Winzerlegende: Klaus Keller

Rieslaner und eine grosse Liebe 


Text: Rudolf Knoll, Fotos: Jana Kay 

  • Klaus Keller
    Klaus Keller
  • Für Klaus Keller ist der Jahrgang 2015 so einzigartig wie sein erster bedeutender Jahrgang 1971.
  • Klaus Keller, hier mit Lebensgefährtin Ursula, ist ein kritischer Verkoster auch der eigenen Weine.
  • "Wenn ich mal abschalten will, setzte ich mich auf eine Bank in dem Garten gegenüber unserem Weingut" so Keller.
  • Handwerksgerät
    Das typische Handwerkgerät von Winzer Klaus Keller

Topqualität in Rheinhessen war früher reduziert auf wenige Weinorte am Rhein, auf Nierstein, Nackenheim und Oppenheim. Doch dann machte ein Winzer im «Hinterland», in Flörsheim-Dalsheim, deutlich, dass es nicht der Nähe zum grossen Strom bedarf, um grosse Weine zu erzeugen. Klaus Keller und seine Frau Hedi wurden im genialen Zusammenspiel zu Vorreitern, die etliche Winzer mitrissen und dem Gebiet zu einer neuen Identität verhalfen. 

Ist es möglich, dass ein einziger Schluck der Sortenkreuzung Rieslaner sowohl den Lebensweg zweier Menschen als auch langfristig die Geschichte eines Weingutes sowie sogar einer ganzen Region massgeblich beeinflusst? Zumindest in einem Fall war das so. Im Jahr 1971 kam eine Besuchergruppe der Technikerschule Bad Kreuznach nach Flörsheim-Dalsheim. Dort war Jungwinzer Klaus Keller (damals 22 Jahre alt) gerade in den Betrieb von Vater Erwin eingestiegen, nachdem er nach seiner Ausbildung bei Bercher in Burkheim (Kaiserstuhl) und der Weinbauschule Oppenheim noch die Technikerschule beendet hatte.

Keller schenkte den Gästen eine Auslese des Kindes von Riesling und Silvaner ein und bemerkte, dass der Wein einer jungen, bildhübschen Frau von der Mosel besonders schmeckte. Er fand heraus, dass sie in einem Weinlabor tätig war, und wurde dort wenige Tage später vorstellig, angeblich, um eine Alkoholbestimmung bei einem Wein vornehmen zu lassen. Es funkte erneut. Bald darauf ein harter Schlag für den Winzer aus Dalsheim: Sie teilte ihm mit, dass sie ein Praktikum in Südafrika bei Neederburg machen würde. Es dauerte nicht lange, bis beide feststellten, dass die Telefonrechnungen sehr hoch wurden. Dann ein Anruf von ihr: «Komm, lass uns heiraten!» Klaus stieg in den Flieger nach Kapstadt und schloss mit seiner Hedwig wenige Tage später in Paarl den Bund der Ehe.

«Wenn ich mal abschalten will, setze ich mich mit einem Glas Riesling auf eine Bank in dem Garten gegenüber unserem Weingut, denke an die tatkräftigen Vorfahren, die seit 1789 Wein erzeugten, freue mich aber dann schnell wieder auf die Arbeit im Weinberg, die für mich so etwas wie Urlaub ist. 50 Weinernten haben mich nicht müde werden lassen.» 

Damit begann ab 1972 eine Erfolgsgeschichte für einen Betrieb, der in einer rheinhessischen Region – dem Hügelland weit abseits vom Rhein – zu Hause war, die damals niemand in Sachen Qualität auf der Rechnung hatte. Zwar war Jungwinzer Klaus Keller sehr ehrgeizig. Aber er profitierte sehr schnell von der Mitwirkung seiner Frau, die von der Mosel spezielle Riesling-Klone besorgte, die heute noch eine wichtige Basis für die Klasse der Keller’schen Weine sind. «Wir hatten damals nicht nur Rieslaner als Neuzüchtung im Sortiment, sondern auch andere Varietäten wie Optima und Bacchus. Hedi hat dafür gesorgt, dass wir uns mehr dem Riesling widmeten», erinnert sich Klaus an die Phase des Aufstiegs. Den Betrieb gab es damals schon länger.

