Ein Leben wie ein Bachlauf, mit Kurven und Turbulenzen

Peter Jakob Kühn, ein wirklicher Weingärtner

Text: Harald Scholl, Foto: Andreas Durst

Peter Jakob Kühn hat es sich nicht leicht gemacht in seinem Winzerleben, dennoch hat er nahezu alles erreicht, was man als Winzer schaffen kann. Seine Rieslinge stehen seit Jahren an der Spitze des Rheingaus. Heute blickt der vitale Querkopf mit Stolz und Neugier auf das Weingut, das in seinem Sinn und doch anders geführt wird.

Viel Zeit hat er sich nicht gelassen, schon mit 24 Jahren war Peter Jakob Kühn Winzermeister. Ganz konventionell ausgebildet, er war im Prinzip gar nicht fort und hat im elterlichen Betrieb gearbeitet. Nebenher, fast schon alibimässig, hat er in Geisenheim die Ausbildung gemacht. Damals war er nach eigener Aussage weit weg davon, irgendetwas Besonderes, etwas anderes zu machen. Sein Hauptinteresse galt dem Tischtennis, er spielte mit Mainz in der Bundesliga, morgens um fünf wurde eine Stunde mit dem Bruder trainiert, dann wurde im Betrieb geschafft und am Wochenende gespielt. Es war eine enorm intensive Zeit, aber Kühn hatte «…halt Energie ohne Ende». 1980 starb sein Vater, danach hat sich natürlich alles gedreht im Leben des jungen Kühn. Das war von heute auf morgen eine ganz andere Verantwortung, der Tag war wirklich voll. Am Anfang hat Kühn alles noch mit seiner Mutter gemeinsam gemacht, ihr gehörte der Betrieb, und sie hat auch alles unterschrieben. Heute denkt er, dass diese Verantwortungsteilung gar nicht so schlecht war.

Zeit der Orientierung

Als Kühn die Verantwortung im Betrieb übernahm, galt die klare Richtlinie: Wein wird im Keller gemacht. Es wurde mit Kohlensäure, Filtration, Temperatursteuerung und Reinzuchthefen – den gängigen Mitteln, um guten Wein zu machen – gearbeitet. Aber wie so oft, wenn alles in eine Ecke rennt, wird ein bisschen darüber nachgedacht, was man vielleicht doch anders oder besser machen kann. Fragen, die Peter Jakob Kühn umgetrieben haben. Denn das einfache Nachmachen war für ihn keine Option, nicht zuletzt aus persönlichen Gründen. Es gab immer wieder gesundheitliche Probleme bei den Kindern, damals wurden Antibiotika verschrieben wie Bonbons. Er und seine Frau Angela stellten die Ernährung der Familie komplett auf Vollwertkost um – mit Riesenerfolg. Der Medikamenteneinsatz bei den Kindern konnte radikal zurückgefahren werden. Das bestärkte ihn darin, den biologischen Weg hin zum Vollwertigen immer konsequenter zu gehen.

«Die Schaffenskraft, die Energie, die ich hatte, darauf habe ich ganz stark gebaut. Es hat Herbste gegeben, da bin ich drei Tage ohne Schlaf ausgekommen, in dem Wahn, dass es nur so gut wird, es die einzige Möglichkeit ist.»

«Es war natürlich klar, dass wir diesen Weg auch mit unserem Wein gehen wollten, gehen mussten! Und so ist das andere Denken bei mir entstanden.» Kühn kam zu der Überzeugung, dass man Wein auch so aus Trauben machen kann, dass die Traube im Vordergrund steht und nicht die Machart. Eine Entwicklung, die 2004 ihren Höhepunkt fand, als komplett auf Biodynamie umgestellt wurde. Sämtliche Bereiche im Betrieb wurden dabei umgekrempelt, was natürlich nicht immer ganz einfach war. Denn es gibt einen Markt, den man bedienen muss, Kunden, die Erwartungen haben, und Rechnungen, die bezahlt werden müssen. «Das Wirtschaftliche nie aus den Augen zu verlieren, ist wahrscheinlich das Schwierigste daran», sagt er heute.

