Winzerlegende Clemens Busch, Mittelmosel
Ganzheitlicher Gaumenfreund
Text: Eva Maria Dülligen, Fotos: Jana Kay
Winzer, die Wein und gutes Essen gleichermassen lieben, machen Spass. Winzer, die andere daran teilhaben lassen, noch mehr. Clemens Busch teilt seine Genussfreude mit Familie, Freunden und Mitarbeitern, spendiert Riesling-Glühwein bei der Lese, tischt Rohmilchkäse bei Verkostungen auf und lässt die Korken seines Blanc de Noirs während des Interviews knallen. Zwischendurch produziert er Rieslinge, an denen längst niemand mehr vorbeikommt.
«So viele Trauben, da brauchen immer Hilfe», sagt Margarita und blinzelt dem besonnten Schieferhang entgegen. «Macht mir nix, die Bergklettern», fügt sie lachend hinzu. Die lebhafte Frau von der ukrainischen Halbinsel Krim ist an diesem Novembervormittag eine von 22 Erntehelfern des biodynamischen Winzers Clemens Busch. Auf den Job gestossen ist sie durch eine Anzeige im «Pündericher Verbandsgemeindeblatt». Schon einmal lebte die Mittdreissigerin in Deutschland, am Bodensee, wo sie sich mit der Apfelernte über Wasser hielt. Dann ging es wieder in die Heimat. Mangelnde ökonomische Chancen auf der Krim brachten Margarita zurück, diesmal nach Zell an der Mosel und von da zur Steillagenernte mit einem guten Stundenlohn. Der und die 78-prozentige Hangneigung in der Einzellage Fahrlay reizen auch Giorgi aus Georgien, studierter Lebensmittel-Technologe, und Julius, Winzer-Sohn aus Winkel im letzten Ausbildungsjahr, anzupacken bei der selektiven Lese. «Bei einem wie Clemens, der seit einem Vierteljahrhundert biologisch anbaut, gearbeitet zu haben, macht sich gut im Lebenslauf. Er ist ein Vorbild», sagt Julius. Wenig später löffeln polnische, rumänische, deutsche und ungarische Helfer feurige Lasagne am unteren Ende der Steillage. Gesichter mit glühenden Wangen ragen aus wärmenden Anoraks. Würde ich Clemens Busch nicht von Verkostungen kennen, hätte ich Schwierigkeiten, ihn von seinen Mitarbeitern zu unterscheiden. Der 59-Jährige macht keinen auf Chef, sitzt zwischen Imke aus Koblenz und Giorgi, den Teller auf den Knien, redet und lacht, drängt nicht zur Eile. Auch vorm Pflücken der Rieslingreben drückt er sich nicht, balanciert mit seinen Helfern die schwindelerregenden Zeilen rauf und runter. Vorher warten noch Spekulatius und Filterkaffee darauf, das Weinberg-Menü abzurunden. «Eigene Verpflegung muss das Team nicht mitbringen», sagt Busch, «die gibt es extra. So kommt niemand an einer warmen Mahlzeit vorbei.»
Dass die Vollmilch zum Kaffee von Alnatura und das Rindfleisch für die Lasagne vom lokalen Bauern kommt, ist kaum Makulatur. Clemens Busch ist im Naturnahen verwurzelt. Initialzündungen für seine Abkehr vom konventionellen Weinbau gibt es verschiedene. Die erste, so das Gründungsmitglied von Ecovin, war sicher das Herbizid Gramoxone, das er als Jugendlicher auf den väterlichen Weinbergen ausbrachte. «Die Regenwürmer kämpften sich an die Oberfläche und verendeten erbärmlich.» Von den Eltern habe er seine Öko-Ader jedenfalls nicht. Obgleich sein Vater nie etwas anderes gemacht hat, als spontan zu vergären, weil der den Reinzuchthefen nicht traute, war bio kein Thema für ihn. Heftige Auseinandersetzungen blieben dennoch aus. Vater Busch ahnte wohl, dass der Junior den Gemischtbetrieb mit Schweinen, Kühen, Hühnern und zwei Hektar Rebfläche in internationale Bahnen lenken würde.