Ende des 18. Jahrhunderts kam ein Johann Leonhard Keller aus der Schweiz nach Dalsheim, liess sich hier nieder und konnte den vorher im Stiftsbesitz befindlichen Oberen Hubacker erwerben; seitdem ist diese Flur exklusiv im Familienbesitz. Der Grossvater von Klaus, Friedrich Keller, füllte 1926 erstmals Wein in Flaschen ab. Bis in die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts bestimmte indes zudem die Landwirtschaft mit Schweinen, Hühnern, Enten und Arbeitspferden das Betriebsbild. Dass schon Vater Erwin (2012 verstorben) sich auf guten Wein verstand, wurde am 1. Mai 2009 deutlich, als Klaus Keller seinen 60. Geburtstag feierte und ein erstaunlich frischer 1949er Riesling/ Gewürztraminer den Tag krönte.

Hedi und Klaus sahnten ab

Potenzial war also offenbar schon da, als Klaus und Hedwig Keller gemeinsam durchstarteten. Nur kannte sie kaum jemand. Sie folgten einer These von ihr: «Wir müssen so gut sein, dass die Leute zu uns kommen.» Denn Hedi wusste genau, dass beide nicht dafür geschaffen waren, auf Messen und Präsentationen aufzutreten. Der einzig für sie sinnvolle Weg war damals die Teilnahme an Prämierungen. Hier begannen sie bald abzusahnen. Sie sammelten unzählige Medaillen auf Landes- und Bundesebene und bekamen 17 Bundesehrenpreise sowie 31 Staatsehrenpreise. In diese Zeit, Ende der 80er Jahre, fiel das erste Kennenlernen bei einer Veranstaltung im Weinbauministerium in Mainz. Der Journalist hielt ein kritisches Referat über die Weinprämierung des Landes Rheinland-Pfalz. Nach einer längeren Schelte über die Auszeichnungsmodalitäten löste sich aus dem Kreis der Zuhörer ein freundlich lächelnder Mann in mittleren Jahren und meinte nach einem festen Händedruck: «War interessant, was sie alles gesagt hatten. Ich darf mich vorstellen: Klaus Keller aus Flörsheim-Dalsheim, meistprämierter Winzer in Deutschland.»

Ein paar Wochen später liess sich nach einer umfangreichen Vergleichsverkostung feststellen, dass die Weinprämierung gelegentlich richtig lag und dieses damals von den Medien noch nicht entdeckte Gut bereits in einer eigenen Liga spielte. Gut zehn Jahre später hatten die Kellers der Weinprämierung Ade gesagt. Mit der öffentlichen Aussage «Ein Erfolg in den Medien ist wichtiger als eine Goldmedaille» schockte Klaus Keller die Führungsspitze der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft. Dreimal hintereinander hatte das Weingut einen von VINUM initiierten Riesling-Wettbewerb gewonnen (1999, 2001, 2003) und wurde vom «Gault & Millau» zunächst als «Aufsteiger» (1999) und dann als «Winzer des Jahres» (2000) ausgezeichnet. Bescheinigt wurden der Familie mit Gattin Hedi und Sohn Klaus Peter (der damals gerade das Geisenheim-Studium erfolgreich abgeschlossen hatte) «Weine von atemberaubender Güte». Fazit: «Mit der Bandbreite der bedeutenden Weine kann derzeit kein anderes Weingut in Deutschland mithalten.» Diese Aussage hat nach wie vor Gültigkeit, obwohl die Familie 2002 einen schweren Schicksalsschlag verkraften musste, als Hedwig Keller verstarb.

Ihren Herzenswunsch konnte Gatte Klaus gerade noch realisieren: den Bau eines stattlichen Turmes aus Natursteinen mitten im Hubacker. «Ich bin am glücklichsten, wenn ich in dieser Lage stehe und Reben schneide», erzählt Klaus Keller mit einem verträumten Lächeln. «Hier kommen mir immer kreative Ideen.» Vielleicht denkt er in solchen Momenten daran, wie alles hätte anders verlaufen können ohne die denkwürdige Rieslaner-Auslese. Ein guter Freund des Hauses, Tino Seiwert vom Weinhandel Pinard de Picard, bringt es auf den Punkt: «Dann gäbe es heute vielleicht keinen Sohn Klaus Peter und keinen als Unternehmer in Frankfurt erfolgreichen Sohn Joachim. Und vielleicht wäre das Weingut Keller nie zu dem geworden, was es heute ist.»