Mit seinen Gedanken hat er im eher traditionellen Rheingau viele Kollegen angeregt, es sind nach ihm viele Betriebe entstanden, die den Ökogedanken aufgenommen haben. An eine Episode erinnert er sich bis heute: «Wir haben mal im Herbst eine Begehung gemacht, Fred Prinz hat das angeleiert. Wir sind dann zu mir in den Wingert, und die Trauben waren goldgelb, das war ein Bild, wie retuschiert, so schön waren die Trauben. Und der Wilhelm Weil steht da und fragt: ‹Was ist denn da passiert?›, und der Fred hat es ihm erklärt. Das war eine der grössten Anerkennungen, die ich je bekommen hatte, da war ich total glücklich.»

Der Weg zur Biodynamie

Einer, der in Richtung biologischer Weinbau schon früh gut unterwegs war, ist Günter Wittmann, der Vater von Philipp Wittmann. Zehn Jahre älter als Kühn und zehn Jahre früher dran mit der Umstellung auf Bio war er ein Vorbild. Mit ihm hatte Kühn relativ früh Kontakt, wann immer sich die beiden trafen, wurde er gefragt: «Und? Wie weit biste?» Aber so einfach ist das nicht, wenn man es so ernsthaft betreibt wie Kühn. Das ist kein geradliniger Prozess, es gibt Kurven und Hürden.

«Der Weg zur Biodynamie ist schon relativ lang. Denn man muss sich persönlich auch weiterentwickeln, muss Dinge für sich selber herausfinden.»

«Linear geht es nur, wenn du ein Lineal in der Hand hast. Im Leben, in der Natur, da geht nie irgendetwas nur geradeaus. Wir haben Kompost, das ist die Grundlage des biodynamischen Arbeitens, um Dinge oder Fehlentwicklungen im Weinberg wieder gerade zu bekommen, das geht nur über den Kompost. Und dieser Kompost wird aufgebaut wie ein Bachlauf, immer in Kurven, nie gerade. Nur so entsteht die Vielfalt in einem Kompost, und nur so kommt man auch im Leben wirklich voran.» Das andere Wirtschaften im Weinberg verändert laut Kühn auch den Menschen. Ein Beispiel dafür ist Bernhard Ott aus Österreich. Es gab eine Zeit, da war er Kühn viel zu laut, viel zu vordergründig. Unter anderem weil mit den Kollegen nach Veranstaltungen abends regelrecht die Sau rausgelassen wurde. Und das war überhaupt nicht Kühns Ding. Der Umstieg auf ökologisches Wirtschaften hat Ott auch als Mensch verändert, das hat sich Kühn vorher nicht vorstellen können. Heute ist Bernhard jemand, mit dem man unglaublich tiefgründig über Fragen der Ökologie, der Biodynamie diskutieren kann. «Ein toller Kollege», sagt Kühn mit einem Lächeln. «Der Weg zur Biodynamie ist schon relativ lang. Denn man muss sich persönlich auch weiterentwickeln, muss Dinge für sich selber herausfinden.» Und man muss viel Kritik aushalten. Der Betrieb hatte schon richtig gute Zeiten vor der Umstellung auf Biodynamie, die Kollegen haben sich gefragt: «Was will er denn noch mehr erreichen? Oder besser machen?» Frei nach dem Motto «Never change a winning Team». Aber Kühn war mit dem damaligen Status quo nicht zufrieden, er wollte mehr.

Die elfte Generation

2013 war der erste Jahrgang, den Sohn Peter Bernhard verantwortet hat, der Übergang war nicht ganz einfach, aber im weitesten Sinne schon harmonisch. Es gab lediglich ein Ereignis, wo etwas lauter miteinander diskutiert wurde, «…und da habe ich zu mir gesagt: ‹Peter, das passiert dir nicht noch einmal.› Und das haben wir so auch bis heute durchgezogen». Sohn Peter Bernhard wusste von Anfang an genau, was er wollte, dem Vater war noch nicht einmal klar, dass er eine so klare Vorstellung von dem hatte, was er machen wollte. Der Junior hatte seinen Ersatzdienst gemacht, dann Philosophie studiert, Betriebswirtschaft dazugenommen. Aber dass er anschliessend heimkommt, daran hatten seine Eltern keinen Gedanken verschwendet. «Peter ist jemand, der sehr bedacht jeden seiner Schritte setzt, ich dagegen habe manchmal den Schritt verloren, aber er ist da anders.»

