Die Kunst des Nichtperfekten
Winzerlegende Mattia Vezzola
Text: Christian Eder / Fotos: Fabio Florio, David Eder
Manualità – Handfertigkeit – liegt Mattia Vezzola besonders am Herzen. Der Önologe blieb ihr als Weinmacher der Franciacorta-Kellerei Bellavista 40 Jahre ebenso treu, wie er sie seit 50 Jahren auf seinem Gut Costaripa am Gardasee pflegt: Dort keltert er präzise Roséweine und einzigartig-elegante Schaumweine.
Mattia Vezzola liebt es, am frühen Morgen durch die Rebberge zu streifen, hier und da eine Traube zu kosten und mit starker Hand und Rebschere einen überschüssigen Trieb zu eliminieren. Das ist Manualità – Handarbeit – und die Essenz der Arbeit eines Winzers, meint er. Costaripa – benannt nach der Lage Costa bei Moniga del Garda, in der die Kellerei liegt – ist daher auch eine Manufaktur im historischen Sinn: Hier wird im Schweisse des Angesichts gearbeitet, Hand angelegt, vom ersten Trieb bis zur letzten Flasche. Wohnhaus, Keller, Rebberg – das ist alles eins, die Grenzen sind fliessend. Vom Wohnzimmer mit Gitarre und Bücherregal blickt man über den Hof auf die Rebberge, auf Zypressen und Olivenbäume, und dahinter liegen die Häuser von Moniga del Garda und die Kirche, und irgendwo dort unter den Berggipfeln dehnt sich auch der Gardasee aus.
Für Mattia Vezzola, der hier vor mehr als 50 Jahren und nach dem Abschluss der Weinbauschule Conegliano seine Karriere im elterlichen Keller begonnen hat, offeriert das Südwestufer des Gardasees noch eine weitere Besonderheit: Das Klima ähnelt dem der Champagne, das entdeckte er schon 1972 bei seinem ersten Besuch der französischen Region.
«Wie alle wertvollen Dinge ist die Groppello-Traube filigran, edel, wie Kaschmir oder Seide.»
Mattia Vezzola: «Der Gardasee ist der nördlichste Punkt Italiens mit mediterranem Klima, geprägt von 370 Quadratkilometern Wasserfläche und den kalten Winden der Alpen im Norden.» 64 Bodentypen findet man auf den Moränenhügeln des Valtènesi am Südwestufer des Sees, Überreste eines Vorstosses der grossen Alpengletscher während der letzten Eiszeit. «Ein einzigartiges Gebiet», ist der Önologe überzeugt, der von hier aus in den 1970er Jahren seine Karriere als Önologe startete: Vittorio Moretti hatte gerade sein Weingut Bellavista in der Franciacorta gegründet und fand im jungen Mattia einen perfekten Gegenpart: Beide wurden zu den Vätern grosser Franciacorta DOCG, wie des Pas Opere oder der Grande Cuvée Alma.
Groppello – ein «besonderer Stoff»
Dabei verlor Mattia seine Wurzeln nie aus den Augen: Das Weingut Costaripa am Gardasee wurde 1928 vom Grossvater von Mattia – Mattia senior – im Herzen des Dörfchens Moniga del Garda gegründet, heute liegen die Kellereigebäude knapp ausserhalb des Ortskerns in der Lage Costa, in der einst schon der Grossvater die ersten Rebberge erworben hat. «Auf diesem besonderen Terroir gedeiht eine Rebsorte extrem gut», erzählt Mattia, während wir durch die Reben wandern, die sich rund um die Kellerei erstrecken. Der rote Groppello hat hier sein natürliches Habitat gefunden – eine autochthone Varietät und gleichzeitig eine ampelographische Rarität, die bereits seit dem 13. Jahrhundert bekannt ist. Nur rund 400 Hektar sind mit dieser Traube weltweit bestockt, der grösste Teil davon im Valtènesi rund um Moniga del Garda, wo sie 40 Prozent der Rebberge dominiert.
