Porträt Nizza DOCG
Terroirweine aus dem Piemont
Text: Christian Eder, Fotos: Sabine Jackson
Im Monferrato, im Herzen des Piemont, liegt die Heimat der Barbera-Traube. Als Nizza DOCG ist sie ein Terroirwein par excellence, elegant und langlebig zugleich. Produziert wird er auf den Hügeln von 18 Gemeinden rund um die Stadt Nizza Monferrato.
«Die Eleganz kommt von diesem ganz speziellen Mikroklima im Herzen des Monferrato», sagt Gianni Bertolino, «von der unterschiedlichen Bodenbeschaffenheit, den thermischen Unterschieden zwischen Tag und Nacht, der Position der Rebberge.» Gianni Bertolino ist nicht nur selbst auf dem Familien-Weingut Tenuta Olim Bauda Weinproduzent, sondern hat es sich als Präsident der Associazione Produttori del Nizza zur Aufgabe gemacht, den Weinen dieses kleinen, feinen Anbaugebietes rund um die Stadt Nizza Monferrato den Stellenwert zu verschaffen, den sie verdienen. Gianni Bertolino: «Wir wollten zum Ausdruck bringen, dass die Barbera aus dem Gebiet rund um Nizza Monferrato etwas Besonderes ist. Der erste Schritt war, dass wir 2002 zu einer der drei Unterzonen der Barbera d’Asti DOC wurden. 2008 wurde das Gebiet ein DOCG und 2016 – für den Jahrgang 2014 – haben wir schliesslich das Nizza DOCG eingeführt und der Name Barbera wurde eliminiert. Wir sind nun eine geografische Ursprungsbezeichnung wie alle grossen Weinbauzonen der Welt.»
«Eine gute Barbera für einen Nizza DOCG kann man nur dort produzieren, wo das Terroir passt.»
Die Barbera-Traube, die für den Nizza DOCG reinsortig gekeltert wird, vereint Fruchtigkeit und rassige Säure mit viel Komplexität und Finesse. «Dadurch sind es langlebige Weine», meint Gianni Bertolino, «Weine, die erst in zehn, manchmal fünfzehn Jahren ihren Höhepunkt erreichen.»
Auch für Daniele Chiappone – Vizepräsident der Associazione Produttori del Nizza und Besitzer des Weingutes Erede di Chiappone Armando – ist diese Langlebigkeit ein bislang unterschätzter Faktor: «Gerade bei alten Pflanzen in guten Lagen erreicht die Barbera ein völlig anderes Qualitätsniveau», ist Daniele Chiappone überzeugt, «und viele dieser alten Weinberge findet man bei Nizza Monferrato.» Dieses Grand Cru der Barbera erstreckt sich über 18 Gemeinden (von insgesamt 169 Gemeinden, die Barbera d’Asti produzieren dürfen).
Hier sind die Hügel weicher als in der rauen Langhe oder im Roero; rund um pittoreske Dörfer und Städte wie Nizza, Calamandrana oder Agliano Terme werden vorwiegend Barbera und Moscato ausgepflanzt. Und doch ist die Landschaft hier alles andere als monoton: Rebberge wechseln sich ab mit Wäldern und Getreidefeldern, sind durchzogen von kleinen Flussläufen und Strassen.
«Unser Ziel war es auch, mit dem Nizza DOCG die Besonderheit dieses Anbaugebietes hervorzuheben», erklärt Präsident Bertolino. Da wäre zum einen die Vielfalt der Böden: Sie variieren von sandigen Komponenten in Vinchio oder Mombaruzzo über lehmige Böden in Nizza Monferrato oder Calamandrana bis hin zu Schiefer in San Marzano. «Durch die Ausdehnung über 18 Kommunen sind die Weine natürlich nicht homogen oder austauschbar», sagt er, «ähnlich wie im Burgund werden im Nizza DOCG die unterschiedlichen Terroirs zum Ausdruck gebracht: Und das – so hoffen wir – auf hohem Niveau.»
Für Gianni Bertolino steht die Barbera erst am Anfang: In der Klonselektion und in den Weinbergen gibt es noch einiges zu tun und noch immer sind nicht alle grossen Lagen ausgelotet. «Und die Lage ist wirklich fundamental», meint er, «die Traube kann zwar überall viel Ertrag bringen, aber eine gute Barbera für einen Nizza DOCG kann man nur dort produzieren, wo das Terroir passt.»
Runder Tisch
Wie langlebig ist ein Nizza DOCG?
