Giorgio Rivetti, ehemaliger Barolo-Boy, renommierter BarbarescoMacher, Sangiovese-Produzent in der Toskana und ein Motor des Alta-Langa-Schaumweines, hat eine neue Liebe: Timorasso heisst sie und stammt aus den Colli Tortonesi im Piemont.
Wie immer, wenn es uns in die Alta Langa verschlägt, sitzen wir in der «Drogheria di Langa» in Bossolasco beieinander: ein kulinarischer Fixpunkt in dem piemontesischen Bergdörfchen, das für seinen Rosenschmuck bekannt ist. Draussen ziehen Nebelschwaden durch die Gassen, aber im gemütlichen Speisezimmer ist es warm, und vor uns wartet ein Gläschen beziehungsweise eher ein Fläschchen Timorasso darauf, von Giorgio entkorkt zu werden.
«Das einzige Geheimnis hinter einem grossen Wein sind hervorragende Trauben. »
Timorasso ist die neue Boomtraube des Piemont und für Giorgio Rivetti die interessanteste autochthone weisse Rebsorte Italiens, die er seit einigen Jahren in den Colli Tortonesi anbaut. «Sie hat eine einzigartige Aromatik, Charakter und doch auch Finesse », schwärmt er mit einem Glitzern in den Augen, «eine Kombination, die man sonst selten findet.»
Giorgio Rivetti ist gemeinsam mit seiner Familie Herr über ein Weinbauimperium, das Reblagen in verschiedenen Teilen des Piemont und der Toskana umfasst und das die Basis von Schaum-, Weiss- und Rotweinen, die mit zum Besten gehören, was Italien zu bieten hat, ist. Jüngste Errungenschaft ist eben jener Timorasso aus den Colli Tortonesi, den uns Giorgio in der «Drogheria» kredenzt: «Der weisse Nebbiolo », wie er auch genannt wird, ist laut Giorgio Rivetti der qualitativ wertvollste Weisswein Italiens. «Drogheria»-Küchenchefin Stefania hat uns dazu einen gedünsteten Wolfsbarsch kredenzt, geschmackvoll und saftig, der optimal mit dem würzigen Timorasso 2023 von Giorgios Weingut La Spinetta harmoniert.
Giorgio Rivetti lebt seit einigen Jahren in Bossolasco nahe seiner Pinot-Noir-Rebberge. Denn Bossolasco ist nicht nur für seine Dutzenden Rosenarten bekannt, die entlang der Dorfstrasse blühen, sondern auch die Hauptstadt des Alta Langa DOCG: Der flaschenvergorene Schaumwein darf in grossen Teilen des Piemont aus Pinot-Noir- und Chardonnay- Rebbergen in mehr als 250 Metern Meereshöhe produziert werden und muss mindestens 30 Monate reifen.
Giorgios Pinot-Noir-Trauben stammen aus rund 40 Hektar Rebbergen auf 800 Metern Meereshöhe. «In den Zeiten des Klimawandels gewinnen diese hohen Lagen immer mehr an Bedeutung», meint der Winzer. Darüber hinaus sei Bossolasco wegen der Zusammensetzung der Böden (Mergel und Kalk-Ton) für die Burgundertrauben ideal, so Giorgio mit einem schelmischen Zwinkern, «um den besten Metodo Classico Italiens zu produzieren». Vinifiziert werden die Trauben in den Kellern des Schaumweinhauses Contratto in Canelli, rund 40 Kilometer von Bossolasco entfernt. In den «unterirdischen Kathedralen» der Stadt – seit 2014 UNESCO-Weltkulturerbe – wurde bereits im 19. Jahrhundert die Tradition des italienischen Schaumweines begründet. Diese Geschichte kann man noch hautnah miterleben, wie wir früher am Nachmittag bei einem Rundgang in den ehrwürdigen Gewölben von Contratto bemerkt haben. Die eineinhalb Millionen Flaschen Schaumwein, die in Kellern lagern, die in Tuffstein gegraben wurden, werden noch händisch gerüttelt. Der erfahrenste Contrattorüttler, Mauro, schafft 300 Stück in der Minute, was ihn schon zu einem Star auf Youtube gemacht hat.
