Teamplayer mit klarem Blick
Winzerlegende Johannes Meier, Thurgau, Schweiz
Text: Thomas Vaterlaus, Foto: Siffert / weinweltfoto.ch, meinradschade.ch,
Seit acht Generationen residiert die Familie Kesselring, heute vertreten durch Johannes Meier, im Schlossgut Bachtobel bei Weinfelden. Beschäftigten sich die früheren Schlossherren mit Politik, Juristerei und Militär und überliessen das Weinmachen ihren Rebleuten und Knechten, formten die letzten drei Patrons das Anwesen zum Spitzenweingut. Heute zeigen sich die Bachtobel-Weine ebenso wohlproportioniert, wie auch das Anwesen als Ganzes im sanften Hügelland des Thurtals thront.
Einige Wochen nach der Ernte findet im Schlossgut Bachtobel jeweils ein Schauspiel statt, das fast schon an ein Ritual eines mittelalterlichen Geheimbundes erinnert. Beleuchtet vom spärlichen Licht einiger Funzeln nimmt das Bachtobel-Team den riesigen alten Torkel aus dem Jahr 1584 in Betrieb. Erst werden 3500 Kilo durchgegorene Pinot-Maische vom Gärtank zum Torkel-Bett geschleppt. Dann wird mittels Muskelkraft der gigantische Pressbaum in Bewegung gesetzt, der vor 500 Jahren über den gefrorenen Bodensee hierhergebracht worden ist. Der «Dinosaurier» ächzt und knarrt, bis er schliesslich einen dünnen Strahl Presswein von sich gibt. «Was wir in antiker Weise ohne Strom aus dieser Presse holen, ist qualitativ so gut wie das, was eine moderne Hightech-Presse hergibt, nur ist alles viel zeitaufwändiger», sagt Bachtobel-Patron Johannes Meier. Der «ancestral» gewonnene Presssaft veredelt heute die Pinot-Noir-Selektion N°3.
«Wer verfolgt, was hier ge-leistet wird, weiss: Das Beste kommt noch!»
Es ist somit ein Wein, in dem die ganze DNA dieses Weingutes mitschwingt. Denn der Torkel mit dem damals schon alten Pressbalken, wurde hier installiert, kurz nachdem die Kesselrings im Jahr 1784 das Landgut gekauft hatten. 1976 benutzte Ausnahmewinzer Hans Ulrich Kesselring das Monstrum zum letzten Mal, liess es aber ein Vierteljahrhundert später wieder aufwändig restaurieren. Unter seinem Neffen Johannes Meier, dem gegenwärtigen Schlossherrn, ist es nun wieder im Einsatz. Bachtobel ist ein Ort, in dem die Vergangenheit stets in der Gegenwart mitschwingt. Trotzdem ist es kein nostalgisch musealer Ort, sondern einer, in dem die Weingeschichte stetig, aber fern von kurzfristigen Trends und Moden weitergeschrieben wird.
Hans Ulrich, der letzte Kesselring, der im artigen Herrenhaus mit dem französisch anmutenden Mansardendach residierte, verhalf dem Gut vor allem mit seinen Pinot-Noir-Selektionen 2 und 3 zu einem Ruf, der weit über den Thurgau, ja selbst über die Landesgrenzen hinausreichte. Die Basis dazu waren eine akkurate Rebbergsarbeit und eine akribische Vinifikation. Aber auch das Charisma des Schlossherrn steigerte die Bekanntheit. Gab er sich im Umgang mit den stets zahlreicher werdenden Gästen meist feinsinnig und charmant, war er im direkten Gespräch zuweilen auch launisch und mit seiner Gabe zur messerscharfen Analyse unerbittlich. Manchmal wirkte er in seinem Schloss wie ein Einsiedler, dem «Steppenwolf» in Hermann Hesses gleichnamigen Roman nicht unähnlich, gefangen im Bachtobel-Universum, in dem ihm seine sechs Vorfahren, festgehalten in Öl, mit strengem Blick über die Schulter schauten. Einzigartig waren seine jährlichen Kundenbriefe, eigentliche Essays zu ihm wichtigen Themen. Im letzten vom Mai 2008 beschreibt er den Besuch eines Naturwein-Bistros in Paris mit Winzerfreunden. Im Gegensatz zu seinen Begleitern konnte er den offenbar reichlich konsumierten «Naturelles» durchaus Positives abgewinnen, auch wenn er abschliessend festhält, dass «ein abendliches Füsse-Waschen keinem der Weine geschadet hätte». Kesselring