Eine Vertikale aus der Geschichte des Nizza DOCG: Acht Weine der Jahrgänge 2015 bis 2009 zeugen von der Langlebigkeit dieser Terroirweine. Mit ihren Produzenten, Mitgliedern des Vorstands der Winzervereinigung Associazione Produttori del Nizza, sprachen wir im Rahmen eines runden Tisches über das Alterungspotenzial und mehr.
VINUM: Die Geschichte des heutigen Nizza DOCG begann 2002 mit der Gründung der Winzervereinigung. Wie hat sich in diesen Jahren die Qualität verändert?
Michele Chiarlo: «Als wir in den ersten Jahren, 2002 oder 2003, die rund 20 Weine probiert haben, die es damals gab, gab es sicher auch noch eine Handvoll mit Problemen. Heute kommt dies bei 67 Nizza-Winzern nur mehr sehr selten vor. Früher war das Holz in vielen Weinen präsent, heute dominiert die Eleganz den Nizza DOCG.»
Gianni Bertolino: «Ein guter Nizza DOCG hat kein Problem mit dem Holz, es trägt bei den Riserva-Qualitäten zur Komplexität des Weines bei. Wobei ein Nizza DOCG ein sehr harmonischer Wein ist: Auch in warmen Jahrgängen – wie zum Beispiel 2015, 2016 oder 2017 –, und bei einer Alkoholgradation von jenseits von 14 Volumenprozent ist der Wein durch die Säure immer sehr ausgewogen und harmonisch.»
Roberto Morosinotto: «In den Produktionsregeln des Nizza DOCG ist daher eine Passage in Holz vorgesehen, das gibt dem Wein Stabilität und Charakter. Und wie gesagt, eine Barbera verträgt die Reife im Fass sehr gut.»
Daniele Chiappone: «In den vergangenen 20 Jahren hat sich natürlich der Einsatz verändert, weniger Tostatur, weniger kleines Holz sind heute üblich. Gerade ein Mix aus Tonneaux und grossen Fässern stellt sich immer mehr als ideal für den Nizza DOCG heraus.»
Michele Chiarlo: «Und auch das Konsumverhalten ist heute anders: Immer wieder stösst man auf Weine meist internationaler Rebsorten, die zwar auf den ersten Schluck mit ihrem Charakter überzeugen, aber wenn man nach einer halben Stunde schaut, wie viel davon getrunken wurde, dann fehlt in der Flasche kaum etwas, weil sie zu dicht und konzentriert sind. Das passiert bei einem Nizza DOCG nicht: Barbera ist eine Traube mit sehr viel Säure und wenig Tanninen und die Basis von sehr eleganten Weinen, die vor allem sehr süffig sind.»
Claudio Dacasto: «Der Stil der Barbera hat sich in diesen Jahren in Richtung Frische gedreht: Gerade die entgegenkommende Fruchtigkeit eines Nizza DOCG ist charakteristisch für diesen Wein.
VINUM: Ein Nizza DOCG verträgt aber auch den Alkohol sehr gut...
Mauro Damerio: «Eine höhere Alkoholgradation braucht ein Nizza DOCG zur Stabilisierung. Natürlich ist in warmen Jahren die Alkoholgradation höher, aber der Jahrgang sollte sich ja im Wein widerspiegeln. Und der Alkohol ist nur in den seltensten Fällen überbordend, weil ein Nizza DOCG von sich aus sehr harmonisch ist.»
Roberto Morosinotto: «Es hat sich auch die Technik in diesen Jahren geändert. Man kann heute im Rebberg und im Keller viel punktgenauer arbeiten, das Terroir in den unterschiedlichen Zonen des Nizza DOCG besser herausarbeiten. So erkennt man Weine aus dem Süden des Nizza DOCG – den höheren Lagen, die bis auf 500 Meter reichen – zum Beispiel an ihrer prägnanteren Säure.»
Claudio Dacasto: «Heute haben wir einen viel niedrigeren Hektarertrag als früher. In einem kühlen Jahr wie 2014 mussten wir schon entlauben, damit die Trauben genug Sonne bekamen. In heissen Jahren wie 2015 oder 2017 hingegen musste man die Trauben schützen. Das ist aber durchweg gut gelungen: Die drei Jahrgänge von 2015 bis 2017 sind sehr ausgewogen.»
Roberto Morosinotto: «Auch der ideale Erntezeitpunkt ist ganz wichtig für die Balance der Weine.»