Das 1867 gegründete älteste Haus für Metodo- Classico-Schaumwein in Italien ist seit 2011 im Besitz der Familie Rivetti. Zuvor war der Champagnerliebhaber Giorgio bereits Berater des Gutes. Contrattos perlendes Aushängeschild – die Special Cuvée Riserva, ein Blend aus 95 Prozent Pinot Noir und dem Rest Chardonnay, 90 Monate auf der Hefe belassen – ist seit dem Jahrgang 2014 ebenfalls ein Alta Langa. Denn die Bezeichnung hat für Giorgio Rivetti eine tiefe Bedeutung: Ein Alta Langa sei stets auch eine Verneigung vor der jahrhundertealten Schaumweinproduktion des Piemont, meint er.
Wir sind in der «Drogheria di Langa» inzwischen bei einem Fläschchen Barbaresco 2004 von La Spinetta angelangt, für Giorgio einer der grossen Jahrgänge des Nebbiolo. Der immer noch wunderbar harmonische Wein verbindet Fruchtigkeit mit Vertikalität und Breite – wie es Giorgio liebt: «Ich suche immer equilibrio, das Gleichgewicht, in einem Wein. Und im Jahr 2004 ist uns das gelungen.»
Denn lange vor Alta Langa oder Timorasso produzierte die Familie Rivetti bereits Nebbiolo: Das familieneigene Gut La Spinetta wurde 1977 von Giuseppe Rivetti mit seinen Söhnen Giorgio, Carlo und Bruno gegründet. «la Spinetta » heisst übersetzt «die Hügelkuppe», und genau dort liegt auch im Städtchen Castagnole delle Lanze zwischen dem Astigiano und den Langhe die moderne Kellerei.
La Spinetta setzt vor allem auf Nebbiolo für Barbaresco in den drei renommierten Einzellagen, die die Brüder Rivetti bewirtschaften: Starderi, Valeirana und Gallina. Im Barolo-Gebiet wird seit 2000 der Cru Campé produziert. Dazu gesellt sich eine Palette an Einzellagen- Barbera wie der Gallina, der Cà di Pian oder der Bionzo – um nur einige der Weine von La Spinetta zu nennen.
Giorgio war auch – ebenso wie sein verstorbener Freund Domenico Clerico – einer der Barolo- Boys, wie eine Gruppe junger Barolo- und Barbaresco-Winzer, die statt auf Tradition auf zeitgemässe Techniken im Weinberg und Keller setzte, einst von der amerikanischen Presse getauft wurde. Obwohl die Barolo-Boys längst Geschichte sind, ist Giorgio noch immer ein Vertreter der Moderne: Dazu gehören ein ausgewogener Holzmix im Keller und vor allem die Ausdünnung der Trauben im Rebberg. Denn «90 Prozent trägt der Rebberg zur Qualität eines Weines bei, nur 10 Prozent der Keller», ist er überzeugt. Und: «L’unico segreto dietro ad un grande vino è un’uva eccezionale», meint er: «Das einzige Geheimnis eines grossen Weines sind hervorragende Trauben.» Die erhält man durch Ertragsmengenreduktion und nachhaltige Bewirtschaftung – die La-Spinetta-Weine sind biozertifiziert. Und noch etwas ist Giorgio Rivetti wichtig: «Wir machen Weine, die zum Essen passen, nicht zum Verkosten!»
Die meisten Etiketten der Weine von La Spinetta schmückt übrigens Dürers Nashorn, das an ein indisches Exemplar erinnert, das 1515 erstmals in Lissabon europäischen Boden betrat. Dürer machte eine Zeichnung davon, ohne das Tier je gesehen zu haben.
