Winzerlegende: Friedrich Becker
Friedrich der Grosse
Text: Eva Maria Dülligen, Fotos: Jana Kay
Ihm scheint der Spätburgunder durch die Adern zu fl iessen. Wenige deutsche Winzer haben die Rebsorte derart verinnerlicht. So kommt Friedrich Becker seinem Vorbild Burgund, allen voran Domaine de la Romanée-Conti, immer näher. Die Pinot-kompatibelsten Einzellagen der Südpfalz und die edelsten Eichenfässer spielen ihm dabei tüchtig in die Karten.
«In meiner Grossen Gewächs-Parzelle Heydenreich in der Einzellage Sankt Paul war mal Cabernet Sauvignon drin. Ich hab es rausgerissen. Es reicht nicht, wenn du dreimal in zehn Jahren einen guten Wein hinbekommst. Es ist zu kühl hier für diese Sorte. Schweigener Kalk ist die optimale Grundlage für Spätburgunder.»
«Wenn ich im Bett liege, will ich den Himmel über mir sehen», sagt der Mann mit den vollen Lippen, um die in scheinbarer Unordnung ein Siebentagebart rankt. Deshalb hat er sich ein neues Haus gebaut, direkt an einem seiner Rebfelder, mit Glasfassaden und gläserner Dachkonstruktion im Schlafzimmer. Durch die gläserne Decke betrachtet der Winzer in klaren Nächten Sternbilder und blickt auf ein fast 70 Jahre langes Leben zurück: «Ein asynchroner Wimpernschlag im Vergleich zum Alter des Universums.» Trotzdem genug Stoff, um damit Memoiren zu füllen.
Friedrich Becker erzählt die Kapitel assoziativ. Er sei eben ein Bauchmensch, kein Chaot, aber jemand, der seinen Gefühlen vertraut und nicht jeden auf die Reise in eine turbulente Vergangenheit mitnimmt. Als seine grosse Liebe und erste Ehefrau Heidrun 2006 nach schwerer Erkrankung verstarb, war das für den 67(Jährigen eigentlich auch das eigene Ende: «Sie hat den halben Laden hier geschmissen, das Büro geleitet, mich bei schwierigen Entscheidungen unterstützt und nebenbei die Kinder aufgezogen und den Haushalt gemanagt.» Eine unüberbrückbare Lücke tat sich für den dreifachen Vater auf, auch wenn Charlotte, Boris und Friedrich Wilhelm damals schon halbwegs erwachsen waren. Es musste weitergehen. Die Liebe zum Wein und das Ziel, Vorbild für seine Kinder zu sein, trotzten dem Schicksal. Heute sind die Pinots des Südpfälzers gefragter denn je.
Feine Zunge, viel Geld
So gehören für Becker weinkundige, zahlungskräftige Interessenten längst zum Tagesgeschäft. Lange bevor er vor 25 Jahren den werbeträchtigen Club «Fünf Winzer – Fünf Freunde» mit heutigen Grössen wie Hansjörg Rebholz und Franz Wehrheim mitgründete, becherte Becker bei seinem Kumpel Lothar Schwarzwälder die eigenen Rieslinge und Pinots auf dessen historischem Landsitz im Château St. Paul. Nicht nur, dass Schwarzwälder den Weinen seines Freundes eine glamouröse Zukunft prophezeite, es sassen auch genussfreudige Künstler und Akademiker in lauen Sommernächten mit am Terrassentisch und bestellten gleich kartonweise bei dem damaligen Jungwinzer. «Einen besseren Start kann man sich kaum wünschen», erinnert sich Becker, «Kunden, die beides haben: ein feines Zünglein und ein gut gefülltes Portemonnaie.»
