Port war lange nicht nur der wichtigste Exportwein Portugals, sondern ein Synonym für die gesamte Douro-Region. Die spannendste Entwicklung hat die vergangenen 40 Jahre hingegen der stille Douro-DOC-Wein hingelegt. Einer der Vorkämpfer dieser Spielart: Cristiano van Zeller. Der Spross einer legendären Portwein-Familie hat das neue Antlitz der Region mitgeprägt.
Um das mit einem seiner Lieblingsweine zu erklären, greift Cristiano van Zeller zu einem griffigen Zitat des spanischen Philosophen José Ortega y Gasset. Dieser erklärte einst, dass die Umstände, denen man ausgesetzt ist, den Menschen mitprägen. Ortega y Gasset fasste das bündig in dem Satz zusammen: «Ich bin ich und meine Umstände.» Wie Cristiano diesen Satz erklärt, mitten in der Kellerei von São João da Pesqueira, umgeben von Holzfässern, sieht er tatsächlich aus wie ein Philosoph der Aufklärung, der sich ein Gläschen zum Symposium gönnt. Van Zeller stupst die Brille zurecht, mit seinem Vollbart könnte er aber auch eine Figur in Alexandre Dumas’ «Die drei Musketiere» geben.
Cristiano van Zeller ist Philosoph, Rugby- Spieler, Geschäftsmann und Weinmacher. Er wechselt die Rollen mit Leichtigkeit. Stets spürt man bei ihm eine jugendliche Neugier, die gleichzeitig sein Antrieb ist. Das Ziel? «Immer lernen», sagt van Zeller. Und lernen musste er bereits als 24-Jähriger sehr schnell – kurz nachdem sein an der Spitze der Quinta-do-Noval- Gruppe stehender Vater gestorben war, übernahm Cristiano 1982 die Leitung des Hauses und musste den Arbeitern eine Zukunftsperspektive bieten: «Es wird nicht einfach, aber wir machen weiter», so erinnert sich van Zeller zu die Mitarbeiter gesprochen und so einen Streik abgewendet zu haben. Vor dem Tod des Vaters war zudem fast das gesamte Lager in Vila Nova de Gaia abgebrannt. Es gab und gibt sicherlich bequemere Startpositionen für einen jungen Spross, wie es van Zeller damals war.
An der Renaissance mitgewirkt
Portwein hat die Douro-Region gross gemacht. Van Zellers Familie war an der Mythenbildung direkt beteiligt. Urgrossvater Luiz Vasconcellos Porto baute nach der Reblaus- Katastrophe das Tal wieder auf. «Er erfand die Tawny-Stilistik mit ihren 10, 20, 30 oder 40 Jahren », erzählt van Zeller, «die Idee eines Late Bottled Vintage setzte er 1947 um.» Cristiano folgte diesem innovativen Beispiel und probierte gemeinsam mit ein paar anderen jüngeren Winzern die Kelterung von roten Tafelweinen, die erst seit 1979 offiziell als DOPWeine zugelassen sind, aus. «Obwohl das vorher jeder Winzer gemacht hat. Allerdings nicht mit den besten Trauben, diese wurden für den Port genutzt», erklärt van Zeller. «Ich begann also zu experimentieren, mal liess ich viel Extraktion zu, mal verwendete ich viel reifes Rebmaterial », erinnert sich van Zeller. Jahre später, bei einer Blindverkostung mit Winzerkollegen, sollte eine Flasche gut gereiften Weins überraschen. «Wir stellten uns die Frage, woher dieser Wein stammt. Dann deckte Dirk Niepoort den Wein auf», so erinnert sich van Zeller, «und meinte: ‹Cristiano, das ist dein Wein›». Gemeinsam mit Niepoort und anderen Kollegen gründete van Zeller schliesslich die Douro Boys, um die Welt von dieser neuen Douro-Sprache zu überzeugen.
