Der Patriarch des Hauses Antinori

Winzerlegende Marchese Piero Antinori, Toskana

Text: Christian Eder, Fotos: Bruno Bruchi, Kevin Cruff, z.V.g.

Marchese Piero Antinori sitzt mir im grauen Anzug mit dezent gepunkteter Krawatte gegenüber. Zeitlos der Stil, zeitlos der Mann: der Patriarch des Hauses Antinori, einer der renommiertesten Weinbaubetriebe der Welt. Wir haben uns im Palazzo Antinori im Herzen von Florenz verabredet. Hier residieren die Marchesi Antinori seit Jahrhunderten.

Im Besprechungsraum im Parterre des Palazzo Antinori im Herzen von Florenz haben wir es uns bei einem Espresso und ein paar Flaschen Antinori-Wein gemütlich gemacht. In den oberen Stockwerken des Renaissance-Palastes lebt Marchese Piero mit seiner Familie. Und von hier aus hat der 84-jährige Adelige dem italienischen Qualitätsweinbau vor mehr als 50 Jahren auf die Sprünge geholfen, hat die Supertuscans aus der Taufe gehoben und zur Geburt des Weinbaugebietes Bolgheri beigetragen. Mit dem modernen Weingut in Barcino ist erst 2012 ein Aushängeschild für das Chianti Classico entstanden. Ganz zu schweigen von Weingütern in Montalcino, Montepulciano, in der Maremma, in Umbrien, der Lombardei oder Apulien oder sogar im Napa Valley.

Einen Tag vor unserem Treffen hat Marchese Piero Antinori einen weiteren Coup gelandet: Er hat seine Unterschrift unter den Vertrag zur Mehrheitsübernahme eines der renommiertesten Weingüter des Friaul gesetzt: Silvio Jermann. «Das liess ich mir trotz Ruhestand nicht nehmen», erzählt er. Und hat sich damit auch selbst einen Traum erfüllt: neben Castello della Sala noch einen weiteren Betrieb für Weissweine im Portfolio zu haben. Zur Abrundung seines Lebenswerks. Aber für Marchese Piero, so meint er selbst, sei es wohl die letzte grosse Entscheidung gewesen, die er geschäftlich getroffen habe.

55 Jahre sind es nun, dass Marchese Piero dem Hause vorsteht, einem der bekanntesten Familienimperien Italiens. Eigentlich ist er seit einigen Jahren im Ruhestand und hat seiner ältesten Tochter Albiera gemeinsam mit dem langjährigen Önologen Renzo Cotarella die Leitung Antinoris übertragen. Seit einigen Jahren ist das Haus Antinori eine Stiftung, «um die Bande zwischen Familie und Haus für mindestens hundert Jahre zu festigen», sagt Marchese Piero. «Jetzt sind wir noch wenige - die Familien meiner Töchter und ich - aber in einigen Jahrzehnten könnte die Familie Antinori auch aus 40, 50 Personen bestehen, und jemand käme auf die Idee, das Gut zu verkaufen oder auch nur einen Teil. Das will ich vermeiden.»

Pieros Vater selbst hat ihm 1966 die Leitung anvertraut, damals war dieser 68 Jahre alt. «Mach du, was du willst, ich bin da, wenn du mich brauchst», habe er damals gesagt. Das habe Marchese Piero auch seinen Kindern und Enkeln gesagt, obwohl ihm immer noch die Rolle des Patriarchen zufällt: «Ich sehe mich nicht als Patriarch, aber ohne Zweifel bin ich in meinem Alter etwas in diese Rolle hineingewachsen.» Das letzte Wort bei der Verkostung vor dem Verschnitt lässt er sich zumindest noch immer nicht nehmen: «Ich kann zum Glück entscheiden, was ich machen will, so habe ich mir die Aufgaben behalten, die mir Spass machen: Ich besuche unsere Kellereien, degustiere die Weine und kritisiere. Aber das erwarten auch alle von mir.»

