Jeanne d’Arc des Rieslings

Winzerlegende Theresa Breuer, Rheingau

Text: Eva Maria Dülligen, Fotos: Jana Kay

Nonnenberg oder Pfaffenwies heissen die Spitzenlagen von Theresa Breuer. Sie selbst scheint weniger fromm als in meditativer Balance. Ihren Weinen wiederum haftet etwas Sakrales an. Gemeinsam mit der Rheingauer Winzerin pilgerten wir rückblickend über ihren Kreuzweg: von den holprigen Anfängen bis zum Welterfolg.

Theresa Breuer schreitet in abgenutzten Boots über den Hof und öffnet die Tür zu ihrer neuen Vinothek, der ehemaligen Gutsschenke. Stahlblechverkleidete Wände und Rohbeton-Säulen bilden eine kunstvolle Teilkulisse um die Verkostungszonen. Von hier aus geht es los in die fabelhafte Welt der Rheingau-Winzerin, die das Familienweingut 2004 nach dem plötzlichen Tod ihres Vaters Bernhard Breuer übernahm. Damals war sie gerade zwanzig und hatte nach dem Abi ein Sportstudio eröffnet. Aus dem zog sie sich wieder zurück, um sich im Weingut einzubringen. «Als mein Papa starb, habe ich das hier wie in Trance mit am Laufen gehalten», erinnert sich Theresa, «ohne unseren Betriebsleiter Hermann Schmoranz hätte ich meine ersten Jahrgänge niemals gestemmt.»

Obgleich sie medial gern als «Superwoman» angepriesen wird, beweist die 37 Jährige Bodenhaftung. Nicht ganz einfach, wenn man Lagen-Rieslinge produziert, die weltweiten Jubel auslösen. Kaum ein Geisenheim-Student würde es ausschlagen, hier ein Praktikum abzuleisten: Das macht sich mehr als gut im Lebenslauf. Während der ersten Flights mit ihren Spitzengewächsen aus Berg Schlossberg oder Nonnenberg - von denen die 2019er bereits ausverkauft sind - kommen wir auf den VDP zu sprechen. Bernard Breuer, seinerzeit Vorstandsmitglied und Mitgestalter der Klassifizierung, trat 2000 aus. «Mein Vater kämpfte für eine engere Eingrenzung der Lagen, deutlich in Richtung Climats im Burgund. Als er erkannte, dass er nicht weiterkam, zog er die Konsequenzen. So war er eben.» Ob es für sie ein Manko sei, dass der Adler seine Flügel nicht mehr über den langen Hälsen ihrer Gewächse ausbreite? «Man ist ein paar Mal auf mich zugekommen. Der VDP ist enorm wichtig für den deutschen Wein, aber ich bin nicht so ein Vereinsmeier. Trotzdem würde ich nie ‹nie› sagen.»

Topstar im Weinberg

So wie Theresa niemals das Angebot ausgeschlagen hätte, in einem Kinofilm über das Weinmachen mitzuwirken. «Weinweiblich» heisst die Dokumentation über vier junge Winzerinnen. Der Zuschauer wird in den deutschen Weingutsalltag geführt - der wird entromantisiert, ohne ihn grau zu färben. Theresa sticht wortwitzig hervor, bewegt sich vor der Kamera, als hätte sie nie etwas anderes gemacht. Zwei Jahre begleitete Regisseur Christoph Koch die Protagonistinnen, vom Rebschnitt bis zur finalen Verkostung, an der vier «Frauen-Rieslinge» stehen. Über Zwischentitel wie «Taille oder Terroir» und «Rock oder Riesling» im Teaser zum Film lässt sich streiten. Beim Haupttitel «WeinWeiblich» jedenfalls hat Theresa ein «lautes Veto» eingelegt. Wein zu machen ist für sie keine Frage von männlich oder weiblich, sondern eine des Charakters. Risikobereitschaft entsteht vielleicht, wenn man so früh im Leben das Fundament unter den Füssen entrissen bekommt.