Ortswein in Südkorea
Das Bauchgefühl sollte ihm recht geben: Bis nach Südkorea geht Clemens Buschs Ortswein-Riesling vom roten Schiefer. Ein 14,50-Euro-Tropfen, der in der dortigen Gastronomie für umgerechnet 80 Euro auf Riesling-affine Gästegaumen trifft. Der US-amerikanische Importeur Dressner wird nicht müde, die Lagen-Rieslinge des 16 Hektar grossen Weinguts an der Mittelmosel über Seattle, Los Angelos und Chicago zu verteilen. Buschs Low-Sulphur-Rieslinge stossen vor allem in Japan und Kanada auf importierte Gegenliebe. «Das war nicht immer so», sagt der Bio-Winzer, «der Österreicher, der Elsässer und der Australier standen international Jahrzehnte für trockenen Riesling. Der Deutsche musste die süsse Seite abdecken, weil die anderen das nicht konnten. Glücklicherweise hat sich das Blatt gewendet.» Darauf mitgeschrieben haben weinkritische Grössen wie der Brite Stuart Pigott, einer, der schon 1987 den Pündericher Familienbetrieb entdeckte, dessen 1988er Spät- und Auslesen in höchsten metaphorischen Tönen lobte und schliesslich Buschs trocken ausgebaute Gewächse aus Schiefer-geprägten Steillagen unter die besten subsumierte, die die deutsche Riesling-Avantgarde zustande brachte.
1978, drei Jahre nach dem ersten eigenen Jahrgang, stellt Clemens Busch den Herbizid-Einsatz ein. Stattdessen wird gemäht, gekrautet, das, was hochwächst, rausgerissen. Baldrian und Zitronenmelisse verteilen sich heute über 60 Parzellenböden und tragen zu gesundem Mikroklima bei. Raubmilben vertilgen in Buschs Rebstöcken wachstumshemmende Kräuselmilben und Schildläuse und machen systemische Insektizide, die die nützlichen Raubmilben nebenbei mitvernichten, überflüssig.
«Du kannst nicht von heute auf morgen auf bio oder biodyn umstellen und Wunder erwarten. Es hat mich 30 Jahre gekostet, um da anzukommen, wo ich bin. Die Erholung des Bodens, die Hefeflora im Keller, all das entwickelt sich langsam. Ähnlich verhält es sich mit meinen Weinen: Sie sind oft anstrengend in der Jugend, haben aber ungeheures Entwicklungspotenzial.»
Vor zehn Jahren stieg der Mann, der sich in den 1980ern in Wackersdorf gegen Atomkraft starkmachte, auf Biodynamie um. Bessere Vitalität und gleichmässiges Wachstum signalisierten ihm, wie wohl seine Pflanzen sich durch Teepräparate als Impulsgeber fühlten. Und wie authentisch Riesling wird, wenn man ihm im Keller den freien Willen lässt. Mostoxidation, Maischestandzeit, keine Schönung, keine fremden Hefen und moderates Schwefeln spielen Buschs Gewächsen unverfälschten Charakter zu. «Ich wollte eigentlich nie so gross werden», sagt er auf dem Weg zu seinem 353 Jahre alten Fachwerkhaus am rechten Mosel-Ufer, «lieber mit Rita den ganzen Tag im Weinberg sein.» Rita, das ist seine Ehefrau, die er schon aus der Schulzeit kennt. Um in seiner Nähe zu sein, führte die Winzertochter den Hund der Familie Busch aus. Mittlerweile haben die beiden eine gemeinsame Hündin. Mischling Nelly, gekreuzt aus Bayrischer Schweisshündin und südamerikanischem Strassenrüden, liegt mitten in der Gasse, als wir vor dem Fachwerkhäuschen anlanden. Gestern, so Busch, habe sie wieder diesen Blick gehabt, weil sie sich im Weinberg in Wildschweinkot gewälzt hat. «Aus dem Blick sprach keineswegs schlechtes Gewissen, sondern Angst vorm Duschen. Nelly ist ein sensibler Hund. Da muss man schon auf den Tonfall achten.»
