Der mit der Zeit tanzt

Mladen Rožanić, Istrien

Text: Thomas Vaterlaus; Foto: Žiga Intihar

Er ist ein international tätiger Topmanager und gleichzeitig ein völlig eigenständig agierender Winzer, der seine mazerierten Crus bis zu zehn Jahre in Holzfässern ausbaut. Von legendären Rhône-Winzern wie Henri Bonneau und Jacques Reynaud (Château Rayas) geprägt, hat Mladen Rožanić in seiner Heimat, dem kroatischen Istrien, ein Wein-Universum geschaffen, das sich jeder konventionellen Einordung entzieht und einzigartige Weine in die Flaschen zaubert.

Es gibt zwei Arten von Winzerlegenden: Da sind jene, bei denen alles im besten Sinne des Wortes beim Alten geblieben zu sein scheint, wenn man sie nach ein paar Jahren wieder besucht. Und dann gibt es Winzerlegenden, die, von ihren Visionen getrieben, immer weitergehen, so dass der Berichterstatter bei jedem Treffen von neuem viele Seiten seines Notizbuches vollschreibt. Ein solcher Winzer ist der 63-jährige Mladen Rožanić, ein schon seit 20 Jahren in der Schweiz wohnhafter Geschäftsmann und gleichzeitig Winzer in Istrien, wo er aufgewachsen und wie seine Rebstöcke tief verwurzelt ist.

Vor uns schimmert in einem Farbton zwischen Bernstein und schottischem Single Malt sein vielleicht bekanntester Wein, der Lara 1/6 2014, früher bekannt unter dem Namen Malvazija Antica. Neun Jahre dauerte die Reise dieses reinsortigen Malvasia Istriana, bis er nun vor uns im Glas schimmert. Die ersten 88 Tage lag der Wein auf seiner Maische. Und nach dieser langen Mazerationszeit schlummerte er weitere 106 Monate lang still und leise in grossen alten Eichenholzfässern im dunklen Roxanich-Keller. Wir riechen Kräuter, Bohnenwachs, Orangenblüten, Kernobst, Nüsse, dazu einen Hauch von Mokka. Und werden dann angesichts dieses Aromenspektakels – wie schon viele Male zuvor - überrascht von der tänzerischen Frische und dem animierenden Temperament, das dieser Wein in unseren Gaumen zaubert. Das ist «Orange» in sehr selten anzutreffender Perfektion. «Ich definiere meine Weine als lebendige Skulpturen in der Zeit, geschaffen mit Säure, Tannin, Körper, Alkohol, vor allem aber auch mit Liebe und Seele, und den Frequenzen, die all das auslösen», sagt Mladen Rožanić und ergänzt: «Wenn ich mir einen perfekten Wein vorstelle, dann sehe ich die perfekt proportionierte Form einer Flamme über einer Kerze in einem dunklen Raum.»

Inspiration in Châteauneuf-du-Pape

Mladen Rožanić ist in der istrischen Küstenstadt Opatija aufgewachsen. Architektonisch von Kurhäusern und Villen aus der Habsburger-Ära geprägt, verbrachte er seine Jugend in der Sozialistischen Republik Jugoslawien, ein Thema, über das er nur ungern spricht. Sein Vater war Schiffsingenieur und Universitätsprofessor. Im Elternhaus spielten gutes Essen und Wein eine wichtige Rolle. «Meine Eltern pflegten intensive Freundschaften. Man lud sich regelmässig gegenseitig zum Essen ein und kredenzte dabei spezielle Weine, auch solche aus Italien und Frankreich. Ich erinnere mich, wie meine Mutter, von Beruf Ärztin, jeweils die Menüs, die sie mit meinem Vater zubereitete, auf Pergament schrieb, bevor die Gäste eintrafen», erzählt Mladen Rožanić. Wie sein Vater wurde er Maschineningenieur und machte international Karriere bei einem Konzern, der weltweit Baumaschinen für Grossprojekte im Strassenbau herstellte. Später gründete er eine eigene Handelsagentur in der Schweiz, die der heute 63-Jährige immer noch führt. Allerdings nimmt er es heute eine Spur ruhiger als früher. Vor 20 Jahren hatten ihm Mitarbeiter einmal vorgerechnet, dass er pro Jahr durchschnittlich 227 Tage in Hotels übernachte, mehr als 100 000 Kilometer mit dem Auto fahre und acht Stunden pro Woche im Flugzeug sitze.