Daniele Chiappone: «Das Gebiet des Nizza DOCG weist klimatisch völlig unterschiedliche Zonen auf, das ergibt manchmal bis zu drei Wochen Unterschied beim Lesezeitpunkt zwischen einer im Norden und einer im Süden. Und wir lesen nicht einmal mehr Zone für Zone, sondern Rebberg für Rebberg in einem Weingut. Man sollte erwähnen, dass gerade ältere Reben – manche sind 60 bis 70 Jahre alt – für den Nizza DOCG eine hervorragende Basis bilden.»
Gianni Bertolino: «Diese unterschiedlichen Einflüsse sind eine grosse Herausforderung für ein Anbaugebiet. Jedes Gut muss selbst entscheiden, in welche Richtung es geht. Zum Beispiel bei der Nachhaltigkeit im Rebberg und im Keller. Das sind sehr positive Dinge, die dem Produkt guttun, den Pflanzen und natürlich auch dem Winzer und seiner Familie. Immer mehr Betriebe sind deshalb auch in Konversion zu biologischem Anbau.»
Michele Chiarlo: «Wir bewirtschaften unsere Einzellagen bereits nach einem Nachhaltigkeits-Protokoll. Das ist ohne Zweifel mehr Aufwand, aber im Endeffekt trägt es zum positiven Image des Betriebes bei.»
VINUM: Wie langlebig ist ein Nizza DOCG?
Mauro Damerio: «Das ist natürlich auch von Jahrgang zu Jahrgang unterschiedlich. Der aktuelle Jahrgang 2016 zum Beispiel hat grosses Potenzial.»
Claudio Dacasto: «Auf einen Nizza DOCG muss man andererseits nicht warten, bis er trinkreif ist: Er ist von Beginn an hervorragend und ein perfekter Essensbegleiter.»
Roberto Morosinotto: «Es hängt auch davon ab, welche Stilistik man bevorzugt: Im Alter verliert die Barbera natürlich etwas von der frischen Frucht, gewinnt aber an balsamischen Noten.»
Daniele Chiappone: «Das ist sicherlich eine positive Eigenschaft der Barbera: Auch nach 10, 15 Jahren hat sie noch eine Super-Trinkigkeit.»
Michele Chiarlo: «Renato Ratti – eine der grossen Persönlichkeiten des piemontesischen Weinbaus – hat einmal gesagt: La Barbera è il vino più tutti d’Italia – einfach übersetzt: Die Barbera hat einfach alles und mehr als alle anderen Weine Italiens. Und das trifft auch auf den Nizza DOCG zu.»
Die Küche
Agnolotti, Bagna Cauda und Cardo Gobbo
Die Rebhügel des Monferrato sind seit 2014 UNESCO-Weltkulturerbe. Hier findet man eine eigenständige Küche, die man in traditionellen Restaurants oder Trattorien unverfälscht geniessen kann.
Rund um die Stadt Nizza Monferrato wird einer besonderen Spezialität gehuldigt, die auch ein Slow-Food-Presidio ist: dem Cardo Gobbo di Nizza. Cardaroli sind ein Wintergemüse, das in den sandigen Böden zwischen Nizza Monferrato, Incisa Scapaccino und Castelnuovo Belbo angebaut wird. Sie werden im Mai gesät, im Oktober geerntet und dank einer speziellen Anbautechnik zu Gobbi, Buckeln. Sie werden nicht bewässert und nicht gedüngt. Im September, wenn sie bereits ausgewachsen sind, werden sie mit Erde bedeckt, wölben sich, und um ans Licht zu gelangen, verwandeln sie sich in bucklige Disteln.
Nach einem Monat werden die Disteln ausgegraben, die äusseren Blätter entfernt, und das Herz bleibt erhalten. Dieses ist dann aussergewöhnlich süss und knackig und wird auch gerne roh gegessen. Es ist aber auch wichtiger Bestandteil der Bagna Cauda, einer Art Fondue, bei dem rohes Gemüse in eine warme Sauce aus Olivenöl, Sardellen und Knoblauch gestippt wird. In Nizza Monferrato gibt es eine «Bruderschaft der Bagna Cauda und des Cardo Gobbo». Aber Cardo Gobbo ist vielseitig: Er kann gefüllt, gebraten, in Suppen verwendet und auf viele andere Arten gekocht werden.
Und vielfältig ist die Küche des Monferrato allemal: Das beginnt schon bei den zahllosen Salumi und führt über die Carne Cruda (rohes, feinzerhacktes Rindfleisch), Vitello tonnato (Kalbfleisch mit Thunfischsauce) und die klassischen Tajarin oder Agnolotti del Plin (kleine handgemachte Ravioli) bis zu einem Bollito Misto (gekochtem Fleisch), Steaks und Wildgerichten. Zu all diesen Gerichten passen natürlich die Weine des Piemont wie der Korken auf die Weinflasche – allen voran der Nizza DOCG.