Leise Töne gehören auch in der Verkostungsstube dazu. Selbst der Korken, der aus Buschs Blanc de Noirs ploppt, scheint das geräuschloser zu tun als andere. Der handgerüttelte Non Dosage aus Spätburgunder transportiert feine Perlen an die Oberfläche. Angedeutete Honig- und Briochenoten erinnern an Champagner. Vier Jahre lag der 2011er auf der Hefe. «Zum Selbstversekten geht meine Liebe nicht weit genug. Das macht ein Freund. Den Grossteil trinken wir übrigens selbst.» Dann geht es mitten rein in die Mittelmosel-Stilistik. Topographischer Überbau von Buschs Parzellen ist die Einzellage Pündericher Marienburg mit vielen unterschiedlichen Klein-Klimata. Durch die Parzelle Rothenpfad zieht sich eine Ader mit rotem Schiefer, ein seltenes Phänomen an der Mosel. Die starke Verwitterung des Rotschiefers schiebt dem Grossen Gewächs rasiermesserscharfe, in Zitrusnoten verpackte Mineralität unter. Erste Gewächse der Felsterrasse profilieren sich dank eisenhaltiger Schichten in hellgrauem Schiefer wieder völlig anders: Butterscotch und Aprikosenaromen wetteifern mit würzigen Facetten. «Wann immer ich die Terrassenmosel-Rieslinge von meinem Freund Reinhard Löwenstein trinke, wird mir klar, wie sehr sich die Schieferstruktur dort von unserer unterscheidet», kommentiert Busch den noch grösseren schmeckbaren Kontrast zwischen Unter- und Mittelmosel. Das VDP-Vorstandsmitglied von der Mosel liebt Diversität bei Wein und Mensch. Statt einzig den Offenbarungen der Verkostungsexperten zu vertrauen, honoriert er Gaumeneindrücke wie die von Kasha, die letztens zufällig bei einer Probe dabei war. Ein Weingutspraktikant hatte die 17-Jährige mitgebracht. «Es gab keine Stelle in ihrem Gesicht, die nicht gepierct war», erinnert sich Busch grinsend. «Mit Wein hatte die junge Frau nix zu tun. Aber als sie meine beschrieb, mit ‹Kaminfeuer› oder ‹Kräuter in einem Heuhaufen›, war ich beeindruckt.»
Die nachwachsenden Generationen ernst zu nehmen, hat auch bei Buschs Söhnen die Saat aufgehen lassen. Florian ist nach ein paar Reifekeller-Jahren auf dem elterlichen Weingut ins Languedoc ausgewandert, um noch tiefer in die Biodynamie abzutauchen. 40 Kilometer von Montpellier entfernt hat man ihm eine 4,5-Hektar-Domaine zum Kauf angeboten. Dort plant er schlanke, biodynamische Rote anzubauen. Der 28-jährige Johannes steht den Hornkiesel- und Mondkalender-Vorgaben kritischer entgegen. Der in Geisenheim geschulte Getränketechnologe hat die Hoheit über den Pündericher Reifekeller. «Mit der Biodynamie habe ich mich früher etwas schwergetan. Vor allem, wenn es in die mystische Richtung ging», sagt er und reicht mir eine Saftprobe aus einem alten Hunsrück-Eichenfuder. Nach feinherbem Apfelsaft schmeckt der Most. Esoteriker sei er auch heute nicht, legt der junge Kellermeister nach, aber es liesse sich nicht bestreiten, dass das Bodenleben seit der Umstellung erheblich gesünder wäre. Busch senior nimmt die Kritik mit buddhistischer Gleichmut hin: «Das ist alles schwer beweisbar, davon lebt diese Weinbau-Methode. Meine Kunden sagen, seitdem du so arbeitest, schmecken deine Weine noch mineralischer und lebendiger.» Um wie viel, lässt sich ebenso wenig messen. Warum manche seiner Rieslinge sich wie ein Sonnenaufgang im Mund anfühlen, sollte man trotzdem mal wissenschaftlich erforschen.