Stefania hat uns in ihrer «Drogheria» inzwischen ihre Auswahl an Desserts kredenzt. Zu einer Bayrisch Creme und Mürbeteigkuchen wird uns ein Moscato d’Asti Bricco Quaglia kredenzt, eine Zeitreise in die Anfänge des Weingutes. Denn die Geschichte von La Spinetta begann lange vor Barbaresco, Barolo oder Alta Langa mit süssem Moscato d’Asti: Die ersten drei Gläser des Gambero Rosso erhielt La Spinetta einst für diesen Moscato d’Asti Bricco Quaglia. Das war 1988. Aber noch heute ist Moscato mit mehr als 60 Hektar die wichtigste Rebsorte im Weinberg-Portfolio der Familie Rivetti.
Was aber treibt Giorgio nach bald fünf Jahrzehnten an, immer neue Herausforderungen zu suchen und neue Weine zu kreieren? Giorgio überlegt nur kurz, während er am strohgelben Bricco Quaglia nippt, dann sagt er überzeugt: «Passione und das buchstäbliche Piacere – Vergnügen –, in den Reben zu arbeiten und aus den Trauben Wein zu machen.» Egal ob in Castagnole delle Lanze, an der toskanischen Küste oder in den Colli Tortonesi. Auch wenn ihm, gerade an einem nebeligen Herbstmorgen, wenn der Tau auf den Blättern durch die stärker werdende Sonne langsam trocknet, der Pinot Noir vor seiner Haustür in Bossolasco am liebsten ist.
Die Weine
Vom Aperitif über Primo und Secondo bis zum Dolce: Contratto und La Spinetta versorgen uns mit Weinen für jeden Anlass.
Contratto – Alta Langa DOCG Blanc de Noirs Pas Dosé for England 2020
17.5 Punkte | 2026 bis 2029
Betörende Noten von Steinobst, Waldfrüchten und Blüten; am Gaumen kernig, viel Schliff und Vertikalität, endet lang und fruchtig. Auf ähnlichem Niveau: der Pas Dosé Rosé for England 2020.
Contratto – Alta Langa DOCG Riserva Pas Dosé Special Cuvée 2015
18 Punkte | 2026 bis 2032
95 Prozent Pinot Noir, der Rest Chardonnay, 90 Monate auf der Hefe belassen: facettenreiches Bouquet nach Beeren, Akazienblüten und Orangen, viel Würze; verbindet Fruchtigkeit mit Finesse.
La Spinetta – Colli Tortonesi DOC Timorasso 2023
17 Punkte | 2026 bis 2029
Jugendlicher Auftritt mit Noten von Kernobst, Blüten und feiner Kräuterwürze; salzig-mineralisch am ausbalancierten Gaumen, die Säure belebt, lang und kraftvoll. Sollte noch reifen.
La Spinetta – Barbera d’Asti Superiore DOCG Bionzo 2020
17.5 Punkte | 2025 bis 2030
Würzig-fruchtige Blume nach Schwarzbeeren, Kräutern und Schokolade; im Mund kernig, vife Säure, der Ausklang auf roten Beeren. Klassisch-fruchtiger Begleiter zu einem Pilzrisotto.
La Spinetta – Barbaresco DOCG Starderi 2021
19 Punkte | 2027 bis 2035
Betörende Himbeer- und Veilchenaromatik, Weichselnoten; präziser Wein mit viel Schliff und engmaschigen Tanninen, die Säure perfekt ausbalanciert, kombiniert Charakter und Eleganz.
La Spinetta – Barolo DOCG Campè della Spinetta 2020
18.5 Punkte | 2027 bis 2036
Nach der Belüftung Aromen von kleinen Waldfrüchten, Unterholz und Trüffelnoten; vertikale Machart, die mit pulverigen jugendlichen Gerbstoffen und langem Abgang an Breite gewinnt.
La Spinetta – Moscato d’Asti Bricco Quaglia 2023
17 Punkte | 2026 bis 2028
Klassisch-fruchtig mit sortentypischen Noten von Holunderblüten und exotischen Früchten; cremig im Mund, erfrischende Säure, elegant und lang
Alle Weine ab Weingut erhältlich.