Ikonenwein Tignanello

Die Geburt des Tignanello vor 50 Jahren war wie ein Schlüsselerlebnis für Piero Antinori. Er wirft einen stolzen Blick auf das ikonenhafte Etikett: «Dieser Wein liegt mir wirklich a cuore - am Herzen: Er hat unsere Geschichte und die des italienischen Weines verändert.» Der Einzellagenwein - ein Blend aus viel Sangiovese und etwas Cabernet - hat den Weg der Supertuscans geebnet, ist aber auch eine Ikone in Evolution, meint Marchese Piero: «Wir haben gerade erst eine Vertikale der vergangenen 50 Jahre degustiert. Der aktuelle Jahrgang 2018 war einer der besten, die wir je gemacht haben.» Gerade erst, zum Jubiläum des Weines, ist es ihm gelungen, den Tignanello-Rebberg zu komplettieren: «Ein kleines Stück, das wir einst verkauft hatten, haben wir zurückgekauft. Nun ist der Rebberg wieder komplett.» Etwas wehmütig erinnert sich Marchese Piero auch an einen seiner grossen Lehrmeister, den französischen Weinmacher Émile Peynaud, der ihm gemeinsam mit Giacomo Tachis geholfen hat, den Tignanello aus der Taufe zu heben: «Er war ein Wissenschaftler, aber auch ein hervorragender Kellermeister. Und er war ein Geniesser, hat gerne getrunken und gegessen. Das alles zusammen in einer Person findet man selten.»

Die Marke Antinori soll nur für Weine von hoher Qualität stehen.

Émile Peynaud hat Marchese Piero auch dazu angeregt, dass die Marke Antinori nur für Weine von hoher Qualität stehen soll. Dieser Idee ist Piero Antinori bis heute treu geblieben. Deshalb will er in Zukunft auf die unterschiedlichen Lagen setzen, die Antinori im Gebiet des Chianti Classico besitzt. Ziel ist es, dort eine Handvoll Lagen-Chianti-Classico zu produzieren, Weine mit dem Goût de Terroir. «Zum Beispiel haben wir bei Gaiole Reben auf kalkhaltigen Böden in mehr als 400 Metern Meereshöhe neu gepflanzt: Das werden grossartige Chianti Classico, die anders sind, weil sie aus hohen Lagen stammen, auch wenn sie im Süden des Gebietes liegen. Sie vereinen Eleganz und Grazie mit viel Blumigkeit. Einen anderen Rebberg besitzen wir in Castellina Alta. Dort entstehen reife Weine, reich und mit grosser Harmonie.»

Gerade diese unterschiedlichen Expressionen des Anbaugebietes haben es ihm angetan: «Diese Stilvielfalt ist ähnlich wie im Bordelais eine der grossen Stärken des Chianti Classico.» Auch die nächste Generation ist bereits an diesem Projekt beteiligt: Ein Enkel hat im Rahmen seines Studiums an der Universität Montpellier über zwei Jahre hinweg Mikrovinifikationen der einzelnen Zonen des Chianti Classico gemacht. Die Ergebnisse sind vielversprechend. «Theoretisch könnten das alles Gran Selezione (die höchste Stufe der Qualitätspyramide des Chianti Classico) werden», meint der Marchese.

Die Nachfolge im Familienimperium scheint dadurch auch gesichert: Zwei von Pieros sechs Enkeln, die Kinder der Tochter Albiera, arbeiten bereits in der Kellerei. Marchese Piero: «Natürlich sind alle frei, zu tun, was sie wollen, aber solange sie keine andere Passion, wie Musik, Medizin oder Priester zu werden, haben, ist es sicher eine gute Idee, bei Antinori zu arbeiten. Ich sage meinen Enkeln immer, wie fortunati sie sind, im Weinbau zu arbeiten. Mit einem Lebensmittel, das piacevolezza, convivialità, emozioni (Annehmlichkeit, Geselligkeit, Emotionen) gibt.»

Aber gerade weil ihm seine Familie im Imperium zur Seite steht, hat er auch mehr Zeit für seine anderen Leidenschaften. Das ist vor allem Sport, die Bewegung in der Natur. Schon als Junge hat er mit seinem Vater Golf gespielt, dann 35 Jahre aufgehört. Vor 20 Jahren hat er wieder begonnen und spielt bis heute regelmässig mit grosser Leidenschaft. Meist in Punta Ala nahe seinem Weingut in Bolgheri, bis zum Vorjahr mit einem Handicap unter 10. Das Handicap ist ihm egal: «Se gioco bene mi diverto, se gioco male mi diverto lo stesso. Wenn ich gut spiele, vergnüge ich mich, wenn ich schlecht spiele, ebenso. Ein Golfspieler denkt nur an den Ball und vergisst alles rundherum.»