Sie ist Hauptrebsorte des hier kultivierten Rosé, traditionell Chiaretto genannt, dessen Produktionsmethode erstmals 1896 durch den venezianischen Senator Pompeo Molmenti in seiner Kellerei in Moniga del Garda festgeschrieben wurde (und dem Mattia Vezzola seinen Rosè Molmenti gewidmet hat): Der Chiaretto wird als «Vino di una Notte» bezeichnet, weil der Most nur eine Nacht (oder auch weniger) auf den Schalen verbleibt, um seine feine rosa Farbe zu erhalten. Für Mattia Vezzola ist Groppello ein «besonderer Stoff»: «Wie alle wertvollen Dinge ist sie filigran, edel, wie Kaschmir oder Seide.» Sein ganzes Leben war Groppello eine Herausforderung für Mattia, ein hehres Ziel, aus dieser Rebsorte einen grossen Rosé zu machen, der es mit den besten der Provence aufnehmen konnte: «Mein Vater war ein versierter Winzer, aber so sehr er sich auch bemüht hat, das Ergebnis war medioker, die Trauben wurden einfach nicht richtig reif. Also habe ich gedacht, da muss man etwas anders machen. Als dann meine Eltern ihre einzige Reise im Leben absolviert haben – Verwandte in Amerika besuchen –, habe ich unsere Groppello- Pflanzen auf die Hälfte zusammengeschnitten. Nach drei Monaten, als meine Eltern wiederkamen, konnte man das Ergebnis sehen: Der Groppello war zum ersten Mal perfekt ausgereift. Mein Vater war sprachlos. Dabei habe ich nur berücksichtigt, was uns die Franzosen gelehrt haben: wie wichtig der Rebschnitt ist. Der Rebschnitt ist nicht nur für die Qualität fundamental, sondern auch, um die Gesundheit der Pflanze zu erhalten und ihr ein langes Leben zu garantieren. Oder um es anders zu sagen: Wenn du mit hundertjährigen Reben keinen grossen Wein produzierst, solltest du das Metier aufgeben. Gerade um einen Rosé zu keltern, musst du extrem viel im Rebberg arbeiten, bis zu 400 Stunden pro Hektar im Jahr.»
Fulminanter Erfolg mit Metodo Classico
Bereits 1973 schuf Mattia auf Costaripa den ersten Schaumwein des Gardasees nach der Metodo Classico – das Ergebnis einer Reise in die Champagne. «Da ging es mir genauso wie vielen anderen, die damals in die Champagne fuhren: Ich dachte mir, das probiere ich auch.» Daraus wurde dann die heutige Linie Mattia Vezzola Metodo Classico. Zuerst produzierte er die Schaumweine im Hause seiner Mutter, dann im Keller seines Grossvaters und schliesslich – seit bald 20 Jahren – in seiner modernen Kellerei bei Moniga. Dort feierte er im Vorjahr – 2023 – mit einem grossen Fest im Garten das 50-jährige Jubiläum seiner Perlen vom Gardasee.
Die Kellerei ist heute Manufaktur, Wohnhaus und privates Museum in einem. An den Wänden seines Büros hängen Fotos von Menschen, die ihn und seine Weine ein Leben lang begleitet haben. Christiaan Barnard zählt dazu, der erste Chirurg, dem eine Herztransplantation gelungen ist, und für dessen Stiftung Mattia einen Wein kreiert hat. Und natürlich Luciano Pavarotti, der grosse Tenor. Ein Freund hatte auf der Vinitaly den Kontakt vermittelt, und Mattia hat Pavarotti eine Magnum offeriert. «Das war in den 1980er Jahren. Dass es auch in Italien guten flaschenvergorenen Schaumwein gibt, war damals noch nicht allen bewusst.» Luciano Pavarotti und seine Frau Nicoletta wurden bald Freunde der Familie.