Hätte, wäre, wenn. Sicher ist auf jeden Fall, dass Rieslaner immer ein fester Bestandteil im Sortiment der Kellers sein wird. «Diese Rebe wird nie ausgehackt», versichert die gebürtige Westhofenerin Julia Keller, geb. Fauth, die Frau von Klaus Peter, ausgebildet bei Kellermeister-Legende Hans-Günter Schwarz. Der Sohn hatte seit 2000 langsam Einfluss auf den Ausbau genommen und sich frech an einen heutigen Kultwein gewagt, den Riesling G-Max, eine Cuvée aus besten Trauben. Die genaue Lagen-Zusammensetzung ist Familiengeheimnis. Namenspate ist Junior Maximilian (15), für den es natürlich auch eines Weines bedurfte, weil der Erstgeborene mit den Spätburgunder Felix Namenspate war.

Als der Senior damals den Preis von über 60 Euro hörte, urteilte er: «Das ist ziemlich heftig.» Aber der Sohn nannte selbstbewusst das Bourgogne-Niveau als Beispiel. «Dann habe ich meinen Widerstand aufgegeben. Ich musste ihn ja nicht verkaufen.» Heute wird der G-Max gelegentlich mehr als «deutscher Montrachet» bezeichnet und hält mit 5100 Euro für eine Doppelmagnum des Jahrgangs 2012, die 2014 in Bad Kreuznach unter den Hammer kam, den Rekord für einen jungen trockenen deutschen Riesling.

Wenn der «Rentner» flucht

Als Klaus Keller nach einigen Jahren merkte, dass der Junior, der zunächst eher irrtümlich Volkswirtschaft studiert hatte, den Bogen raus hat, übergab er ihm 2004 das Weingut, schätzte sich glücklich, dass er eine neue Lebensgefährtin fand, die ihm heute beisteht, wenn der «Rentner» wie zum Beispiel während der Ernte des 2015ers zeigt, dass er nach wie vor fit ist. Keller sitzt auf einem altertümlichen Traktor ungefähr Baujahr 1970 und flucht, weil der Anhänger mit Weissburgunder-Trauben nicht um die Ecke herum zur pneumatischen Kelter kommt. «Das ist zwar meine 50. Ernte, aber meine erste Fuhre in diesem Herbst», entschuldigt sich der am Lenkrad heftig kurbelnde Senior, während Partnerin Ursula versucht,ihn zu dirigieren, ohne dass Opas Anhänger aneckt. Beim dritten Mal klappt es, die Trauben werden abgeladen und gleich sanft gepresst, obwohl der Saft nur für den Schoppenwein gedacht ist. Aber bei den Kellers muss auch die Basis stimmen. Draussen wurde gerade die nächste Fuhre angeliefert, diesmal mit Spätburgunder.

«Meine Kartoffeln, Äpfel, Tomaten und Zucchini aus dem eigenen Garten gedeihen gut und schmecken hervorragend, weil ich mit Trester vom Riesling dünge.»

Klaus Peter Keller (42) steht bestiefelt inmitten der Trauben und beginnt durch Fussbewegungen mit dem Einmaischen. «Unser Hans Stampf», scherzt der Vater. Er selbst kann mit Rotwein wenig anfangen. In der Küche von Klaus Peter und Julia stehen jede Menge geleerter Flaschen aus noblen Rotweinhäusern. «Ich habe nichts davon probiert», wehrt Klaus ab. «Riechen ja, aber nicht trinken. Lieber trinke ich eine Hermannshöhle von Dönnhoff .» Und Riesling mit Mineralwasser. Wenn er unterwegs ist oder Urlaub macht, ist immer ein Kühlschrank dabei, mit Riesling und einer ganz bestimmten Wassermarke, die sich im Lauf der Jahre als ideal für die Mischung mit Wein erwies. «Ich mag eine gute Schorle», erklärt er mit Bestimmtheit. Im Weingut ist er nach wie vor in den Reben aktiv. «Das ist für mich wie Urlaub.» Im Herbst ist er gern Reife-Kontrolleur. Als er ein paar Grauburgunder-Beeren abzupft, wird nicht das Mostgewicht gemessen. Er begutachtet die Kerne, sieht, dass sie braun sind, und attestiert ihnen damit Lesereife. Natürlich spaziert er auch manchmal durch das Reich von Klaus Peter, den Keller. Hier stehen viele kleine Stahltanks für die edelsüssen Gewächse vom Riesling, Rieslaner und der Scheurebe, die Verkoster immer wieder zu Traumnoten verleiten. Sogar ein alter Kunststoff tank ist noch zu erblicken. «Nur zum Absitzenlassen», erklärt der 66-Jährige, der an solchen Veteranen hängt. «Auch unsere Schlepper und Traktoren sind fast museumsreif», lacht er. «Wie manche meiner Hosen.»

