Potenz steigern können. Die französische Kaiserin Eugénie, Gemahlin von Napoleon III., schrieb ihre anhaltende Gesundheit und lang währende Schönheit dem Vinum Tokajense zu, von dem sie jeden Morgen zwei Gläschen trank. Sie wurde immerhin 94 Jahre alt. Der Tokajer war früher der «Wein der Könige, König der Weine». In kommunistischen Zeiten wurde aus ihm ein Massenprodukt, das billig auch in deutschen Supermarktregalen zu finden war. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs drohte zunächst ein Ausverkauf des Gebietes; auch ein deutscher Konzern streckte die Finger aus. Aber es kam nur zu einem freilich nicht geringen Investment aus Frankreich, Italien, England, Spanien und Deutschland, das insgesamt etwa 1000 Hektar umfasste. Inzwischen knüpft der Weinbau wieder an die ruhmreichen alten Zeiten an. Aber die Stilistik der Weine ist vielseitiger geworden. Edelsüsse Grössen gibt es nach wie vor, aber ebenso deutlich mehr herbe Weine als früher.
Geschichte
Schon im 13. Jahrhundert gab es hier eine blühende Weinkultur. Aber damit war es zunächst vorbei, als 1241 die Tataren einfielen. Das Geheimnis der Edelfäule wurde irgendwann im 17. Jahrhundert entdeckt. Später wurden die Weine in europäischen Adelshäusern hoch geschätzt. Auch Päpste, Dichter und Musiker genossen Tokajer. Heinrich Heine vertrat die Auffassung, Leute mit Geschmack sollen täglich Tokajer trinken. In Goethes «Faust» wurde Studenten zugesichert: «Euch soll sogleich Tokajer fliessen.»
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Weinbau nach und nach verstaatlicht. Die diversen Staatsgüter und sonstige Betriebe und Genossenschaften wurden dann 1971 zum Staatsgut Tokaj-Hegyalja zusammengeführt. Die Rahmenbedingungen für die Produktion hochwertiger Weine waren damit sehr schlecht geworden. Nach 1989 konnte man sie noch entdecken, aber es dominierten in den Kellern vor allem unverkäufliche Altlasten. Der klassische Tokajer war in der kommunistischen Zeit im europäischen Westen weitgehend in Vergessenheit geraten. Er hat sich mittlerweile wieder recht gut erholt. Dazu beigetragen hat die 1995 gegründete Vereinigung Tokaj Renaissance mit etwa 20 ambitionierten Betrieben.
Klima und Boden
Im Gebiet herrscht ein kontinentales Mikroklima mit Feuchtigkeit und Nebel im Herbst vor, ideal für die Gewinnung von edelsüssen Weinen. Im Boden der vulkanischen Hügellandschaft befinden sich Lava, Ton, Kies und Löss.
Weine und Produktionsmenge
Die Erträge unterscheiden sich sehr deutlich nach Weinarten. Für die einfacheren Qualitäten können schon mal 100 und mehr Hektoliter pro Hektar eingebracht werden. Die Einstiegskategorie heisst Szamorodni (wie gewachsen). Je nach Zuckergehalt im Wein wird unterschieden zwischen Száraz (trocken) und Édes (süss). Die wertvollere Linie ist Aszú, bei der edelfaule Beeren im Spiel sind. Bei einem komplizierten Herstellungsprozess spielen Bütten und Göncer-Fässer eine Rolle. Es gibt eine Skala von drei- bis sechsbüttigen Aszú mit Vorschriften über die Lagerzeit. In absoluten Topjahren ist dann noch die Gewinnung von Aszú Esszencia und Esszencia (Nektar) möglich; das sind extrem konzentrierte Weine mit hoher Süsse und wenig Alkohol, die man fast löffeln kann.