Winzerlegende Jean-Nicolas Méo, Frankreich
Burgunder Erfolgsgarant
Text: Barbara Schroeder, Fotos: Rolf Bichsel
Alles bestimmte ihn dazu, Winzer zu werden. Alles – oder nichts. Alles: Jean-Nicolas Méo ist der Spross einer Burgunder Familie, die bereits im 17. Jahrhundert im Weinbau tätig war. Oder nichts: Er ist der erste vollamtliche Weinbauer der Familie seit mehreren Generationen.
Méo-Camuzet ist ein Name, den Weinfreunde so andächtig murmeln wie Armand Rousseau, Bruno Clair oder Coche-Dury. Der Betrieb liegt gleich neben der Domaine de la Romanée Conti in Vosne Romanée (echt und im übertragenen Sinn), in einem grossen, verwinkelten, aber ansonsten ganz und gar unscheinbaren Gebäude mit funktionellen Büros ohne jeden Kitsch und Tand und einem unterirdischen Keller, den nichts von Dutzenden anderen Kellern des Burgund unterscheidet (mal abgesehen davon, dass er blitzsauber ist, keine Spinnwebenromantik hier). Jean-Nicolas ist ein umworbener Winzerstar. Die Weine des Hauses – Grands Crus wie Corton Perrières, Clos Vougeot, Richebourg oder Echézeaux, Premiers Crus wie Nuits- Saint-Georges aux Murgers oder Vosne-Romanée au Cros Parantou – sind gesucht und rar. Doch genau genommen gibt es die Domaine Méo-Camuzet erst seit rund 30 Jahren. Allein die Tatsache, dass sie praktisch aus dem Stand an die Spitze der Burgunder Weinhierarchie geschnellt ist, spricht Bände. Die Geschichte des Familienbetriebs ist so verwinkelt wie die Domäne selber. Da ist einmal die Familie Méo, während Generationen Weinbauern im Norden der Côte d’Or. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts machten die Méos Karriere als Lehrer, Ingenieure, Staatsangestellte, lebten teils in Paris. Jean-Nicolas Grossvater Gaston heiratete Marcelle Lamarche-Confuron, Tochter einer alten Winzerfamilie, und liess sich in Nuits-Saint -Georges nieder. Die Grossmutter war mit den Camuzets verschwägert, einer anderen alteingesessenen Familie von Vosne-Romanée. Die Méos wiederum waren eng mit Etienne Camuzet befreundet, dem charismatischen Parlamentarier und Bürgermeister des Dorfes, so ganz neben bei Besitzer des Schlosses und von 20 Hektar Reben im legendären oberen Teil des Clos de Vougeot, die er von Pächtern bestellen liess. 1944 verkaufte er den Grossteil des Clos (17 Hektar) an mehrere Winzerkollegen und behielt nur drei Hektar zurück.
«Was ich an meinem Beruf besonders schätze? Die Vielfalt der Aufgaben, die Nähe zur Natur.»
Das Schloss wurde der Weinbruderschaft Chevaliers du Tastevin überschrieben. Als Etienne Camuzet 1959 kinderlos starb, vermachte er seinen Rebbesitz an Jean Méo. Jean-Nicolas hält ein und holt Atem. Die im Rekordtempo vorgetragene Familiengeschichte hat nicht nur ihn um den Schnauf gebracht. «Ja, das Gewicht der Geschichte und der Familie», gesteht er lächelnd. Und doch: Ohne die Familie wäre er heute nicht da, wo er ist. Der Weinbaubetrieb blieb auch unter den Méos verpachtet, zu den Pächtern gehörte ein gewisser Henri Jayer, eine andere Burgunder Legende. Vater Jean kümmerte sich von Paris aus um die Geschäfte, unterstützt durch die Grosseltern, die nach der Pensionierung vor Ort zum Rechten schauten. Doch Anfang der 1980er Jahre hatten die Méos angesichts der wachsenden gesetzlichen und steuerlichen Auflagen nur mehr eine Wahl, wenn sie ihren Betrieb nicht verlieren wollten: Sie mussten ihre Weine auf die Flasche bringen und eigenhändig vertreiben. Dazu brauchte es einen Mann vor Ort. Jean Méo war zu alt, um als Jungwinzer durch zu gehen. Die Auflage blieb am gerade 20-jährigen Jean-Nicolas hängen. Nach Abschluss seiner Studien liess er sich 1989 endgültig in Vosne nieder, wurde Verwalter des rund 5,5 Hektar grossen Familienbetriebs.
