Ode an die Freiheit

Winzerlegende Dominique Hauvette, Provence

Text: Birte Jantzen, Foto: Oliver Roux

Es ist unbestreitbar eines der unverfälschtesten und originellsten Weingüter der Provence. Dominique Hauvette zähmt ihre Reben, wie sie ihre Pferde zähmt: mit Geduld und Sensibilität. Hier gibt es weder önologische Tricks noch Massenproduktion, sondern ein Denken, das den liebevoll produzierten Weinen poetische Qualitäten verleiht.

Etwas abseits vom malerischen Saint-Rémy- de-Provence gelegen, fährt man auf der schmalen Landstrasse fast am Weingut vorbei, so unscheinbar ist das Eingangstor. Wer den Weg findet und neben dem Weinkeller parkt, hört in nächster Nähe ein paar Pferde schnauben, den Mistral in den Baumwipfeln rauschen, die Vögel zwitschern, die Hunde bellen. Die meiste Zeit ist es auf dem Weingut ruhig, und nichts hier ist spektakulär – alles ist schlicht, geerdet, funktionell, ohne Schnickschnack. Kellergebäude, Pferdeweiden und ein kleiner Weinberg gehen nahtlos ineinander über, ein paar Olivenbäume tummeln sich in Sichtweite, es duftet nach Wildkräutern, Natur und Pferden. Unmöglich zu sagen, ob die Domaine Hauvette ein Gestüt mit Weingut oder ein Weingut mit Gestüt ist. Wenn Dominique Hauvette – schlank, drahtig und mit weissem Schopf – nicht gerade dynamischen Schrittes in den Weinbergen oder im Keller unterwegs ist, findet man sie draussen auf den Weiden, meist begleitet von ihren drei Hunden. Schon als Kind waren Pferde ihre Leidenschaft. Diese Leidenschaft liess sie zu einer versierten Pferdezüchterin werden. Winzerin hingegen gehörte lange Zeit überhaupt nicht zu ihren Karriereplänen, und so ist es vielmehr glücklichen Zufällen, inspirierenden Gesprächen mit Winzern, einem ausgeprägten Sinn für Unabhängigkeit und auch ihrem Vater zu verdanken, dass sie 1988, mit 38 Jahren, zum Wein fand. Als eigenwillige und publikumsscheue Quereinsteigerin, aber auch weil sie sich dem Diktat leichter Sommerweine mit schneller Rentabilität verweigerte, wurde sie anfangs von der Weinwelt kaum ernst genommen.Wenn schon Wein, dann sollte er doch lieber individuell, sensibel, naturnah und charakterstark sein.

«Charakterstark und dennoch filigran, sind die Weine provenzalische Freidenker.»

Weder damals noch heute entsprachen ihre Weine dem Geschmacks- und Farbdiktat der Provence, weshalb ihre Tropfen lange Jahre als Geheimtipp galten – und auch noch immer gelten. Selbst wenn sie mittlerweile zweifellos zu den begehrtesten Südfrankreichs gehören. Wie so häufig, war der Weg dorthin kein gerader. Und alles begann mit Ferien in der Provence.

Freidenkertum und Zufälle des Lebens

In Val d’Isère geboren und als Tochter einer Gastwirtsfamilie aufgewachsen, liebte Dominique das Leben auf dem Land, in der freien Natur. Sie war begeisterte Skiläuferin und Reiterin. Um finanziell unabhängig zu werden, ging sie nach Abschluss der Schule nach Paris und studierte Landrecht an der Sorbonne. Aber es kam anders als gedacht. 1980 besuchte sie ihren Vater in der Provence, und ein Freund lud sie ein, ihn bei der Transhumanz, der Wanderschäferei, in die Pyrenäen zu begleiten. Es war für Dominique ein Schlüsselerlebnis. Ade dem Landrecht und dem Pariser Stadtleben. Die Koffer blieben in der Provence. 1988 machte ihr Vater ein Schnäppchen und kaufte einem englischen Nachbarn ein kleines Landhaus mit zwei Hektar Rebbergen ab. Das östlich von Saint-Rémy-de-Provence gelegene Anwesen war gross genug, um dort auch Pferdeweiden anzulegen. Noch im gleichen Jahr verstarb ihr Vater, und Dominiques Mutter stieg als Geschäftspartnerin mit ein. Es war ein nicht immer ganz einfaches Zusammenleben, das Dominique zehn Jahre später schliesslich davon überzeugte, gänzlich von der Familie unabhängig zu werden. Edith Ponçon, enge Freundin und Vertrauensperson zugleich, stieg im Jahr 2000 als passive Gesellschafterin mit ein. Auch nach mehr als 20 Jahren verstehen sich die beiden hervorragend, wohl auch weil jede den Platz der anderen respektiert. Und rückblickend war es genau die richtige Entscheidung: «Hätte ich es damals nicht gemacht, würde es das Weingut aus familiären Gründen wohl heute nicht mehr geben...», murmelt Dominique.