Das empfehlen die Produzenten zum Nizza DOCG
Gianni Bertolino, Präsident der Associazione Produttori del Nizza und Mitbesitzer der Kellerei Tenuta Olim Bauda: «Stinco di Vitello (Kalbshaxe).»
Daniele Chiappone, Vizepräsident der Associazione Produttori del Nizza und Besitzer der Kellerei Erede di Chiappone Armando: «Ohne Zweifel Kaninchen in verschiedensten Zubereitungsarten.»
Mauro Damerio, Präsident der Enoteca Regionale Nizza Monferrato und Besitzer der Kellerei Damerio: «Ravioli all’arrosto (Raviolo mit Rostbratenfülle).»
Michele Chiarlo, Gründer der Kellerei Michele Chiarlo: «Coniglio al Forno (gebratenes Kaninchen). Man kann ihn auch zur asiatischen Küche probieren.»
Roberto Morosinotto, Önologe der Kellerei Bersano: «Käse, auch Gorgonzola und Stilton.»
Claudio Dacasto, Önologe der Kellerei Cascina la Barbatella: «Cioccolato Fondente – dunkle Schokolade – passt zu gereiftem Nizza.»
Reise
In der Heimat des Nizza DOCG
Die sanfte Landschaft des Astigiano, die steilen Hügel des Monferrato, Turin, die ehemalige Residenzstadt der italienischen Könige, Naturparks und Schutzgebiete, stille Seen und geschichtsträchtige Schlösser – die Heimat der Barbera-Traube ist immer eine Reise wert.
Nizza Monferrato (auf Piemontesisch Nissa) ist der Hauptort des Anbaugebietes des Nizza DOCG und ein wichtiges Handelszentrum der Region. Gegründet im Jahr 1225, liegt die Stadt an den Flüssen Belbo und Nizza im Herzen des Monferrato. Umgeben ist die Stadt von den sanften Hügeln des Monferrato, die ideal sind für den Rebbau. Aber auch die Stadt selbst lohnt einen Besuch: Sehenswert ist der Palazzo Comunale aus dem 14. und 15. Jahrhundert, der vom Turm des Gemeindeamtes überragt wird, von den Nizzesern «el Campanon» genannt.
In der Nachbarschaft findet sich auch der Palazzo de Benedetti, eine prachtvolle Residenz aus dem 18. Jahrhundert. Im Ospedale Santo Spirito ist die kleine Chiesa del Santo Spirito mit dem prachtvollen Holzportal einen Besuch wert. Ebenfalls aus dem 18. Jahrhundert stammt übrigens der Palazzo Crova mit seinem ummauerten Garten, in dem heute die Enoteca Regionale und auch die Associazione Produttori del Nizza ihren Sitz haben. Die Enoteca förderte 1998 die Gründung des Slow-Food-Presidio des «Cardo Gobbo di Nizza», einer Gemüseart, die im Schwemmland des Belbo-Tals angebaut wird.
Der Weinkeller der Enoteca befindet sich im Untergeschoss des Palazzo Baronale Crova: Hier findet man fast alle Etiketten des Nizza DOCG. Im Obergeschoss sind zwei kleine Museen untergebracht: Das Museo del Gusto widmet sich der kulinarischen und önologischen Tradition des Monferrato, das andere zeigt die Kunstsammlung von Davide Lajolo (unter anderem mit Arbeiten von Nerone).
Einmal im Jahr (2020 am 8. und 9. Juni) findet in Nizza Monferrato der Corsa delle Botti statt, ein Rennen, bei dem verschiedene Mannschaften aus Weinproduzenten der Gegend ihre Fässer durch die Stadt treiben (www.corsadellebottinizza.com). Zur gleichen Zeit ist Nizza auch Schauplatz des Genussfestivals Monferrato in Tavola, bei dem man die Weine der lokalen Produzenten zur piemontesischen Küche geniessen kann.
Doch nicht nur Nizza Monferrato, auch die Umgebung ist einen Besuch wert: Am besten erkundet man Orte wie Calamandrana, Castel Boglione oder Agliano Terme (mit seinen sulfathaltigen Heilquellen) auf der Strada del Vino Astesana, die zu den Produzenten des Nizza DOCG führt.
www.astesana-stradadelvino.it
Die Mitglieder des Konsortiums Nizza DOCG