Der Cuvée-Meister

Attila Gere

Text und Fotos: Miguel Zamorano

Attila Gere hat die Rotweinszene Ungarns in den vergangenen Jahrzehnten entscheidend mitgeprägt. Mit seinen Cabernet-Franc-Cuvées aus dem Süden des Landes begeistert er die Weinwelt über die einheimischen Grenzen hinaus. Der einstige Förster liess sich früh von Bordeaux und der Toskana inspirieren. Eines seiner ersten Gläser war jedoch mit einem anderen Wein gefüllt.

Der Herbst hat Südungarn in satte Ockerfarben gekleidet. Die verwelkenden Blätter der Bäume liegen am Wegrand, auch die Weinberge in der Region Villány wechseln ihre Farbe in Schattierungen von tiefem Orange, hellem Braun oder goldenem Gelb. Das verschlafene gleichnamige Dorf empfängt den Besucher, eingefangen vom Dunst der Morgenstunden, hier und da steigen Rauchwolken aus den Schornsteinen empor.

Villány ist das Zentrum dieser Weinregion im Süden Ungarns. Keine Viertelstunde mit dem Auto entfernt liegt die kroatische Grenze. Im Osten fliesst die Donau in die Nachbarstaaten und bildet dort die Grenze zwischen Serbien und Kroatien. Seit knapp 30 Jahren steht Villány in der vordersten Reihe der ungarischen Anbaugebiete, nur übertroffen von der nördlichen Region Tokaj und ihren edelsüssen Schätzen.

Die Spezialität der Villány-Weinmacher: Rotweine auf Basis von Bordeaux-Sorten, angeführt von Cabernet Franc, den die hiesigen Winzer als reinsortigen Villány Franc keltern. Einer der wichtigsten Winzer, der mit seiner Arbeit und seinen Weinen das örtliche Geschehen entscheidend mitgeprägt hat, ist Attila Gere. Am Südhang des Szársomlyó-Berges bewirtschaftet Gere die Lage Kopár, mit der er den gleichnamigen Wein keltert. Die Kopár-Cuvée, mehrheitlich aus Cabernet Franc, Merlot und Cabernet Sauvignon komponiert, zählt zu den Ikonen, nicht nur der Region – sondern des gesamten Weinlandes Ungarn.

Aller Anfang ist Portugieser

Seine ersten Erfahrungen machte Gere allerdings mit einer anderen Sorte, mit einer bescheideneren, könnte man sagen. Gere sitzt jetzt im gutseigenen Restaurant «Mandula», trinkt Kaffee und blickt zurück auf seine Anfänge. Wie das damals war, vor der Wende als gelernter Förster Wein machen zu wollen. «Die regierenden Kommunisten waren nie sonderlich an unterschiedlichen Rebsorten interessiert», erzählt Gere. «Hauptsache, Wein», so war die Losung, «und das am besten in grossen Mengen. » Die Sorte Portugieser war für dieses Projekt wie geschaffen, mit ihren hohen Erträgen sorgte sie zudem für konstante, stabile Preise. Spuren dieser Arbeitsweise sind mit dem blossen Auge in Villány noch sichtbar. Fährt man an der Nachbarsgemeinde Siklós vorbei, auch Teil der Weinregion, ragen auf den Feldern die alten Kornsilos in die Höhe. Das Weingeschäft, vom Rebstock bis zur Flasche, war fest in Händen der Kolchosen.

Der Zufall wollte es, dass Gere mit der Portugieser- Sorte in Kontakt gerät. Als 24-Jähriger heiratet er in eine Familie mit donauschwäbischer Herkunft ein. Die deutschsprachige Minderheit kam in die Region, als nach osmanischer Besatzung die Habsburgerin Maria Theresia das Karpatenbecken links und rechts der Donau mit Bauern und Handwerkern wiederbevölkerte. Auch ein Vorfahre von Gere muss den Namen Gerbl getragen haben, so erzählt es Gere jetzt mit leiser Stimme auf Deutsch. Wenn er von seiner Familie erzählt, verwendet er die Worte «meine Gattin».