Diese Lust am Experimentieren und Versuchen brachte Anfang der 2000er Jahre einen neuen Wein hervor: «Eine Partie von sehr alten Reben schmeckte so markant anders, dass meine Weinmacherin Sandra Tavares meinte: ‹Wir stellen das mal zur Seite, vielleicht macht sich das ja später gut in unserem Lebenslauf.›» Prompt war die Cuvée CV (Curriculum Vitae) geboren, die heute ein wichtiger Pfeiler im Portfolio ist. Dabei verfolgt van Zeller ein burgundisches Vorbild: « Ich möchte Frische und Grip am Gaumen.» Aufbruch, Evolution und Weiterentwicklung, das Rad steht bei Cristiano van Zeller nie still. Das liegt vermutlich auch daran, dass er in einer Zeit der Umbrüche erwachsen wurde. Kurz nachdem er das Maschinenbau-Studium im spanischen San Sebastián begonnen hatte, stirbt der spanische Diktator Franco. Auf den Strassen knüppelt das dahinsiechende Regime seine Bürger nieder, die neue Epoche beginnt mit Blut und Gewalt. Man kann sich das gut vorstellen: Wie der 1,92 Meter grosse junge Mann mitgerissen wird vom Strom der neuen Zeit und gleichzeitig am Strand La Concha das Leben geniesst. Seine Mutter gibt ihm vor der Reise mit: «Komm mir bloss nicht mit einem Kind unter dem Arm zurück.» Van Zellers Augen leuchten, als er seine damalige Antwort jetzt wiedergibt: «Mama, hast du nicht mitbekommen, was hier in Portugal los war?» Auch Portugal hatte damals seinen Diktator Salazar abgeschüttelt – van Zeller erlebt 1974 als Teenager die Nelken-Revolution in Portugal. Eine halbe Dekade Rock ’n’ Roll und Revolution am eigenen Leib. Dafür gab es keinen Lehrplan. Jedoch so viel zu lernen.
Ab diesem Moment scheint Cristiano van Zeller den Herausforderungen mit einer bewundernswerten Lockerheit begegnet zu sein. Zum dritten Mal bereits hat er Van Zellers & Co aus einer grösseren Firmengruppe herausgelöst und beginnt praktisch bei null. Die neue Kellerei in São João da Pesqueira muss erweitert werden, überhaupt Handwerker dafür zu finden ist nicht einfach. Doch Cristiano van Zeller zuckt kurz die Schultern. Wird schon irgendwie klappen. Auch den Klimawandel betrachtet er aus einer eher entspannten Warte. «2003 hatten wir 51 Grad Celsius», erzählt er. Die Hitze am Douro ist also nichts Neues. Doch van Zeller schränkt ein: «Was mir wirklich Sorgen macht, das ist das Wasser.» Jetzt, Ende Mai 2023, zeigt sich die Natur von ihrer regenreichen Seite. «Doch was bringt es mir, wenn die durchschnittliche Menge komplett in nur kurzer Zeit niederschlägt? » Die Unregelmässigkeit, mit der es regnet, ist eine höchst problematische Entwicklung. Vielmehr als Angst fordert sie dem Weinmacher van Zeller Respekt ab.
« Meine Weine folgen einem burgundischen Vorbild: Frische und Grip am Gaumen.»
Respekt vor dem Gegner – das hat ihn der Rugby-Sport gelehrt. «Das ist Mannschaftssport durch und durch, wenn bei einem die Spannung loslässt, dann spürt das jedes Teammitglied sofort», sagt van Zeller, der den Sport seit seinem neunten Lebensjahr betreibt. Ausserdem hat er gelernt einzustecken und weiterzumachen. Zahlreiche Verletzungen am eigenen Körper zählt er auf. Das Alter hat ihn da nicht milder gestimmt, noch immer läuft van Zeller in einer Mannschaft der europäischen Golden Oldies League auf.
