Winzerlegende Michel Drappier ist ein Mann mit Werten
Drappier, das ist zuerst und vor allem eine Familie
Text: Barbara Schroeder. Fotos: Rolf Bichsel
Drappier ist ein altes Winzergeschlecht. Seinen Ruf als Spitzenbetrieb aus dem oft geschmähten Süden der Champagne hat er Michel Drappier zu verdanken, dem aktuellen Firmenchef. Doch der winkt bescheiden ab. Für ihn ist das Abenteuer Drappier eine Familiensaga, zu der jedes Mitglied jeder Generation, ob Frau, ob Mann oder Sprössling, das seine beiträgt, beigetragen hat – oder in der Zukunft noch beitragen wird.
Es scheint wie ein Axiom: Drappier, das ist zuerst und vor allem eine Familie. Wenn Michel Drappier von sich erzählt, beginnt er fast immer mit: «wir». Das ist nicht Pluralis Majestatis. Gemeint ist: «Wir, die Familie Drappier.» Er spricht von Vater, Mutter, Grossvater, der Gattin, den Kindern und Enkeln. Sich selbst bringt er selten ein. Doch ob er es wahr haben will oder nicht: Michel Drappier ist eine echte Legende. Seit fast 50 Jahren macht er sich für die Kultur des Champagners stark und die Anerkennung der Côte des Bar, seiner Heimatregion im Süden der Champagne. Er hat den Namen Drappier weltbekannt gemacht, den Stil der Marke weiterentwickelt sowie konsequent und gekonnt sublimiert. Drappier-Champagner gehören zum Besten, was es heute an Schaumwein zu geniessen gibt. Sie haben einen unverwechselbaren, in seiner Grundlage von Traube, Terroir und der Sorte Pinot Noir geprägten Charakter. Doch wir greifen vor.
Anfang als kleiner Traubenlieferant
Historisch gesehen begann alles mit dem Ur-Ur-Ur-Urgrossvater. Der war Holzfäller in Bayel, einst weltbekannt für seine (heute lahm gelegte) königliche Glasbläserei (Cristallerie Royale de Champagne), die praktisch das ganze Dorf ernährte. Er entschloss sich, nicht alle Eier in den gleichen Korb zu legen, erwarb im Nachbarort Urville mit seinen hervorragenden Lagen etwas Land, legte einen kleinen Rebberg an. Wein produzierte er nicht selber. Er verkaufte seine Ernte an den Handel, wie auch die folgenden Generationen. Sie lieferten Trauben an Familienbetriebe wie Heidsieck oder Chandon. Winzerchampagner war bis Anfang des 20. Jahrhunderts ein absolutes Fremdwort.
Der Aufstieg zum Winzerbetrieb ist der Weitsicht von Michels Grossvater Georges zu verdanken. Georges machte den Ersten Weltkrieg mit, kämpfte 1916 in Verdun, wurde verwundet. Er kehrte krank und müde nach Hause zurück. Dennoch entschloss er sich, das Wagnis einzugehen und seine Rebberge mit der Sorte Pinot Noir neu zu bestocken. So kam er zum Spitznamen «Père Pinot». Wichtigste Sorte der Aube im Süden der Champagne (oder im Norden des Burgund) war der pflegeleichte Gamay. Der Pinot galt als kapriziöse Nobelsorte der Côte d’Or und der Montagne de Reims, zu anfällig und nicht produktiv genug. Doch die Spötter sollten das Nachsehen haben. Heute ist der Pinot Noir klar die Starsorte der Côte des Bar. Michel Drappier: «Mein Grossvater war nicht nur ein besonders tüchtiger Winzer, sondern auch ein grosszügiger Mensch. Er machte zwei Weltkriege mit, doch das hielt ihn nie davon ab, Deutschland grossen Respekt zu zollen. » 1940 durchquerten Soldaten der Wehrmacht das Dorf. Sie besuchten die Keller und liessen wohl auch ein paar Flaschen mitgehen – doch nichts ging zu Bruch. «Das sind Musterflaschen », sagte weise der Grossvater, «das nächste Mal kehren sie als Kunden zurück!» Er sollte einmal mehr recht behalten. In den 1960er und 1970er Jahren wurde Deutschland zum wichtigsten Markt der Drappier-Champagner.
«Wir sind und bleiben ein Familienbetrieb. Die Familie geht mir über alles.»
Michel Drappier
Die Weitsicht von «Vater Pinot» hat viel dazu beigetragen. Als Michels Vater André 1947 auf seinem Rücken seine erste Ernte in den Keller schleppte (er liess sich dabei vom deutschen Kriegsgefangenen Helmut helfen, was zu einer lebenslangen Freundschaft führen sollte), konnte er auf das Familienkapital zählen: 30 Jahre alte, in erstklassigen Lagen gepflanzte Pinot-Noir-Stöcke, die hervorragende Trauben ergaben. André ist immer noch da und feiert aktuell seine 76. Ernte! «Natürlich macht er nicht mehr aktiv mit, doch er schaut vergnügt dem Treiben zu, freut sich an der Qualität, verkostet den frischen Traubensaft, der von der Kelter tropft», erzählt Michel lächelnd.
