Bordthäusers Sensorikschule
Mit allen Sinnen
Folge 7: der Trigemnius
Wein lässt sich nicht nur mit Nase und Gaumen sensorisch erfahren, auch das sogenannte trigeminale System spielt eine wichtige Rolle. Da können einem schon mal die Tränen kommen...
Nachdem es in den letzten Folgen ums Schmecken und Riechen ging, kommen wir jetzt zum dritten Teil unseres sensorischen Systems, nämlich zur trigeminalen Wahrnehmung. In der Hauptrolle: der Trigeminus, ein in drei Hauptäste geteilter Nerv. Der Nervus trigeminus oder auch Drillingsnerv ist der fünfte Hirnnerv und führt sensible und motorische Fasern, mit denen er weite Teile des Kopfes erreicht.
Der Trigeminus teilt sich auf in den Augenast (Nervus infraorbitalis), den Oberkieferast (Nervus buccalis) und den Unterkieferast (Nervus mentalis). Der Trigeminus verfügt nicht über Sinneszellen oder Rezeptoren, sondern die Reizwahrnehmung findet in freien sensiblen Endbereichen des Nervs statt. Diese freien Endungen liegen im Auge (Augenast) sowie in den Schleimhäuten der Mund- und Nasenhöhle (Ober- und Unterkieferast). In den Papillen unserer Zunge finden sich bis zu dreimal mehr Verbindungen zum Trigeminus als zu Fasern des gustatorischen Systems. Der Gesichtsnerv erfasst taktile (haptische) Wahrnehmungen und ist ebenfalls an der Duftwahrnehmung beteiligt, das heisst: Die nasal-trigeminalen Fasern reagieren auch auf olfaktorische Reize und tragen essenziell zur Intensität der Geruchswahrnehmung bei (retronasale Passagen). Wir müssen daher nicht nur von gustatorischer und olfaktorischer, sondern auch von trigeminaler Wahrnehmung sprechen.
Stand der aktuellen Forschung ist, dass über den Trigeminus hauptsächlich die irritativen Eigenschaften erfasst werden, also zum Beispiel Schärfe, Prickeln, Adstringenz, brennende, beissende, stechende und kühlende Reize – ausgelöst beispielsweise durch Chili, Kohlensäure, Tannin, Senf, Meerrettich, Alkohol und Menthol. Dies sind zusätzliche qualitative Eigenschaften, die nichts mit der gustatorischen und olfaktorischen Wahrnehmung zu tun haben. Die Aussage, etwas sei so scharf, dass man nichts mehr schmecke, stimmt folglich nicht wirklich, da die Schärfewahrnehmung (die ebenso wie die Wahrnehmung von Menthol über Thermorezeptoren erfolgt) die gustatorische Wahrnehmung nicht auslöscht, sondern lediglich ergänzt.
Die gängigen trigeminalen Irritationen sind jedem von uns aus dem Alltag bekannt: Der Augenast reagiert auf die reizende Aminosäure Isoalli in der Zwiebel mit Tränen. Der Oberkieferast, verbunden mit dem olfaktorischen System, reagiert mit Atemstillstand oder Brechreiz auf Reizungen wie Ammoniak (verdorbene Lebensmittel). Auf die anderen genannten Irritationen reagiert der Unterkieferast, bei Schärfe unter anderem mit Schluckauf und Endorphinausschüttung. Darüber hinaus wird das Mundgefühl, auch Textur genannt, über den Trigeminus erfasst. «Wie fühlt sich das an?», ist auch bei der Bewertung von Wein ein entscheidendes Kriterium. Zweifellos sorgt ein fetter, fassausgebauter Chardonnay für ein anderes Mundgefühl als ein trockener Riesling mit acht Prozent Säure. Und auch das Tannin und die damit verbundene Adstringenz sind letztlich nicht geschmacklich, sondern haptisch wahrnehmbar, genauso wie die Bläschen im Champagner. Sind sie feinperlig und klein oder eher grob?
All dies sind entscheidende Parameter, die über die Basiseigenschaften des Geschmacks sowie des Geruchs letztlich die Qualität des Weins mit beeinflussen. Auch die Geschmacksrichtung umami wird über den Trigeminus im Rachenraum wahrgenommen. Es handelt sich folglich um keinen Geschmack im rein gustatorischen Sinne, sondern um eine summarisch qualitative Erhöhung aller sensorisch erfassbaren Eigenschaften, vergleichbar mit der Loudness-Taste an der Stereoanlage.
Umami wird durch die Anwesenheit von Glutamat in Speisen und Getränken wahrgenommen. Präzise handelt es sich hierbei um das Natriumsalz der proteinogenen Alpha-Aminosäure Glutamin. Sie ist ein wichtiger Neurotransmitter für die Reizweiterleitung zwischen den Nervenzellen und kommt hauptsächlich in proteinreicher Kost vor, insbesondere in tierischen Nahrungsmitteln. Hohe Konzentrationen findet man in der Muttermilch (22 mg/l), aber auch in Quark, Fleisch, Tomaten (140 mg/kg, im Mark das Vierfache), Parmesan, Fisch, Hefe und Soja. Die höchsten Konzentrationen werden in gereiftem Parmesan mit bis zu 1200 mg/kg gemessen. Glutamat pur schmeckt süss-säuerlich und verstärkt vornehmlich den Geschmack salzhaltiger Speisen.
Umami und bitter verstärken sich. Wird also eine umamihaltige Speise von einem Wein mit Barrique-Ausbau oder hohem Tanningehalt begleitet, tritt ein unangenehmer Bitterton in den Vordergrund. Frucht- oder säurebetonte Weine sind folglich als Begleiter umamihaltiger Speisen den tanninstarken oder deutlich fass ausgebauten vorzuziehen. Laut der WHO kann Glutamat wie Trinkwasser täglich in unbeschränktem Umfang aufgenommen werden. Wir öffnen aber lieber eine gute Flasche Beaujolais, bis es in der nächsten Folge unserer Sensorikschule in die Finalrunde geht.