Als Theresa 2013 mit der Planung einer neuen Flaschen-Lagerhalle und der Restaurierung der Gewölbekeller auf ihrem Hof begann, waren die Knüppel seitens der Denkmalpflege kaum zu zählen. Ein geschwungenes Dach und Holzverkleidung waren noch die kleinsten Vorgaben. «Wir haben Tricks angewandt, zum Beispiel, haben wir das Lagerdach ‹gefaltet›, um die Richtlinien der Stadtbildbibel zu erfüllen.» 

«Wein zu machen ist keine Frage von männlich oder weiblich, sondern eine des Charakters»

Mitten in der Altstadt von Rüdesheim steht heute eine imposante 450 Quadratmeter grosse Lagerhalle. Weitere Investitionen flossen in den Erhalt der alten Keller, in denen schon Theresas Grossvater seine Weine vergären liess. «Den Aufwand für die Statik haben wir anfangs unterschätzt», so die Weingutschefin. Wir steigen hinunter in die restaurierten Gewölbe. Stolz zeigt Theresa ihre Stückfässer, die die Weine arbeiten lassen, das Holz aber nicht schmeckbar machen sollen. Sämtliche Steillagen kommen bei ihr ins Holz, die flachen Lagen in Edelstahl. «Unseren Grauburgunder packen wir nicht mehr ins kleine Holz, sondern ins Stück, um ihn gradliniger zu machen.» Es geht weiter in die «Rote Kammer» für den Spätburgunder. Cadus, Stockinger, Vicard - die feinsten Eichenfässer sind aufgereiht.

Empathische Macherin

«Der 2020er liegt noch hier.» Später einmal wird dieser Jahrgang mit reifen Aromen von Waldbeeren und rauchigen Nuancen aus bauchigen Gläsern in die Nasen steigen. Im Eventbereich der historischen Kellerwelt angekommen, eröffnet sich ein atmosphärisch dichter Raum. Raffinierte Lichtinstallationen durchbrechen gewölbtes Steingemäuer, ein weintouristischer Magnet, den die Winzerin mit gemischten Gefühlen betrachtet. «Seit US-amerikanische Besucher den Wein nicht mehr im Handgepäck mit nach Hause führen dürfen, lassen sie sich vor Ort umso mehr bespassen», sagt sie in gewohnt diplomatischer Art. Das romantische Mittelrhein-Tal ist seit der Besetzung durch die GIs nach 1945 für manche aus Übersee zum vinologischen Disneyland geworden. «Wir sind nicht scharf darauf, jedes Wochenende Alarm zu haben.» Theresa Breuer schätzt Weinproben, aber eher jene, wo ihre grazilen Gewächse durch die hohe Kunst des Kochens etwa eines Stefan Steinheuer zur Vollendung finden. Stefan Steinheuer würde seine Grand Cuisine auch nicht zum Bulkwein auftischen.

Im Geländewagen auf dem Weg zum Klosterberg freut sich die ehemalige Studentin der Internationalen Weinwirtschaft immer noch darüber, dass die Cousine ihres Vaters Flächen in Lorch an sie verpachtet hat: «Diese Weinberge sind ein Zauberfleckchen. Wahnsinn, dass es so an uns herangetragen wurde. Das passiert exakt einmal in 30 Jahren». So lange nämlich läuft ein Pachtvertrag. In Lorch gibt es nur Steillagen im Gegensatz zum Rüdesheimer Landschafts-Clash von flach bis steil. Laut Theresa gehören die Steillagen-Rieslinge zu den wertvollsten Weinen: «Im Steilhang herrscht eine andere Idee, und diese forciert einen anderen Aufbau im Wein», was übersetzt bedeutet: Schiefer und Quarzit sorgen für typisch kühle, kräuterwürzige Terroir-Aromen. 

Für einen Moment sinkt die Stimmung, als wir über das Ahrtal sprechen. Grausam, wie viele Menschen von dem übertretenden Fluss weggerissen wurden und ertranken. «Meike und Dörte vom Weingut Meyer-Näkel konnten sich auf einen Baum retten und überlebten. Ich bin, so oft ich konnte, zu den beiden hoch und habe Weinflaschen vom Schlamm befreit», sagt Theresa. «Das war alles so brutal.» 