Es sei auch ganz normal, dass die Folgegeneration anders ist. Was wäre das auch für eine Generation, die alles genauso macht wie die Vorgänger? Die hätten doch überhaupt keine Fantasie, keine Energie, etwas zu gestalten. Sohn Peter Bernhard hat alles in Frage gestellt, alles anders gemacht. Vom Grundgedanken sind Vater und Sohn zwar ganz nah beieinander, aber in der Ausführung doch ganz anders. «Er delegiert viel mehr als ich, will, dass die Mitarbeiter Eigenverantwortung tragen, selbstständiger sind. Ich konnte das nicht. Ich habe für jeden mitgedacht, der da draussen geschafft hat. Ist die Schere in Ordnung? Habt ihr warme Füsse? Ist die Jacke warm genug? Und Peter Bernahrd sagt: ‹Das müssen sie selber lernen.›» Der Vater hat alles mit unbändiger Energie, mit Einsatz und Kraft gemacht. Es musste weh tun, dann wurde es gut. Das Quälen war für ihn die Grundlage für Qualität. Sohn Peter Bernahrd macht heute genau das Gegenteil davon.

Rieslinge voller Potenzial

Die Langlebigkeit der Weine aus dem Hause Kühn ist seit Jahrzehnten legendär, daran haben auch stilistische Anpassungen nie etwas geändert.

Riesling trocken «Jacobus» 2021

16.5 Punkte | 2023 bis 2035

Ein prachtvoller Gutswein, der zeigt, wie gut im Jahr 2021 gearbeitet wurde. Saftig und klar schon in der Nase, Wiesenblumen, Kräuter und Zitrusschale, dabei vornehm zurückhaltend. Am Gaumen mit Präsenz, zeigt Würze, ist fein pikant, hat Biss und Länge gleichermassen. Ein sicherer Wert, Jahr für Jahr.

Mittelheimer Sankt Nikolaus Riesling VDP. Grosses Gewächs 2020

19 Punkte | 2025 bis 2048

Schon heute ein Monument, voller Grandezza, dabei jederzeit zugänglich. In der Nase verschlossen, zarte Würze deutet sich an. Spielt feingliedrig im Mund, ist dabei voller versteckter Kraft, tiefgründig, würzig. Wird noch einige Zeit Reife brauchen, dann über Jahrzehnte auf Top-Niveau. Im VINUM-Weinguide auf Platz 4 der Jahresbesten.

Oestricher Lenchen Riesling VDP. Grosses Gewächs 2020

18 Punkte | 2024 bis 2040

In diesem Jahrgang die gelungene Verbindung von Vitalität und Schmelz. Die Nase zeigt neben Kräuternoten auch Apfel und Zitrusfrucht, wirkt lebhaft, anregend. Am Gaumen mit zartem Schmelz, charmant, sehr fokussiert auf der Zunge, voller Würze am Zungenrand und mit Saft in der Mitte. Spielt im Mundraum, tänzelt kraftvoll und endet lang.

Oestricher Riesling trocken «Quarzit» 2021

17 Punkte | 2023 bis 2038

Jugendlich und erwachsen zugleich, offenherzige Nase, ruhigeres Mundgefühl. Unterlegt von frischer, niemals aggressiver Säure zeigen sich Kräuter und etwas Steinobst. Herrliche Frische und Ausgewogenheit. Macht jetzt mit Luft schon Freude, die über Jahre anhalten dürfte.

Oestricher Riesling trocken «Quarzit» 2009

17.5 Punkte | 2023 bis 2030

2009 war ein wichtiges Jahr für Kühn: Nach wilden Jahren voller Spontanaromen und ohne jeden Eingriff, erfolgte die Rückkehr zum moderateren Stil. Heute von feinster, angedeuteter Reife, Trockenobst, Honiganklänge. Zeigt Schmelz und Frische gleichermassen, steht erhaben am Gaumen. Ein (kleines) Meisterwerk.

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