Rund 40 Jahre liegen diese ersten Verkostungsnächte zurück, und der Kundenstamm des VDP(Weinguts reicht mittlerweile bis in die hochkarätige Gastronomie von Tokio, Las Vegas und New York. Beckers Sohn Friedrich Wilhelm, der «Kleine Fritz», hat nach zahlreichen Achterbahnfahrten die Kellerarbeit übernommen. Als «draufgängerisch» und «beratungsresistent» bezeichnet der «Alte Fritz» den Nachwuchs von damals, dem der Sinn nach allem stand, nur nicht danach, Önologe zu werden. Partys und Punk-Konzerte lagen dem 36(Jährigen näher, als Burgunder und Chardonnay im Holzfass auszubauen. Die Revolte gegen die väterliche Erziehungsarbeit erreichte ihren Höhepunkt, als der Junior eines Morgens nach einer Prügelei im Polizeiwagen angekarrt wurde. Da sei ihm endgültig der Kragen geplatzt, bemerkt der Seniorchef kopfschüttelnd. Solide Ausbildung zum Kellermeister oder Verkauf des Weinguts lautete das Ultimatum.
«Wir sitzen uns heute immer noch nicht gegenseitig auf dem Schoss», sagt Friedrich Wilhelm, «aber selbst wenn er es nicht so zeigt, weiss ich, dass mein Vater stolz auf meine Leistung ist.» Kann er auch. Nach Praktika auf renommierten Weingütern wie dem des Wachauer Winzers Emmerich Knoll und dem Abschluss zum Weinbautechniker verpasst Becker junior Lagenweinen und Grossen Gewächsen den Endschliff im 50 Fässer fassenden Barriquekeller. Besonders glücklich sind beide über spezielle Eichenfässer der burgundischen Tonnellerie François Frères. In den feinporigen 228-Liter-Gebinden reiften die edelsten und kostspieligsten Grands Crus, die das Burgund auf Lager hat: Pinot Noir der Domaine de la Romanée-Conti. Nur auserlesenen Weingütern teilt die Domäne mit der gleichnamigen weltberühmten Einzellage im Monopolbesitz ihre einfach belegten Fässer zu. Nicht jedes Jahr und selten mehr als drei Stück pro Weingut. Aubert de Villaine, Mitinhaber von Romanée-Conti, liess sich schon vor Jahren bei Verkostungen mit Becker von dessen Spätburgundern überzeugen und sicherte ihm ein regelmässiges Kontingent der gebrauchten Fässer zu. «Die Barriques von Romanée-Conti geben einen Touch der darin gereiften Pinot Noir an unsere Spätburgunder weiter», erklärt Becker und streichelt über die lange Schnauze von Terrier Émil.
Natürlich passen rund 100 000 jährlich produzierte Weinliter nicht in eine Handvoll Fässer. Je nach Rebsorte und Qualitätsstufe wird bei Becker in neuer Eiche der burgundischen Küferei Taransaud, 6000(Liter-Fässern der österreichischen Binderei Schneckenleitner, in Doppelstück oder Edelstahltanks vergoren und ausgebaut. Gutsweinen widmet man ebenso viel önologische Fingerfertigkeit wie Grossen Gewächsen. Es gäbe eine ganz einfache Regel, so der Altmeister: Wenn die Basisweine eines Winzers nichts hermachen, braucht man seine «Premium-Linie» erst gar nicht zu probieren. Bei Becker macht schon der 2014er Silvaner in der Literflasche Lust auf mehr.
Während der Einstiegstropfen mit Wiesenkräutern und gemahlenem Pfeffer in die Nase klettert, gräbt sich eine tiefe Sorgenfalte zwischen die Augenbrauen des Schweigener Winzers. Dieser Jahrgang lehrt ihn das Fürchten. 14 Tage früher als normal wird geerntet. Die Hitzeperioden ohne nennenswerte Regengüsse haben die Öchslegrade in die Höhe gejagt. Das Säureniveau dagegen niedrig gehalten. Wenn es ab jetzt kühl bleibt, können die Trauben nachts weiterreifen und zur Süsse-Säure-Balance finden. Sollte es doch noch heftig regnen, fangen die Stöcke an, wieder Nährstoffe zu transportieren, es entsteht Druck in den Reben und sie platzen. Der diesjährige Vegetationsverlauf wirkt wie die reinste Horrorshow. Extrem heisse Jahrgänge hat es hier in der sonnenverwöhnten Südpfalz unter anderem 1971, 1980 und 2003 gegeben. Aber dass es seit Mitte Mai nicht mehr richtig geregnet hat, sei neu: «Das Niederschlagsdefizit ist enorm», sagt Becker.