André Drappier war die Abhängigkeit vom immer mächtiger werdenden Handel nicht ganz geheuer. Er begann, konsequent selber zu champagnisieren und seine Weine zu vertreiben. Er gab Verträge mit Häusern wie Veuve Cliquot oder Canard Duchêne auf. 1985 lieferte Drappier das letzte Mal Trauben an Moët & Chandon. Dafür lancierte Drappier 1952 die Cuvée Carte d’Or, die bis heute mit ihrem einprägsamen gelben Etikett das Aushängeschild des Hauses ist. Michel Drappier: «Die Idee mit der Farbe hatte meine Mutter. Sie war zeitlebens immer sehr präsent im Betrieb und hat meinen Vater tatkräftig unterstützt. Sie hatte eine gute Nase, verkostete ausgezeichnet und verstand sich auf Weinbau. Man darf die Rolle der Frauen in einem Familienbetrieb nicht unterschätzen. Meine Mutter hat zu meinem Vater gehalten, so wie meine Frau bis heute zu mir hält. Wir wären wenig ohne unsere Frauen!»
Michel ist «seinen» Frauen nur einmal untreu geworden. 2014 hat er sich entschlossen, den Rosé nicht mehr in einer transparenten Flasche auszuliefern, wie sie seine Mutter einst aus ästhetischen Gründen eingeführt hatte, sondern in einer dunklen. «Auch meine Frau und meine Tochter waren dagegen. Die transparente Flasche sei hübscher, meinten sie. Sie haben natürlich recht. Doch aus Sicht des Önologen schützt die getönte Flasche den Wein besser. Ich spreche immer noch jeden Tag zu meiner (verstorbenen) Mutter, erkläre meinen Schritt und entschuldige mich bei ihr dafür.»
Damit ist ein Grossteil des «Wir» abgehakt. Kommen wir auf das «Ich» zu sprechen, den Menschen Michel Drappier, den Weinfachmann, die Champagnerlegende. «Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich wollte immer Wein machen, Wein, Wein, Wein. Als ich meinen Militärdienst abverdienen musste, setzte ich alles daran, sechs Monate an der Mosel stationiert zu sein. Ich habe sogar ein paar Brocken Deutsch gelernt.» Seine Karriere: erste Ernte (im Burgund) 1974, fünf Jahre Weinfachstudium in Beaune, gemeinsam mit Jungwinzern wie Selosse, Ostertag, Trimbach oder Pierre Gaillard. Volontariate auf Domaine Chandon in Kalifornien («Dort habe ich in puncto Klima und Traubenreife das gelernt, was ich heute, genau 50 Jahre später, anwenden kann.») und in Reims bei Piper Heidsieck. Danach Rückkehr in den Betrieb, wo eine ganze Anzahl kaum vermeidbarer Generationenkonflikte auf ihn wartete. Michel hätte am liebsten weiter studiert. Doch André meinte, es sei endlich Zeit für anständige Arbeit. Der Vater wollte modernisieren, vergrössern, die alten Keller aus dem 12. Jahrhundert aufgeben: Michel setzte durch, diese zu bewahren und zu renovieren, bekannte sich zu klein und fein statt gross und gewöhnlich.
«Die Burgunder-Schule hat mich geprägt. In den 1970er Jahren setzten die grossen Champagnerhäuser auf Menge, installierten riesige Inoxtanks, stellten Manager ein. Ich sah mich eher als Kunsthandwerker, mit kleinen Volumen, etwas Holzfassausbau. Ich interessierte mich für alte Sorten und wollte in jeder Art und Weise unser Erbe bewahren, das Teil unserer Geschichte ist. Mag sein, dass es nicht rentabel ist, alte Sorten wie Arbanne oder Blanc Vrai (Pinot Blanc) anzupflanzen oder eine Parzelle massal vermehrter, mit dem Pferd bestellter Pinot-Noir-Reben zu einer von Hand gerüttelten Spezialcuvée (La Grande Sendrée) zu verarbeiten. Wir tun es trotzdem.» Damit ist alles gesagt.
Das Gute: Die Drappiers ziehen weiter am gleichen Strang. Die drei Kinder («Die beiden Älteren sind bessere, kompetentere Ausgaben von mir und der Jüngste ist wie ich ein Kind der Natur», sagt er, zum ersten Mal mit verhaltener Eitelkeit des stolzen Vaters) werden diese Philosophie weiterführen: Charline, die Kreative, Hugo, der Techniker und Weinbauer, und Antoine, der Naturmensch, der Pferde züchtet und einen Biogarten bestellt. Michel Drappier: «Das Einzige, was sie von mir unterscheidet: Sie werden es noch weiter bringen!»