Zurück zu altem Glanz
Wie ist es nun mit dem Lieblingswein und den Umständen? Van Zeller erzählt die Geschichte leicht schmunzelnd: «Als junger Mann hatte ich Besuch von einer schönen Frau.» Das Tête-à-Tête wurde aufregend, es brauchte etwas zur Erfrischung. Dann zog van Zeller eine Flasche Mateus Rosé aus dem Kühlschrank. «Hat wunderbar gepasst. Wir waren sehr heiss, der Wein sehr kalt.» In seinem heutigen Kühlschrank liegt vermutlich ein 30 Jahre alter Tawny. «Davon wird immer weniger gemacht», stellt Cristiano fest. Doch der Rugby-Spieler ist nicht traurig: «Ich gebe diese Kategorie nicht auf.» Als Beispiel stellt van Zeller einige Juwelen vor – Single Harvest Very Old Tawnies. Er läuft los in die Kellerei, zu Fässern, auf denen mit Kreide die Jahrgänge festgehalten sind, die in ihrem Inneren ruhen: 1950, gar 1888, 1870 oder 1860. Alles noch nicht abgefüllt, alles im Edelstahl, damit bloss nichts verdunstet. Auch dem Wasser hat van Zeller seinen Port anvertraut: Ein Vintage 2020 Ocean Aged schlummert in zehn Metern Seetiefe bei Sines in Südportugal; gehoben wird der Schatz im November 2023. Nachdem dieser Douro-Boy über 30 Jahre den Douro-Tafelwein gross gemacht hat, schliesst sich nun ein Kreis. Cristiano van Zeller kehrt zurück zu den Anfängen seiner Familien- Saga.
Fürs grosszügige Tafeln
Van Zeller macht gastronomische Weine. Die Einstiegslinie VZ passt als Speisebegleiter. Die CV-Linie kann reifen, der Port kalt genossen werden.
Douro DOC VZ Tinto 2019
17.5 Punkte | 2023 bis 2030
Duftet intensiv nach dunklen reifen Waldbeeren, dazu kommt ein Hauch Lakritze. Am Gaumen schöne Konzentration, der Auftakt ist zugleich saftig, die Säure wickelt sich um den satten Fruchtkern; mit sanftem Schmelz ausgestattet und griffigem, gut integrierten Tannin.
Douro DOC VZ Branco 2021
16.5 Punkte | 2023 bis 2031
Reduktive Nase zunächst, dann etwas Pfirsich. Am Gaumen mit Kraft und Saft im Auftakt, dann drängt sich die spitze Säure in den Vordergrund. Wirkt noch im Sturm und Drang, dürfte sich sammeln und harmonischer werden.
Douro DOC CV Tinto 2019
18 Punkte | 2024 bis 2035
Der Topwein des Hauses. In der Nase Tannenzapfen, ätherischer Hauch, dezente Holzwürze, dunkle Waldfrucht, auch Kompott. Am Gaumen zugeknöpft, fast möchte man von «Austerität» sprechen. Zurückhaltend und von griffigem Tannin geprägt. Ein Hauch Eukalyptus im Abgang. Hat enormes Potenzial. Wann ist so ein CV trinkreif? «Wenn ich könnte, würde ich zehn Jahre warten», so van Zeller.
Douro DOC CV Branco 2019
17.5 Punkte | 2024 bis 2035
In der Nase komplex und mit Aromentiefe ausgestattet, zunächst verhalten, mit Luft kommen aber dann Aromen von gelbem Kernobst und einer sehr feinen Holznote. Diese Eleganz findet sich am Gaumen wieder, mit kontrollierter Kraft und einer leicht cremigen Textur im Abgang. Ist ein Wein für die Karaffe.
Porto Old Tawny 30 Years
18 Punkte | 2023 bis 2050
Zeigt sich in der Nase mit delikater Aromatik: frisch, Trockenfrüchte, Leder. Am Gaumen seidig, leicht, ausgestattet mit feiner dunkler Frucht und süsslicher Konzentration. Das Tannin hervorragend integriert, die Säure fliessend und animierend.
LBV – Late Bottled Vintage unfiltered 2018
17 Punkte | 2024 bis 2040
In der Nase zuerst Röstaromen, Haselnüsse, dunkle Schokolade, dann sehr reif wirkende rote Beeren. Am Gaumen mit griffigem Tannin ausgestattet, sehr poliert. Die Struktur ist voluminös, aber nicht überfordernd; endet auf gerösteten Kaffeebohnen.