Immerhin: Das damals rastlose Business-Leben bescherte ihm auch magische Weinmomente. «Es war damals üblich, grosse Geschäftsabschlüsse in guten Restaurants zu feiern.» So entdeckte er schon zu Beginn der 1990er Jahre das Rhônetal und seine Weine. Mit seinem tschechischen Freund Jaromir Petak war er mehrmals pro Jahr zwischen Lyon und Bandol unterwegs, wurde Stammgast in Lokalen wie «La Beaugravière» in Mondragon oder «La Feniere» in Cadenet. Besonders häufig fuhren sie anfangs nach Châteauneuf-du-Pape und besuchten Winzer wie die Familie Perrin (Château Beaucastel), Jacques Reynaud (Château Rayas), Henri Bonneau und andere. Mladen Rožanić war überrascht, wie offen ihm die Winzer ihre Geheimnisse anvertrauten. Als er mal einen von ihnen darauf ansprach, antwortete ihm dieser: «Auch wenn ich dir alles erzähle und dir auch noch meine beste Parzelle überlassen würde, so wäre dein Wein doch anders als meiner…» Mladen Rožanić war tief beeindruckt davon, wie die Châteauneuf-Winzern ihre Topweine in fast antiker Weise bereiteten und ihren Elixieren in grossen alten Holzfässern alle Zeit der Welt gaben. Irgendwann kam er zu dem Schluss, dass es in seiner istrischen Heimat auch möglich sein musste, solche Vin de Garde an- und auszubauen.

So begann Mladen Rožanić im Jahr 1998, im Alter von 37 Jahren, nebst seinem Business-Job sein zweites Leben als Winzer. Im Weiler Kosinozici, keine sechs Kilometer von der Adriaküste entfernt, pflanzte er Reben in ausgewählten Parzellen mit den typisch rötlich schimmernden Terra-Rossa-Böden aus eisenhaltigem Lehm auf hartem Kalk. Und richtete in einem ehemaligen Bauernhof mit Metzgerei seine Kellerei ein. Zehn Jahre lang experimentierte er, feilte an seinem Konzept von naturbelassenen Weinen, lange bevor dies «trendy» wurde, und verkaufte die Gewächse aus dieser Findungsphase an Freunde.

«Ich sehe Wein als lebendige Skulptur, geschaffen mit Säure, Tannin, Körper, Alkohol, vor allem aber auch mit Liebe und Seele.»

Erst im Jahr 2008 brachte er seine erste Weinkollektion, basierend auf dem Jahrgang 2005, auf den Markt – mit einem radikal eigenständigen Konzept: biodynamischer Anbau nach den Ideen von Rudolf Steiner ohne synthetische Präparate, spontane Gärung mit rebbergseigenen Hefen, viel Zeit und minimale Intervention im Ausbau. «Trauben sofort pressen, klären, kühlen und mit Reinzuchthefen vergären, das grenzt für mich an Vergewaltigung. So entstehen vielleicht Produkte, aber niemals lebendige Weine mit Seele», sagt er. Darum schickt er auch alle seine Weissweine in eine kurze, viel öfters aber längere oder sehr lange Maischegärung. Mit jedem der rund 20 Weine, die er pro Jahrgang keltert, geht er eine jahrelange Beziehung ein und spielt ihnen klassische Musik vor. Während dieser langen Ausbauphase werden die Weine alle zwei oder drei Jahre sanft in frisch gewaschene Fässer umgezogen und regelmässig verkostet, um den Zeitpunkt abschätzen zu können, zu dem die Weine dann minimalst geschwefelt in die Flaschen kommen. Der erklärte Selfmade-Winzer und Autodidakt ist ein ausgeprägter Individualist. So gehört er keiner Winzergruppierung an und lässt seine Weine nicht zertifizieren. Doch die hohen Erwartungen, die er selber an seine Weine stellt, sind die bestmögliche Qualitätsgarantie.