Schneller Erfolg
«Von Weinbau hatte ich ja nun wirklich keine Ahnung», gibt Jean-Nicolas zu. «Doch genau darum akzeptierte Henri, mich auszubilden. Er wollte nicht mit jemandem herumstreiten, der eine andere Meinung vertrat als er. Mir sollte das recht sein.» Henri Jayer war ein ausgezeichneter Weinmacher, der noch heute, über zehn Jahre nach seinem Tod, vielen Burgundern als Vorbild gilt. Er war es, der den heute doch ziemlich ausgelutscht wirkenden Satz «Der Wein beginnt im Rebberg» prägte. Doch mit zunehmendem Alter interessierte er sich weniger für die eigentliche Rebarbeit. Diese wurde von Christian Faurois übernommen, Sohn früherer Pächter, der schliesslich fast 30 Jahre lang die Rolle eines Rebmeisters spielen sollte. «Eine ideale Lösung. Ich hatte zwei erfahrene Leute zur Seite, die Kontinuität garantierten.» Jean-Nicolas liess sich mitreissen, ohne gross Fragen zu stellen.
«Von Weinbau hatte ich ja nun wirklich keine Ahnung»
«Der Winzerberuf hat sich mir gleichsam aufgedrängt. Die Rebe wartet nicht, sie wächst und trägt Früchte und zieht dich mit in ihrem Sog.» Jean-Nicolas mochte die Weine, die in diesem Teamwork entstanden. Schon sein erster Jahrgang, 1989, wurde zum Grosserfolg. Auch kommerziell lief alles wie am Schnürchen. Gemäss Vertrag übernahm Jean-Nicolas die Kunden der bis dahin von Henri Jayer vertriebenen Lagen (Richebourg, Nuits-Saint-Georges aux Murgers). Die interessierten sich rasch auch für die anderen Climats, die Méo-Camuzet auf die Flasche brachte. «Ich hatte fast schon unverschämtes Glück. Spitzenjahre, den besten Lehrmeister, den man sich wünschen kann, und das in einer Region, in der die Post abging!» Keine Konflikte zwischen zwei Menschen, die 40 Jahre trennen? «Natürlich gab es die. Heute bereue ich das manchmal. Sie wissen schon, die Arroganz der Jugend… Ich bin nicht nur der Erbe meiner Familie, in gewissem Sinn bin ich auch Henris Erbe. Es ist gar nicht so einfach, Pfaden zu folgen, die ein anderer ausgesteckt hat.»
Vater mahnte zur Vorsicht
Jean-Nicolas wollte Geschäftsmann werden. In gewissem Sinne wurde er es auch. Doch gleichzeitig sah er sich als naturverbundenen Menschen. «Natürlich stellte ich mir ab und an die Frage; ob ich nicht lieber was anderes gemacht hätte. Doch ich hätte mich nicht wohl gefühlt in einem Grossunternehmen, mit dem ganzen Konkurrenzdruck und den zwischenmenschlichen Problemen. Heute mache ich meinen Wein und bin stolz darauf. Als Winzer ist man nie der Langeweile ausgesetzt. Das Schicksal hat schon richtig entschieden», kommentiert der Weinmacher mit Nachdruck. In einer ersten Phase interessierte sich besonders der amerikanische Markt für die Weine von Méo-Camuzet, der zweitweise über 50 Prozent der Produktion absorbierte. Europa folgte rasch nach, und bald durften Weine von Méo-Camuzet in keinem französischen Sternetempel fehlen. Mitte der 1990er Jahre hätte das Gut dreimal mehr verkaufen können, als es produzierte. Doch an Vergrössern war vorerst nicht zu denken. Alle Investitionen dienten dazu, das nötige Material zu kaufen (auf dem ehemaligen Pachtbetrieb gab es zu Beginn nicht einmal einen Traktor) und die Kellerei auszubauen und auf dem neuesten Stand der Technik zu halten. Immerhin liefen nach und nach auch die letzten Pachtverträge aus, und Jean-Nicolas ging sogar so weit, drei Hektar Reben in den nahen Côtes de Nuits anzulegen. So konnte die Domäne der wachsenden Nachfrage einigermassen standhalten. «Für einen Familienbetrieb gelten besondere Gesetze», sagt Jean-Nicolas leise. Schwingt da ein bitterer Unterton mit? «Etwas Bedauern, sicher. Mein Vater mahnte zur Vorsicht, wenn es um Investitionen ging, warnte vor schlechten Jahrgängen und schwierigen Zeiten. Vertrauen in die Zukunft fasste er erst etwa ab dem Jahr 2000. Und da gab es keine Pflanzrechte mehr.» Immerhin: Mit 11,5 Hektar gehört Méo-Camuzet heute zu den stolzen Betrieben des Burgund. Da gibt es doch eigentlich nicht viel zu bedauern? Die Antwort bleibt aus, aber die Biografi e gibt Auskunft: Die Freiheit, die ihm zuhause fehlte, die Freiheit, Mut zu beweisen, zu investieren, Wagnisse einzugehen, holte sich Jean-Nicolas in der Ferne. Gemeinsam mit Freund Jay Boberg, einem erfolgreichen Musikproduzenten und Medienunternehmer, keltert er seit 2014 Weine in Oregon.