Zauberwort Burgund
Je weiter man sich durch seine Gewächse probiert, umso besser versteht man, wo Becker der Winzerschuh drückt. Das Weinprofil ist durch ein vibrierendes Säurerückgrat geprägt, und diese Nervigkeit kommt nicht zuletzt durch kühle Nächte und eine gewisse Niederschlagsmenge im Weinberg zustande. Die Natur hat ihm Böden geschenkt, die denen der Kernlage von Romanée-Conti ähneln. Kalkböden, die die Säure integrieren und einen malolaktischen Säureabbau überflüssig machen, weil kaum Apfelsäure zum Verestern da ist – Parallelen zu Beckers Parzellen in der Einzellage Rechtenbacher mit kalkfelsigem Untergrund. «Burgund» ist das Wort, das dem Grand Seigneur des deutschen Pinot Noir am häufigsten entschlüpft: «Beim Burgund musst du sensibel sein, Bordeaux ist einfacher zu verstehen. Ich hatte nie einen echten Zugang zum Bordeaux, ausser er ist 20 Jahre alt.» Oder: «Niemals komme ich an das Burgund ran. Aber das Spezifische, die Arbeitsweise, läuft nach burgundischem Vorbild.» Dem eigenen Vater konnte Becker diese Passion nicht näherbringen. Mit stoischem Willen wollte der einstige Vorsitzende der Winzergenossenschaft Deutsches Weintor durchsetzen, dass sein Sohn die Trauben nach der Weingutsübernahme 1973 weiter an die Genossenschaft verkauft. Der aber weigerte sich, «noch länger in der Anonymität eines 500 000-Liter-Edelstahltanks zu verschwinden».
Im Mercedes-Geländewagen und mit dem hechelnden Émil auf dem Rücksitz steuern wir zum Schluss noch Beckers Lieblingsparzelle Heydenreich in der Einzellage Sankt Paul an. Viele seiner Parzellen liegen auf elsässischem und pfälzischem Boden gleichzeitig – Doppelgemarkung. Damit handelt sich der Winzer bürokratischen Ärger ein. Erst kürzlich musste er die Namen von Elsässer Sublagen auf den Flaschenetiketten für den deutschen Handel unkenntlich machen: «Die deutsche Weinkontrolle behindert strukturelle Veränderungen. Die Einzellage Schweigener Sonnenberg hat 280 Hektar mit endlosen Bodenformationen. Da ist es sinnvoll, den Käufer eines 55-Euro-Spätburgunders wissen zu lassen, aus welcher Mini-Parzelle genau der Tropfen stammt, oder?»
Unbedingt. Denn wer sich ein Grosses Gewächs gönnt, hat sicher nichts gegen ein paar Detailinfos zu dessen Kinderstube. Zum Beispiel, dass es ein verdammt gutes Zeichen ist, wenn Wildschweine den Boden durchwühlt haben. Wie hier, in Beckers Rebgassen, wo Regenwürmer, Nacktschnecken und Tausenfüssler dem Schwarzwild gestern als Protein-Happen zum Opfer stellen. Jetzt ist Émil an der Reihe. Wie ein Besessener schaufelt der Rat Terrier in der Erde, um dem vitalen Boden ein paar schleimige Leckerlis zu entreissen. Und die sind nahezu biodynamisch, denn Becker setzt als Bodenverbesserer seit 25 Jahren Urgesteinsmehl statt Kunstdünger ein.