Am Klosterberg, einer flachen Lage für Breuers Ortsweine angekommen, treffen wir auf die «Gang». Im Hintergrund thront das Benediktinerinnen Kloster St. Hildegart, das zum Unesco-Welterbe gehört. Theresa erklärt, die herrschende Kälte sei ein finales Zeichen, dass die Vegetation vorbei ist. «Das sind die letzten Momente der Nährstoffeinlagerung. Jetzt können wir ganz entspannt mit dem Rebschnitt beginnen.» Ein fünfköpfiges Team arbeitet konzentriert in den Rebzeilen. Bei Theresa dürfen nur erfahrene Mitarbeiter schneiden, die verstehen, was der Rebschnitt bewirkt. Jeder Schritt der Herstellung ihrer Gewächse liegt in erfahrenen Händen. Als befreundete Sommeliers während des Corona-Lockdowns anboten, bei der Ernte zu helfen, lehnte die Winzerin schweren Herzens ab: «Ich hätte sie so gerne machen lassen. Aber der kleinste Fehler kann für die Weine nach hinten losgehen.» Louie kommt auf uns zu gehechelt. Woher sie den denn habe, fragt Fotografin Jana, die das Star-Potenzial des Parson Russells blitzschnell erkennt. «Um ehrlich zu sein, aus Ebay-Kleinanzeigen.» So ist sie eben.

Sonne, Schiefer, steilste Lagen

Ein Wahnsinnsterroir herrscht in den steilen, südlich ausgerichteten Lagen. Schiefer und Quarzit bringen Struktur und mineralische Noten ins Glas. Zuvor finden die Lagen-Rieslinge im grossen Holzfass innere Balance.


Rüdesheimer Berg Rottland Riesling 2020

17.5 Punkte | 2022 bis 2027

Mit Vanillestaub auf Marzipan verströmt der Riesling aus der vom VDP klassifizierten Ersten Lage den winterlichsten Duft. Dahinter ploppt Grapefruitschale auf. Filigrane Meersalzigkeit und feinherbe Limonenakzente am Gaumen. Seidig-kühl, cremiger Abgang.

Rauenthaler Nonnenberg Riesling 2020

18 Punkte | 2022 bis 2028

Umwerfende Eleganz des Monopol-Lagen-Rieslings. Aus hellem Gold steigen leichter Rauch und Bergkräuter. Der heisse und trockene Jahrgang verspricht grossartige Reife. Strahlige Präsenz mit hauchfeinem Schmelz. Exotische Anklänge, ausgewogene Restsüsse.

Lorcher Pfaffenwies Riesling 2020

17 Punkte | 2022 bis 2026

Die neuen Lorcher Steillagen-Parzellen lassen ihren Riesling mit verhaltener Reife und gelben Blüten im Bouquet brillieren. Raffinierte Struktur, die von kühl bis seidig reicht. Viel Saft am Gaumen. Eleganter, feingliedriger Körper, mittellang und komplex im Finish.

Rüdesheimer Berg Schlossberg Riesling 2020

18 Punkte | 2022 bis 2027

Bis zu 40 Jahre alte Rebstöcke auf verwittertem Schiefer übersetzen sich in jugendliche Essenz mit kühlen, kräuterwürzigen Terroir-Aromen. Der Schlossberg zeigt unvergleichbare Reife, Tiefe und Länge. Saftige, glatte Textur, rassige Meersalzigkeit. Viel Exotik in Form von Papaya und Ananas.

Rüdesheimer Berg Roseneck Riesling 2015

17.5 Punkte | 2022 bis 2025

Zart in der Reife mit dem klassischen Hauch von Stein und reifer werdender Frucht. Zugleich floral. Schön seidig in der Struktur mit ganz feinen Phenolen. Saftige Säure, dennoch weder aufdringlich noch dick oder anstrengend. Harmonischer Abgang.

Terra Montosa Riesling 2020

17 Punkte | 2022 bis 2025

Parzellenübergreifendes Traubenmaterial verschiedener Hanglagen bringt einen blassgoldenen Riesling mit Ananasnase und Aromen von gelber Steinfrucht hervor. Leicht salzige Mineralik und feinnervige Säure.

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