Was hat sich für ihn geändert, seitdem er nicht mehr in der Verantwortung steht? Er kann sich zum Beispiel einem Hobby widmen. Gegenüber dem Gutsgebäude werden Kartoffeln angebaut. Das kleine Feld wird ebenso wie die danebenstehenden Anlagen mit Äpfeln, Tomaten, Zucchini, Schwarzwurzeln und Blaukraut mit Riesling-Trester gedüngt. «Was Besseres gibt es nicht», ist sich «Landwirt» Keller sicher. Der gleichen Meinung sind viele Fans des Hauses – allerdings über die Weine. 

Rohdiamanten aus dem Fass

Für Klaus Keller ist der Jahrgang 2015 so einzigartig wie sein erster bedeutender Jahrgang 1971. Da die meisten Weine der Vorjahre schon ausverkauft sind, wurden uns etliche Fassmuster aus 2015 präsentiert. Die Grossen Gewächse entzogen sich noch einer genauen Beurteilung, liessen aber die Nähe zur Perfektion erkennen.  

 

Weingut Keller
Spätburgunder 2013 Grosses Gewächs Morstein Alte Reben 

18.5 Punkte | 2017 bis 2028 

Dass Klaus Peter Keller sich auch mit Rotwein befasst, ist wenig bekannt. Aber er versteht sich sehr gut auf die Stilistik tiefgründiger Weine der Bourgogne. Dieser Burgunder, von dem es von 0,35 Hektar lediglich 600 Flaschen gibt, wird im September versteigert. Wer den Zuschlag bekommt, hat zarte Cassis im Aroma, einen jugendlich zupackenden Biss und enorme Spannung mit ausserordentlicher Länge im Glas. 

 

Weingut Keller
Rieslaner Beerenauslese 2015

19 Punkte | 2016 bis 2040  

Ein nahezu perfekter Süsswein, von dem 5000 Flaschen (!) gefüllt werden. Typische Maracuja in der Nase; enorm konzentriert im Geschmack, dabei sehr rassig und vielschichtig, enorm lang im Abgang. Von ähnlichem Format: Auslese und Trockenbeere. 

 

Weingut Keller
Weissburgunder/Chardonnay 2015

16 Punkte | 2016 bis 2022 

Ein eher zurückhaltender Burgunder mit nur zartem Einfluss vom grossen Holzfass; feine Würze, dazu ein Hauch Banane, temperamentvoller Abgang. Sehr vielseitiger Speisenbegleiter. 

 

Weingut Keller
Scheurebe 201

16 Punkte | 2016 bis 2020

Das ist «Scheu» pur, mit ungemein klarer, typischer, aber unaufdringlicher Johannisbeere im Duft. Der Wein von 50 Jahre alten Reben ist voll durchgegoren, schlank strukturiert (lediglich 12 Vol.-% Alkohol), hat viel Pfiff und Rasse und kostet nur um 10 Euro – ein Schnäppchen. 

 

Weingut Keller
Grüner Silvaner 2015

15.5 Punkte | 2016 bis 2019 

Ein herzerfrischender Silvaner aus der Basisweinkategorie, betont herb, enorm würzig und knackig, viel Trinkfluss. Ist kaum schwächer als der Keller’sche Edel-Silvaner Feuervogel, der etwas schmelziger und geschmeidiger ausfällt (16 Punkte). 

 

Weingut Keller
Riesling 2015

16 Punkte | 2016 bis 2023 

Schon der scheinbar einfache Gutsriesling ist bei den Kellers ein überzeugender Wein. Feine Mineralität im Aroma; knackig, rassig, lebhaft und animierend im Geschmack, mit fast aufregendem Säurespiel – ein echter Muntermacher. 

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