Meister der Balance
Nicht nur in seinen Pinot Noir fi ndet man ein ausgewogenes Wechselspiel von Säure, Würze und finessenreich eingepflegter Extraktsüsse. Friedrich Becker beweist auch bei den weissen Gewächsen seine feine und hochsensible Fingerfertigkeit. Weder Spätburgunder noch Riesling, Grauburgunder oder Chardonnay lassen es an Balance fehlen.
Weingut Friedrich Becker
Kalkmergel Grauburgunder 2014
16.5 Punkte | 2015 bis 2018
Der deutliche Rosé-Ton entsteht durch die längere Maischestandzeit auf der roten Rebenhaut. Dahinter offenbart sich ein hoher Extrakt, vor allem in Form von gebündelter Frucht mit viel Stachelbeere, Honigmelone und saftiger Birne. Dazu gesellen sich Anklänge von Crème fraîche mit Mittelmeerkräutern. Im Abgang mineralische Frucht.
Weingut Friedrich Becker
Mineral Chardonnay 2010
17 Punkte | 2015 bis 2020
Helles Olivenöl-Gelb. Entsprechend komplexe Duftspirale aus reifer Ananas über eingemachte Aprikose bis zu leicht nussigen und holzigen Tönen. Die gut eingebundene Säure wechselt mit mineralischer Trockenheit und schön proportionierter Frucht am Gaumen. Fester Bau mit Biss und Schmelz.
Weingut Friedrich Becker
Laisser Faire Riesling 2014
17 Punkte | 2015 bis 2021
Die sechsmonatige Gärung auf wilden Hefen im grossen Holzfass hat einen Riesling mit Überraschungspotenzial hervorgebracht. Vegetabile Steinobstnase, Birnenduft und florale Nuancen oszillieren im Glas. Schon ein kleiner Schluck verteilt konzentrierten Grapefruitsaft im Mund. Zeigt Herkunft, intensiver Abgang.
Weingut Friedrich Becker
«B» Spätburgunder 2012
17 Punkte | 2015 bis 2021
Der Buchstabe «B» steht für «Barrique», was sich in dem rubinroten Pinot insbesondere durch eine leicht rauchige Nase andeutet. Trifft mit intensiven Brombeer- und Boysenbeernotenauf den Gaumen. Sanftes Tannin, im Finish exzellente Säure. Perfekter Partner zu rosa gegarter Entenbrust.
Weingut Friedrich Becker
Rechtenbacher
Spätburgunder GG 2011
17.5 Punkte | 2015 bis 2022
Geschliffener Duft nach tiefdunklen Waldbeeren, subtiler Holzwürze und getrockneten Kräutern. Im Mund kühle Frucht. Wirkt noch etwas jugendlich mit seinen mürben Tanninen. Im Hintergrund zarte Meersalzakzente und weisser Blütenstaub. Feinherber, leicht nussiger Abgang.
Weingut Friedrich Becker
Kammerberg
Spätburgunder GG 2011
18 Punkte | 2015 bis 2025
47 Jahre alte Rebstöcke auf Kalksteinboden stemmen das Fundament dieses Grossen Gewächses. Feinschliff in offenen Bottichen aus pfälzischer Eiche, der aus den handverlesenen Trauben einen intensiven Johannisbeersaft mit Anklängen von Toffee und Lagerfeuer gemacht hat.
Weingut Friedrich Becker
Sankt Paul Spätburgunder GG 2011
18 Punkte | 2015 bis 2025
Beckers rekultivierter Weinberg Sankt Paul ist seine Monopollage. Auf dem steilen Südhang mit Kalksteingrundlage saugen die Rebwurzeln satte Mineralität. Straffes Säurerückgrat und Gerbstoffgerüst versprechen enormes Alterungspotenzial. Schön integrierte Extraktsüsse.