Eine andere Passion hat dadurch etwas gelitten: die Jagd. Mit seiner Tochter Albiera geht er allerdings immer noch auf der Tenuta Guado al Tasso bei Bolgheri auf die Pirsch. Guado al Tasso ist auch der Ort, an dem die Familienbande zusammenlaufen: Er und seine Töchter verbringen die Wochenenden dort, auch sein Bruder Lodovico wohnt nebenan. Gerade in der Zeit des Lockdowns hat man sich dort fast jeden Tag gesehen. Aber Marchese Pieros Herz schlägt dennoch für Florenz: «Das ist meine Stadt!» sagt er noch beim Abschied vor den Toren des Palazzo Antinori. Auch wenn er sich schon wieder freut, nach dem Lockdown mit einem oder zwei seiner Enkel auf sein Weingut ins Napa Valley reisen zu können. Nicht zuletzt zum Golfspielen.

Vini del Cuore

Aus der grossen Palette des Hauses Antinori hat Marchese Piero Antinori sechs Etiketten ausgewählt, die ihm am Herzen liegen.


Castello della Sala - Umbria IGT Conte della Vipera 2020

17 Punkte | 2022 bis 2025

Aus einer Selektion von Sauvignon Blanc und Semillon: duftet verführerisch nach Mango, Zitrusfrüchten und Blüten; am Gaumen ausgewogen mit lebendiger Säure, viel Saft und Schliff bis ins knackige Finale. Passt ideal zu Fisch und hellem Fleisch. 

Tenuta Tignanello - Chianti Classico Riserva Marchese Antinori 2018

17.5 Punkte | 2023 bis 2027

Anheimelnde Nase nach Veilchen und Himbeeren; gut strukturiert und doch elegant am Gaumen, dicht und füllig bis ins ausgewogene Fruchtfinale. 

Toscana IGT Tignanello 2018

19 Punkte | 2024 bis 2030

Von einem Rebberg in 350 bis 400 Metern Meereshöhe auf der Tenuta Tignanello symbolisiert dieser Blend aus Sangiovese mit etwas Cabernet Tradition und Innovation in einem. Im Jahrgang 2018 zeigt sich der Tignanello in Topform: die Nase fruchtig-würzig, der Verlauf finessenreich und doch charaktervoll, von grosser Länge und Eleganz. 

Toscana IGT Solaia 2018

18.5 Punkte | 2024 bis 2030

Das Gegenstück zum Tignanello: Cabernet dominiert hier Blend und Bouquet. Duftet nach Waldbeeren, Kaffee und Vanille, auch feine Macchianoten; im Mund gut strukturiert, die Gerbstoffe feinkörnig, unterstützt von der Säure, anhaltend beerig-würzig der Abgang.

Le Mortelle – Maremma Toscana DOC Poggio Alle Nane 2018

17.5 Punkte | 2022 bis 2028

Stimmige Cuvée aus Cabernet Franc, Cabernet Sauvignon und etwas Carmenere: würzig-fruchtige Blume, Pfeffernoten; dicht und füllig am Gaumen, facettenreich und fruchtig das Finale. Bereitet jetzt Vergnügen, kann aber auch noch reifen.

Guado al Tasso - Bolgheri DOC Superiore Guado al Tasso 2016

18 Punkte | 2023 bis 2029

Dieser Blend aus Cabernet Sauvignon mit Merlot und Cabernet Franc repräsentiert das Terroir an der Küste: betörende Fruchtnase, auch würzige Nuancen, dezente Vanille; geschmeidiger Bau, die engmaschigen Gerbstoffe akkurat eingebunden, von grosser Fülle und Länge.

vinum+

Weiterlesen?

Dieser Artikel ist exklusiv für
unsere Abonnenten.

Ich bin bereits VINUM-
Abonnent/in

Ich möchte von exklusiven Vorteilen profitieren