wusste sehr genau, dass die von ihm geschätzten Spitzenweine im Burgund mit einem Minimum an Intervention entstehen. Gleichzeitig konnte er seine Ausbildung, in der die Lebensmittelsicherheit als oberstes Gebot galt, nie ganz abschütteln. Darum verbrachte er viel Zeit in seinem bestens ausgestatteten Labor. Kesselring war auch der Meinung, dass es seinen Bachtobel-Crus bei sorgfältigstem An- und Ausbau im internationalen Vergleich eigentlich nur an etwas Fülle fehlte. Darum kaufte er Mitte der 1990er Jahre einen Vakuumverdampfer zur Mostkonzentration. Mit diesem entzog er etwa seinem 1998er Blauburgunder zehn Prozent des Wasseranteils. Das Resultat war ein Bachtobler mit fast schon kalifornischer Dimension, der die Kritiker beeindruckte. Doch bereits im Hitzejahr 2003 realisierte Kesselring, dass die Klimaerwärmung das teure Gerät in erschreckend kurzer Zeit überflüssig gemacht hatte.
Bekenntnis zu mehr Frische und Eleganz
Hans Ulrich Kesselring war 20 Jahre alt, als sein Vater Johann Ulrich, der ebenfalls bereits als Qualitätspionier in die Ostschweizer Weinbaugeschichte eingegangen ist, 1967 im Alter von 69 Jahren überraschend verstarb. Seine Mutter übernahm interimistisch die Führung des Weingutes, bis Hans Ulrich die Ingenieursschule in Wädenswil und Praktika im Beaujolais und in Kalifornien beendet hatte. Den familiären Druck zur schnellen Übernahme empfand der junge Gutsherr als Belastung. Deshalb wollte er selber den Übergang zur nächsten Generation sanfter gestalten. Anfang 2008 einigte er sich mit seinem Neffen Johannes Meier auf eine mehrjährige Übergangsphase. Doch nur wenige Monate später, im September 2008, kurz vor Beginn der Ernte, schied der 62-Jährige durch Suizid aus dem Leben. Mit einer noch viel dramatischeren Zäsur konfrontiert als sein Vorgänger, übernahm Johannes Meier das Schlossgut quasi über Nacht. Und hatte Glück im Unglück. Mit der Önologin Ines Rebentrost fand er eine Mitstreiterin auf gleicher Wellenlänge. Und da war auch noch Fazli Llolluni.
Der Kosovo-Albaner war während des Bosnienkrieges in die Schweiz geflüchtet und hatte seit Anfang der 1990er Jahre mit Kesselring zusammengearbeitet. Wie sich zeigte, wusste Llolluni verblüffend detailliert Bescheid über die Abläufe in Rebberg und Keller. Mit einem pragmatischen Ansatz brachte das Ad-hoc-Team schliesslich eine 2008er Kollektion in die Flasche, die beste Bachtobel-Werte verkörperte. Und die filigranen Weine dieses Jahrgangs nahmen quasi das Credo des neuen Teams vorweg. Denn mit den nachfolgenden Jahrgängen entwickelte sich Bachtobel zunehmend zu einem Garanten für beschwingt-frische Weine mit viel Spannkraft. Ohne die weinphilosophische Hinterlassenschaft von Hans Ulrich Kesselring in Frage zu stellen, hat das Team seither starke Akzente gesetzt.
Der Claret, die Ottenberger Interpretation eines Bordeaux-Blends, wurde ebenso aus dem Sortiment genommen wie der Süsswein. Dafür bekam die «kesselringische» Pinot-Qualitätspyramide mit der N°4, einer Selektion aus ausgewählten Burgunderparzellen, eine neue Spitze. Für den ebenfalls neuen Mousseux «MX» Extra Brut, eine Assemblage aus Chardonnay und Pinot Noir, wurde extra eine schlecht reifende Lage mit Chardonnay bepflanzt, der heute bei 70 Grad Öchsle geerntet und im Eichenfass vinifiziert wird. Die Reifezeit dieses vorzüglichen Schäumers nach der zweiten Gärung auf der Hefe wurde mit den Jahren kontinuierlich auf 38 Monate erhöht. Gut möglich, dass bald noch ein zweiter Schäumer, ein Millésimé, dazukommt. Zudem ist inzwischen auch eine Topparzelle mit Chardonnay bepflanzt worden. Die Bachtobel-Crew will ausloten, was die weisse Leitsorte des Burgunds in den sandigen Lehmböden im Bachtobel zu leisten vermag.