«Ich habe früh gelernt: Ein Wein lässt sich nur verkaufen, wenn er auch gut gemacht ist.»

Der Schwiegervater also, selbst Spross einer weinanbauenden Familie, überzeugt den biertrinkenden Attila mit einem Glas Portugieser von den Vorzügen des Weins. Er nimmt Gere an die Hand. «Er war ein sehr präzis arbeitender Mann. Er brachte mir bei, dass ein Wein nur dann verkauft wird, wenn er auch gut gemacht ist.»

Gere lässt sich daraufhin auf das Abenteuer ein. Er verkauft im Nebenerwerb seinen Wein in 20-Liter-Tanks an lokale Restaurants, die Reben baut er dazu im eigenen Weingarten an. Einige wenige Hektar dürfen Privatpersonen bewirtschaften. Ab 1987 füllt er Flaschen ab. Es ist die Zeit der Wende, mit Mut und Können ergreifen nicht wenige in der Region die Initiative und machen Wein auf eigene Faust, auch heutige Villány-Grössen wie József Bock.

Und so kommt es, dass Gere 1991 das eigene Weingut A. Gere gründet. Er lehnt sich beim Erzählen nun leicht nach vorne, er hält die Hände dicht aneinander. «Wir haben schnell begriffen, dass Portugieser nicht das Rüstzeug hatte für einen Topwein». Und so zieht es Gere in die weite Welt, wo es nach dem Fall des Eisernen Vorhangs viel zu entdecken gilt. Inspiration findet er in Bordeaux. Hier öffnen befreundete Weinberater und Journalisten dem neugierigen Ungarn die Türen. Mit leuchtenden Augen berichtet Gere, wie er im Jahr 1996 Cos d’Estournel im Glas hatte. Doch auch ausländische Winzer lockt die neue Aufbruchstimmung nach Ungarn. Franz Weninger aus Österreich etwa gründete bereits 1992 ein Joint Venture mit dem jungen Villány-Erzeuger, die Kooperation hält bis heute an.

Den mediterranen Stil vor Augen

Bleibende Massstäbe setzt dann eine Verkostung in der Toskana. Eine Fassprobe von Masseto haut Gere aus den Socken. «Ich wurde ab dann nicht mehr losgelassen von der Frage: Was muss ich machen, um so eine Qualität zu keltern?» Die Antwort liefert Gere mit seinem Solus, einem reinsortigen Merlot aus der Lage Kopár, der prompt zu den besten Merlot Ungarns aufsteigt. Von dem Jungfern-Jahrgang 1997 schlummert noch eine Palette in der Bibliothek.

Als er die Kopár-Cuvée auf die Flasche zieht, ist Gere seinem Ziel näher gekommen: einen grossen Wein produzieren, der über die Grenzen hinaus strahlt. Allerdings: «An einen Icon- Wein habe ich nicht unbedingt gedacht, als ich diese Cuvée machen wollte.» An einen mediterranen Wein schon eher, deren Trauben in der Lage Kopár problemlos gedeihen können. Zweidrittel der Böden sind aus Kalkstein, im Sommer wird es locker 35 Grad heiss. Neun von zehn Jahrgängen reifen hier voll aus. Das hat nicht nur Vorteile. Der Klimawandel zeigt sich hier, wie fast überall, in Form von unregelmässigen und kräftigen Regenfällen, der Boden kann das ganze Wasser nicht gut aufnehmen. Gere und auch andere Winzer sind auf die benachbarte Lage Ördögárok ausgewichen, die in einem Talkessel liegt. In den Nullerjahren wurde dieser in den 1970er Jahren verlassene Weinberg wieder auf Vordermann gebracht.

Eine neue Generation

Bordeaux, Toskana und dann zurück – mittlerweile sitzt Andrea Gere, Attilas Tochter, mit am Tisch. Sie, die seit 2003 mit im Betrieb anpackt, wird nun die Leitung übernehmen. Dass sie davor Respekt hat, das zeigt sich, als sie davon erzählt, wie das ist, wenn ihr Vater einen Raum betritt: «Wenn er etwas sagt, dann hören alle zu.»