Schiefervielfalt am Gaumen
Benannt ist die 96 Hektar-Einzellage an der Moselschleife nach einem Augustiner-Kloster. In der Marienburg besitzt Clemens Busch Parzellen wie Felsterrasse oder Rothenpfad – teils extreme Steillagen auf bis zu 230 Meter Höhe. Was der Winzer aus den von Grau-, Blau- und Rotschiefer strukturierten Verwitterungsböden an mineralischer Diversität an seine Rieslinge weitergibt, zeigen unsere Weintipps.
Weine des Winzers
Riesling vom roten Schiefer, Ortswein 2015
16.5 Punkte | 2017 bis 2021
Pikanter Wechsel von Sauerkirsche und frisch gemahlenem weissen Pfeffer. Der Nasenauftakt geht am Gaumen in knochentrockene, mürbe Mineralik über. Subtile Frucht und leichter Körper machen den Riesling zum animierenden Sommertropfen. Die Limonen- und Melonennuancen werden von leichter Schärfe aufgemischt.
Riesling Rothenpfad Fass 23, Ortswein 2013
16.5 Punkte | 2017 bis 2021
«Forellen-Wein» war das erste, was zu diesem goldenen Ortswein mit grünen Reflexen in den Verkostersinn kam. Nicht, weil der 2013er fischige Eindrücke am Gaumen hinterlässt. Vielmehr passt sein Limonen-Charakter optimal zu geräucherter Forelle. Zitronen-Thymian, Aprikosenhaut bis hin zu Eau de Toilette war weiterer Degustations-Konsens. Ohne die Geballtheit der Grossen Gewächse zu haben, hinterlässt er dennoch einen unverwechselbaren Fingerprint. Saftig und mineralisch frisch im Trunk.
Riesling Marienburg Felsterrasse, Grosse Lage 2010
18 Punkte | 2017 bis 2025
Von eisenhaltigen Schichten durchzogen, haut der Grauschiefer neben trockener Mineralität auch florale Geschmeidigkeit raus. Komplexe Nase mit nahezu Trockenbeerenauslese-Charakter. Honig, Sahnebonbon, Blütenstaub, gelbe Steinfrucht. Der anspruchsvolle Essensbegleiter macht sich gut zum gegrillten Saibling mit Estragon-Sauce.
Riesling Pündericher Marienburg Auslese *** 2004
19 Punkte | 2017 bis 2020
Die zwölf Jahre alte edelsüsse Auslese gebärdet sich am Gaumen, als hätte man sie erst gestern abgefüllt. Unglaublich lebendig nach verhaltenem Auftakt. Präsente Säure steht mit feiner Restsüsse auf Augenhöhe. Flambierte Exotik in Form von rauchiger Ananas wechselt mit über Holzkohle gegrillter Mango. Tief, grandioser Nachhall. (ausverkauft)
Riesling Marienburg Rothenpfad, Grosses Gewächs 2015
18.5 Punkte | 2017 bis 2026
Sultaninen, Korinthen und dunkle Orangenzeste konkurrieren in der Bouquet-Spirale. Den Gaumen packt der im grossen Eichenfass Gereifte mit fein gesalzener Zitrusfrucht. Würzige Mineralität schiesst nach einer Weile hinterher. Straff und mundfüllend. Der karge Jahrgang hinterliess dem 2015er hohe Säure und weniger Alkohol, dafür platziert er kernige Struktur bei gleichzeitiger Geschmeidigkeit.
Riesling Marienburg Raffes, Grosse Lage 2008
18 Punkte | 2017 bis 2025
Wie bei allen Gewächsen von Busch präzisiert das Vergären auf der Wildhefe die Bodenherkunft: Schiefermineralik durchtränkt den Gaumen ohne Gnade. Dann nimmt sie sich zurück und macht Platz für einen Jahrmarkt aus kandierten Früchten und Zuckerwatte. An der Spitze und den Rändern der Zunge geben sich anschliessend Orange und Honig die Hand. Paradox scheint der expressive Stil, der zur selben Zeit zurückhaltend wirkt – ein Sponti eben.