So selbstverständlich Dominiques Vision heute auch erscheinen mag, die Anfänge als Winzerin waren alles andere als einfach. Wie auch beim Pferdezüchten und -dressieren, wusste sie instinktiv, dass nichts Grosses entstehen kann, wenn man nicht den Charakter, die Natur und die Dynamik seiner Weinberge respektieren und verstehen lernt. Sie suchte Erfahrungsaustausch und Inspiration bei vielen Winzern und wurde schliesslich bei zwei von ihnen fündig: Eloi Dürrbach (Domaine de Trévallon) und Laurent Vaillé (La Grange des Pères), beide mutige, sehr eigenwillige und sensible Menschen, die zu Lebzeiten mit Konventionen brachen und es trotzdem schafften – oder vielleicht gerade deshalb –, erfolgreich neue Massstäbe zu setzen. So waren es auch deren Weine, die Dominique überzeugten, dass es in Wirklichkeit zwei Leidenschaften in ihrem Leben gibt: Pferde und Wein.

Seit 2003 wird auf dem Weingut nach biodynamischen Prinzipien gearbeitet, jedoch ohne Zertifizierung. Auch im Keller wird so naturnah wie möglich vinifiziert und ausgebaut. Am liebsten arbeitet Dominique mit Betoneiern, Spontangärung und minimalem Einsatz von SO2, um die filigrane Frucht und dicht gewobene Struktur der Weine noch präziser definieren zu können. Es gibt kein Rezept, nur eine einzige Regel: der Qualität und Musik der Weinberge und Rebsorten in jedem Jahrgang aufs Neue zuzuhören. Wie wichtig das ist, zeigte sich 2024. «Um uns den klimatischen Herausforderungen besser stellen zu können, wollten wir dieses Jahr zum ersten Mal einen Teil der Trauben mit der Maschine ernten», erzählt Dominique. «Also haben wir im Frühjahr einige der alten Reben anders geschnitten als sonst: Anstatt auf ein Auge zu kürzen, haben wir fünf Augen gelassen. Plötzlich waren die Trauben viel kleiner, die Rebe hat sich gewehrt, zusätzliche Knospen gebildet, wuchs ein bisschen in alle Richtungen und wusste eigentlich gar nicht mehr so richtig, wo sie hinwollte. Dabei steht sie hier schon seit mehr als zwei Jahrzehnten. Ehrlich gesagt, das war beeindruckend. Der Stress der Pflanze und die Biologie des Lebens sind etwas, was in der Schule überhaupt nicht angesprochen wird. Dabei ist das absolut grundlegend, im Keller wie im Weinberg! »

Zart und unverwüstlich

Jedes Jahr zeigt Dominique Hauvette mit ihren ebenso eigenwilligen wie sensiblen Weinen aufs Neue, dass die Provence so viel mehr kann als nur Rosé. Roussanne, Marsanne und Clairette, aber auch die roten Rebsorten Cinsault, Grenache und Cabernet Sauvignon erreichen einen finessenreichen Tiefgang mit Seltenheitswert. Die Reben gedeihen in mediterranem Klima, auf mageren, sehr kieseligen, aus Geröll oder Sandstein bestehenden Böden, deren natürliche Drainage es den Wurzeln ermöglicht, tief im Untergrund nach Wasser zu suchen. Grosszügiger Sonnenschein und ein frischer Mistral sorgen für ideale Bedingungen. Dennoch ist gerade während der Erntezeit Vorsicht geboten, denn wie überall ändern sich auch hier die klimatischen Bedingungen. «Man muss äusserst präzise arbeiten. Das Zeitfenster zwischen unreif und überreif ist in den letzten Jahren immer schmaler geworden. Also bin ich vor und während der Ernte stets im Weinberg unterwegs, um Trauben zu verkosten», erzählt Dominique.