Neu eine Familienangelegenheit

Vor drei Jahren hat das Weinbauprojekt vollends die Dimension eines Gesamtkunstwerks angenommen. Nur wenige Meter unterhalb der Hügelkuppe, auf der das pittoreske Städtchen Motovun thront, hat Rožanić eine ehemalige Genossenschaftskellerei aus der K.u.K-Zeit restauriert und mit neuen, kubisch modern gestalteten Bauten ergänzt. Auf den insgesamt neun Gebäudeebenen ist nicht nur die neue Kellerei untergebracht, sondern auch ein Designhotel mit 32 Zimmern, Restaurant, Bar sowie Pool mit Ausblick. Einen zweistelligen Millionenbetrag hat der Winzer in das Projekt investiert, das für ihn mehr ist als ein Bauwerk, nämlich der Beginn einer neuen Ära. Er sieht sich nicht mehr länger als alleiniger «Spiritus Rector» seines Projektes, sondern als Teil eines Familienunternehmens. Mladen Rožanić hat sechs Töchter aus drei Beziehungen. Während die vier Jüngsten noch in der Ausbildung stecken, sind die zwei Ältesten schon im Familienunternehmen aktiv. Um ein neues Kapitel dieser ganz und gar sinnlichen wie eigenständigen Wein-Story zu schreiben…

Mit Mazeration und Zeit geformt

Mladen Rožanić produziert drei Kollektionen, nämlich First Roses (Einstiegsweine), Sorelle (mazerierte Gewächse) und Philosophy (Meisterstücke).

Les Bulles Rose 2019
Philosophy Collection

17.5 Punkte | 2023 bis 2026

Der Grundwein besteht aus den Sorten Teran und Borgonja (Kreuzung aus Gamay und Pinot Noir). Florale Noten, ein Hauch von roten Beeren, erdige Anklänge. Im Gaumen zupackend und temperamentvoll. Zéro Dosage.

Montona 2018
First Roses Collection

17.5 Punkte | 2023 bis 2026

Eine frische Interpretation eines reinsortigen Malvasia Istriana. Helles, leicht trübes Gelb. Aromen von Kernobst, besonders Mirabellen, dazu Akazienblüten und ein Anflug von Mandelmilch. Im Gaumen geradlinig und frisch, mit tänzerischer Finesse. Animierend!

Sara 3/6
Sorelle Collection 2011

18 Punkte | 2023 bis 2028

Reinsortiger Chardonnay, sieben Tage mazeriert, dann zehn Jahre in grossen Holzfässern gereift. Helles Bernstein. Aromen von Kernobst, edle Bohnerwachs-Note. Im Gaumen Anflug kandierter Früchte. Enorme Spannkraft. Vielschichtig, erfrischend, langanhaltend.

Lara 1/6
Sorelle Collection 2014

18.5 Punkte | 2023 bis 2030

Reinsortiger Malvasia Istriana, 88 Tage in Holzstanden mazeriert, sieben Jahre in grossen Fässern gereift. Aromen von Single Malt, Garrigue-Kräutern, Orangenblüten und Mandeln. Im Gaumen belebend. Salzig im langen Abgang.

Petra 2/6
Sorelle Collection 2016

18 Punkte | 2023 bis 2030

Rote Cuvée aus Plavac Mali und Teran. Nach langer Maischengärung fünf Jahre im grossen Fass gereift. Rote und dunkle Beeren, Lakritze, Minze, balsamische Noten. Ein Touch Extraktsüsse, fest gebaut, saftige Säure, tänzerisches Spiel.

Bordo 2012
Philosophy Collection

18 Punkte | 2023 bis 2030

Voll ausgereifter und eigenständiger Wein für Liebhaber klassischer Bordeaux und Gran Reservas. Reinsortiger Merlot, fast neun Jahre im grossen Holzfass gereift. Noten von Erde, kandierten Früchten, Weihrauch, Leder und Teer. Im Gaumen überraschend frisch, klar und edel.

Bezugsquelle der Roxanich-Weine: www.brandnewwines.com

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