Auf Costaripa sind die beiden Seelen des Mattia Vezzola klar getrennt: Eine Hälfte des Weinkellers gehört den Valtènesi-Weinen, die andere der Metodo Classico. Lese und erste Schritte der Verarbeitung sind identisch: Die Trauben werden frühmorgens gelesen, um Frische und Aromen zu bewahren, und unter zehn Grad vinifiziert – «das ist perfekt, um die Oxydation zu vermeiden und die Mineralsalze zu bewahren», erklärt Mattia. Alle Reblagen werden separat verarbeitet, um dem Önologen die perfekte Auswahl für den Blend zu erlauben. Ein Teil der Moste gärt in kleinen Fässern aus Eiche, die mehr als 35 Jahre alt sind, um den Cuvées Länge und Langlebigkeit zu verleihen. Aushängeschild der Schaumweinproduktion sind die beiden Grandi Annate, Brut und Rosé: 60 Monate auf der Hefe belassene edle Schäumer aus ausgewählten Jahrgängen, aktuell ist der 2018er auf dem Markt.
Die unterirdischen Keller geben dem Wein die nötige Ruhe und Mattia die Musse, seine Manualità auszuleben – bei allen Schritten von der Vinifikation über die Remuage bis zum Verkosten des Endergebnisses legt er Hand an: «Das Ergebnis ist wie bei handgemachten Tortellini », resümiert der Önologe: «Jede einzelne Flasche ist anders, nie ganz identisch oder perfekt. Denn gerade das Nichtperfekte macht einen grossen Wein aus.
Die Weine
Ein gutes Dutzend Weine produziert Mattia Vezzola in den Linien Costaripa (für Terroirweine aus dem Valtènesi) und Mattia Vezzola Metodo Classico.
Valtènesi DOC Rosé RosaMara 2022
17 Punkte | 2024 bis 2026
Ein Blend aus 50 Prozent Groppello, 30 Prozent Marzemino und je 10 Prozent Barbera und Sangiovese aus 28 verschiedenen Rebbergen; ein Teil – 35 Prozent – fermentiert im Holz: startet mit viel Esprit auf Aromen von Rosenblüten, Himbeeren, Pfirsich, Bittermandeln; saftige Textur, schöner Schliff, elegant, dann grosse Länge.
Valtènesi DOC Rosé Molmenti 2018
17.5 Punkte | 2024 bis 2028
Seit 1992 pflegt Mattia Vezzola diesen Rebberg am See, der Rosé daraus ist dem Ahnherrn des Chiaretto, Pompeo Molmenti, gewidmet: einnehmende Noten von Äpfeln, Ribisel, auch Vanille; am Gaumen saftig und doch überaus harmonisch, die Säure belebt, elegant und lang mit einem salzigmineralischen Finale.
Mattia Vezzola Metodo Classico Brut
17.5 Punkte
Die Chardonnay-Trauben des Brut stammen von den besten Lagen am See; 35 Prozent vergären und reifen für acht Monate im kleinen Eichenfass: ein Potpourri an Noten von Pfirsichen, Salbei und Hefe; im Mund mit perfektem Schliff und hervorragender Evolution hin zu einem eleganten vollmundigen Finale auf frischen Zitrusfrüchten.
Mattia Vezzola Metodo Classico Brut Rosè
17.5 Punkte
Aus 80 Prozent Chardonnay und 20 Prozent Pinot Noir (zum Teil rosé, zum Teil rot vinifiziert), 35 Prozent des Mostes fermentieren und reifen für acht Monate in gebrauchten, kleinen Holzfässern: feine Perlage; einladende Nase nach Kirschen, Himbeeren, Roten Johannisbeeren, auch Veilchen und Pfeffer; saftige Textur, vife Säure, elegant und lang. Vereint Schliff und Charakter.
Mattia Vezzola Metodo Classico Grande Annata Brut 2017
19 Punkte | 2024 bis 2032
In Holz fermentiert, 60 Monate auf der Hefe belassen: strohgelb mit vifer Perlage; kombiniert Noten reifen Steinobsts mit Honig, weissen Blüten und Nuancen von Granatapfel; die Textur geschliffen und krokant, das Finale ellenlang und sehr komplex. Finessenreicher Wein für besondere Gelegenheiten!
Alle Weine ab Weingut erhältlich.