Und mittlerweile schauen alle auf Andrea. Etwa beim Franc & Franc Summit, bei dem sich jedes Jahr die regionalen Winzer den Puls fühlen und anhand eines fremden eingeladenen Anbaugebiets fragen, wo sie stehen. Dieses Mal ist Bolgheri zu Gast. Andrea Gere sitzt auf einem der Podien und diskutiert mit Winzern aus der Toskana. Sie sagt: «Wir haben unsere eigene Identität, und diese müssen wir in den Vordergrund stellen.»

Pünktlich zum Summit 2023 hat A. Gere den eigenen Keller neu eingerichtet. Ein breiter, roter Streifen leitet die Besucher durch die Räumlichkeiten, an der Seite liegen die Fässer geordnet aufeinander, Reihe an Reihe. In einem Nebenabteil sind die Wände mit Spiegeln ausgekleidet, dort werden die Flaschen vergangener Jahrgänge sauber gestapelt. Attila Gere möchte den neuen Jahrgang präsentieren. Die Tochter führt den Vater nun an die richtigen Fassreihen. Im Keller hat Andrea Gere jetzt den Überblick.

Alles auf Rot

Wie für alle Weingüter aus Villány ist A. Gere auf Cabernet Franc spezialisiert. Auch der Merlot wird zu einem faszinierenden Roten gekeltert.

Fekete Járdovány 2021

16.5 Punkte | 2024 bis 2026

Die alte, autochthone Rebsorte wird seit 2004 von Gere gekeltert. Reift bis zu 12 Monate in Fässern aus 2. und 3. Belegung. Duftet in der Nase nach Tannenzapfen und blauen Waldbeeren. Saftig, zeigt Eukalyptus-Anklänge am Gaumen, das Tannin ist seidig und wirkt.

Villány Franc 2019

17.5 Punkte | 2024 bis 2032

Kühl in der Nase. Dunkle Waldfrucht, Teer, aber auch herbale Anklänge und Zigarrenkiste. Am Gaumen von einem saftigen Säurebogen geprägt, das Tannin zeigt sich griffig, die Struktur ist schlank und athletisch. Ein kühler Stil, der kraftvoll am Gaumen umschmeichelt.

Kopár 2019

18.5 Punkte | 2024 bis 2034

Das Bouquet duftet erdig: Randen und dunkle Waldfrucht, Brombeere und Eukalyptus, Süssgewürz. Wirkt ein Stück fülliger als der 2020er, aber das Jahr auf der Flasche macht den Unterschied: fein, von zarter Konzentration und kraftvoll zugleich, im Auftakt nahtloses Anknüpfen an die Nase. Das Tannin ist sehr griffig. Sehr gelungen.

Kopár 2020

17.5 Punkte | 2024 bis 2032

Zartes Holz in der Nase, Zigarrenkiste und dunkle Waldfrucht. Am Gaumen elegant, mit Konzentration und einem Anflug von Schwarztee. Das Tannin ist noch etwas kantig, doch die Zeit dürfte das glätten. Wurde mit 50% Cabernet Franc, 40% Merlot und 10% Cabernet Sauvignon gekeltert.

Solus 2021

17.5 Punkte | 2025 bis 2034

In der Nase betörend, delikat und intensiv zugleich. Das Tannin sehr körnig, am Gaumen auch Eindrücke von Teer. Ein kraftvoller Wein, mit Volumen und Aromen von grünen Kräutern und erneut eine Spur Teer sowie Beeren im Abgang. Deutet Grösse an, sollte man noch ein Jahr liegen lassen.

Cuvée Attila 2017

18 Punkte | 2025 bis 2030

Eine Selektion der besten Kopár- Fässer, von der es 3000 Flaschen gibt. Betörendes Bouquet von blauer und dunkler Frucht, Zedernholz, feines Kakao-Pulver. Am Gaumen komplex und ebenso betörend, auffallend schlank und saftig, wieder etwas Kakaopulver und griffiges Tannin. Enorme Länge.

Alle Weine ab Weingut erhältlich.

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