Stolze 25 Abfüllungen ergeben die rund 11,5 Hektar von Méo-Camuzet sowie das kleine Handelshaus. Eine besondere Erwähnung verdienen die weniger bekannten Lagen (Fixin, Hautes Côtes de Nuits), die ebenfalls ausgezeichnet sind, aber preislich interessant bleiben.
Bourgogne Weiss Hautes Cotes de Nuits 2016
16 Punkte | 2019 bis 2024
Unsere besondere Empfehlung: zeigt, dass man auch in den verschmähten Randlagen Topweine ernten kann. Würzige und fruchtigblumige Noten (Stachelbeere, Mirabellle) halten sich die Waage; im Mund von beachtlicher Rasse, doch auch mit der nötigen Fülle und Länge.
Fixin 2016
16 Punkte | 2020 bis 2024
Wein aus der Handelslinie (Méo-Camuzet Frère et Soeurs): Verführerisch fruchtig, Noten von Backgewürzen; besitzt Biss und Frische, doch für einen Fixin auch erstaunliche Eleganz, klasse Tannin, sehr saubere Machart; macht bereits Freude, auch wenn man ihn besser noch etwas reifen lässt.
Vosne-Romanée Premier Cru Les Chaumes 2016
17.5 Punkte | 2022 bis 2028
Rauchige, noch vom Ausbau geprägte Nase, noch jugendlich verschlossen; samtener Auftakt, betont eleganter Bau, Tannine mit Schliff und Frische, fruchtig-würziges, langes Finale; hervorragender Wein, der ideal seine Lage ausdrückt, aber etwas reifen sollte.
Nuits-Saint-Georges Premier Cru aux Murgers 2016
17.5 Punkte | 2024 bis 2030
Auch diese Abfüllung eines ausgezeichneten Climats illustriert auf besonders eindrückliche Art die ideale Balance von Terroircharakter und den Stil der Domäne: kräftige, komplexe, noch ausbaugeprägte Nase, Lakritze, Lorbeer, Nelke; von dichter, kraftvoller Art, gut strukturiert, mit spürbaren, aber runden Tanninen, langes, würziges Finale; muss reifen.
Clos de Vougeot Grand Cru 2016
18 Punkte | 2022 bis 2040
Die rund drei Hektar des Clos liegen im legendären oberen Teil des Spitzenclimats, gleich unterhalb des Schlosses: Zurückhaltende, aber besonders vielschichtige, superbe Aromatik mit mineralischen und blumigen Komponenten; voller Ansatz, dichter und doch sehr eleganter, voller und doch frischer Bau, erstklassiges Tannin, grosse Länge; Harmonie, Vielschichtigkeit und Tiefe in einem herrlichen Tropfen. Wird dank seiner besonderen Harmonie in jeder Phase seines Lebens grosse Freude machen.
Corton Les Perrières Grand Cru 2016
18 Punkte | 2024 bis 2040
Klassischer, vollmundiger, grosszügiger Wein aus einer weiteren Spitzenlage: verschlossene, ausbaugeprägte Nase von Moschus, Leder, Gewürzen, braucht Luft, wird immer vielschichtiger; voller Ansatz, wuchtiger Bau, opulent und dicht, sattes Tannin, grosse Länge, Kompott von roten Beeren im mächtigen Finale; ungestümer Wein, der lange reifen darf.