Die Weine lassen es sich nicht anmerken, sei es bei der Fassverkostung oder den jüngsten Jahrgängen, die zum Verkauf stehen. Sie sind wie immer filigran, voller Leichtigkeit und Eleganz, stets mit Tiefgang und einer saftigen Trinkfreudigkeit, die gute Laune an den Gaumen zaubert. Besonders viel Spass macht dabei der Cinsault, der trotz heller Farbe mit ordentlich Charme und Lagerfähigkeit punktet. Es sind eben Weine von Weltklasse. Hut ab.

Magische Alpillen

Das von Dominique Hauvette virtuos interpretierte Terroir zeigt, wie viel umwerfendes Potenzial eigentlich in der Provence steckt – egal in welcher Farbe.

Alpilles IGP Jaspe 2023

18 Punkte | 2024 bis 2035

Ein 100%-Roussanne, der mit kesser Leichtigkeit beweist, wie toll diese Rebsorte sein kann. Ist er in der Nase typisch würzig mit Kräutern der Provence, entfaltet er am Gaumen eine wundervolle Komplexität. Saftiger weisser Pfirsich, Honignoten und reife Zitrone sind ebenso präsent wie Gewürznelke, Litschi und Geissblatt, das Ganze getragen von harmonischer Frische, fein gewebter Struktur und müheloser Grosszügigkeit.

Alpilles IGP Dolia 2015

16.5 Punkte | 2024 bis 2035

Marsanne, Roussanne und Clairette ergänzen sich zu einem würzigen und zugänglichen Wein. Die schmelzende Frische unterstreicht ein filigranes Aromenspiel mit Noten von Ingwer, Pfirsichsaft, geriebener Orangenschale, Wildkräutern, Honigbrot und Blumenwiese. Vollmundig, lang, schmilzt er mit betörender Leichtigkeit am Gaumen dahin. Perfekt trinkreif und doch lagerfähig.

Alpilles IGP Petra 2023

17.5 Punkte | 2024 bis 2032

Ein 100%-Cinsault aus Direktpressung und wie ein Weisswein vinifiziert. Walderdbeere, roter Pfeffer, feine Safran-Noten und gelber Pfirsich tanzen mit Charakter auf einer saftigen, vollmundigen und nuancierten Struktur. Ein ungewöhnlicher Rosé, lang am Gaumen, gastronomisch, der sich nach Seeigeln und Meeresfrüchten sehnt.

Alpilles IGP Cinsault 2022

17.5 Punkte | 2024 bis 2034

Hellrot wie Erdbeersaft, straft seine Farbe Lügen. Walderdbeere, Himbeere, Rote Johannisbeere und Kräuter der Garrigue sind ebenso präsent wie Pfefferbrot, erfrischend salzige Noten und Zitrusfrucht. Cinsault mal völlig anders, vollmundig, mit Tiefgang, viel Länge, Charme und Potenzial.

Alpilles IGP Cornaline 2019

19 Punkte | 2024 bis 2040

Ein noch jugendlicher Roter mit viel Frische, Komplexität, Fülle und Eleganz. Frucht und Würze sind so eng miteinander verknüpft, dass man eigentlich nur noch von harmonischer Ganzheit reden kann. Dicht gewebte Tannine und eine Struktur von spielerischer Mühelosigkeit geben ihm ein beispielhaftes Lagerpotenzial. Ein Ausnahmewein, zum jetzt Geniessen oder Weglegen.

Alle Weine ab Weingut erhältlich.

vinum+

Weiterlesen?

Dieser Artikel ist exklusiv für
unsere Abonnenten.

Ich bin bereits VINUM-
Abonnent/in

Ich möchte von exklusiven Vorteilen profitieren