Als wichtigste Neuerung und Investition in die Zukunft gilt aber die Umstellung auf den kontrolliert biologischen Anbau. Der jetzige Schlossherr wirkt in vielerlei Hinsicht wie der personifizierte Gegenpol zu seinem Vorgänger. So wohnt er auch nicht im Schloss im Schatten seiner Ahnen, sondern hat für sich und seine Familie die Scheune gegenüber zu einem Wohnhaus umgebaut. Und auch wenn ein kantiger Charakter wie Hans Ulrich Kesselring in der helvetischen Weinszene fehlt, so gilt es festzuhalten, dass die Bachtobel-Weine noch nie so gut waren wie jetzt, unter der Ägide von Johannes Meier. Geschafft hat er das nicht als Einzelgänger, sondern als Teamplayer. Wer verfolgt, wie hier gearbeitet wird, darf die Prognose wagen: Das Beste kommt noch!
Mit Grip und Schwung
Der Pinot Noir, der in vier Ausführungen in die Flaschen kommt, ist die Parade-Disziplin des Bach-tobel-Teams. Für Furore sorgt aber auch ihre jüngste Schöpfung, der Extra-Brut-Schäumer «MX».
«MX» Mousseux Extra Brut
Thurgau, Schweiz
94 Punkte | 2025 bis 2028
Cuvée aus Chardonnay (60%) und Pinot Noir, wobei der Chardonnay-Grundwein im Holz gereift ist. Nach der zweiten Gärung 38 Monate auf der Hefe gereift. Ein Hauch von Bergamotte und Mandarine, edle Noten von geröstetem Brot. Im Gaumen glasklar, frisch und geradlinig. Tolle Säure, viel Spannkraft.
«MT» Müller-Thurgau 2023
Thurgau, Schweiz
91 Punkte | 2025 bis 2028
Was für ein Müller! Ohne Säureabbau vinifiziert, verführt er mit reintöniger Zitrusfrucht, floralen Noten und einem Touch von Moschus. Im Gaumen lebhaft und saftig, mit animierendem Spiel zwischen Fruchtsüsse und Säure.
Pinot Noir N°1 2022
Thurgau, Schweiz
91 Punkte | 2025 bis 2028
«Beerli-Wein» mit Tiefgang! Rote Früchte, besonders Erdbeeren und Himbeeren, auch florale Noten. Im Gaumen ebenfalls rotbeerig, unterlegt mit samtigem Gerbstoff. Die saftige Säure sorgt für trinkigen Schmelz. Macht viel Spass.
Pinot Noir N°2 2022
Thurgau, Schweiz
94 Punkte | 2025 bis 2035
In gebrauchten 800-Liter-Fässern gereift, begeistert dieser Cru mit klarer Frucht und viel Finesse. Waldbeeren, ein Anflug von Unterholz und Erde. Im Gaumen dicht gewoben, zeigt schönste Pinot-Finesse, bei sehr dezenter Würze.
Pinot Noir N°3 2022
Thurgau, Schweiz
94 Punkte | 2025 bis 2035
Mit Presssaft aus dem alten Torkel verfeinert und 18 Monate in Burgunder-Piècen, zu einem Drittel neu, ausgebaut. In der Nase reife Beerenfrucht, Sauerkirschen, verführerische Würze. Im Gaumen komplex, kräftig, langanhaltend.
Pinot Noir N°4 2022
Thurgau, Schweiz
95 Punkte | 2025 bis 2035
Selektion von Burgunderklonen, 12 Monate in neuen Barriques gereift. Verführerische Aromen von Waldbeeren, auch Lakritze und Weihrauch, dazu edle Würznoten. Im Gaumen sehr komplex, saftig, mit viel Zug. Grosse Klasse!
Bezugsquelle: www.bachtobel.ch