Weingut von Winning, Pfalz
Massarbeit für Spitzen-Terroirs
Text: Eva-Maria Dülligen
So vielschichtig das Wesen von Stephan Attmann, so komplex seine Weine. Der «Regisseur» des pfälzischen Weinguts von Winning ist ein Beispiel dafür, dass Erfolg mehr als handwerkliches Geschick braucht: was genau, kam beim Verkosten in Deidesheim auf den Tisch.
«Ich bin kein Quereinsteiger, sondern Späteinsteiger», sagt Stephan Attmann und wirbelt einen Sauvignon Blanc im tulpenförmigen Glas herum. Offensichtlich kein Handicap, denn die Crus seines pfälzischen Weinguts von Winning verkaufen sich von Stockholm bis nach Tokio. Der diplomierte Betriebswirt erlangte den Winzerstatus unter den Fittichen von Joachim Heger zwar auf dem «zweiten Bildungsweg». Doch einer wie er hat den Rebensaft in der Doppelhelix. Die Eltern seien schuld an seiner verhinderten Wirtschaftslaufbahn, sagt der 46-Jährige schmunzelnd: «Es gab selbst angesetzte Morchelrahmsosse statt Maggi-Plörre. Und natürlich immer einen guten Wein zum Essen.»
«Als wir 2007 anfingen, unsere Rieslinge im Holz auszubauen, dröhnte uns ein regelrechter Shitstorm entgegen.»
Nicht nur die elterliche Genussfreude lieferte ihm eine Steilvorlage in die fabelhafte Welt der Phenole und Hefen, der Ausnahme-Terroirs und Edelhölzer für den Ausbau. Der Bruder von Attmanns Oma besass ein kleines Weingut. Sein kulinarischer Weg ist also vorgezeichnet. Während des Studiums jobbt er in dem Mannheimer Weinhandel «Extraprima» und dem Sterne-Restaurant «Dobler’s». Nach der Winzerlehre im Kaiserstuhl zieht es den jungen Gourmet 2005 an die Côtes de Nuits. David Duband – Maître des Pinot Noir – leistet Vorschub für jene Pinots von Attmann, die es heute bis in die Spitzengastronomie von Boston schaffen. 2007 datiert schliesslich den Wendepunkt der Attmann’schen Vita. Werbefachmann und Wein-Connaisseur Achim Niederberger holt das sensorische Talent nach Deidesheim. Die Leitung des damals noch nach Dr. Deinhard benannten Weinguts geht an ihn. Drei dem Untergang geweihte Weingüter, darunter Reichsrat von Buhl und Bassermann-Jordan, hat der rheinland-pfälzische Unternehmer Niederberger aufgekauft, keiner sonst war damals interessiert. Dennoch wird der weinaffine Werbestratege von Winzern der Region als eiskalter Investor gebrandmarkt. «Ich verstehe bis heute nicht, warum Achim teils angefeindet wurde. Er hat an die zweihundert Arbeitsplätze in Deidesheim geschaffen und nebenbei die letzten ‹Drei Grossen› der Region gerettet», sagt Stephan Attmann. 2013 verstirbt Achim Niederberger. Ein Teil des Imperiums steht jetzt seit zehn Jahren unter der alleinigen Regie des Mannheimer Späteinsteigers.
Klartext zwischen Riesling und Pinot
Aus dem Sauvignon-Blanc-Glas klettert eine zarte Stachelbeerwolke, eine von Kirschkernen durchtränkte Pfütze legt sich samtweich auf den Gaumen, untermalt durch einen wohlgeformten Säurebogen. Es geht ins Handgelenk, mitzuschreiben, was der Weingutsdirektor von 50 Hektar ohrenklingelnden Lagen wie Forster Ungeheuer oder Kirchenstück zu sagen hat. Rasend schnell redet er. Dafür klare Worte: «Als wir 2007 anfingen, unsere Rieslinge im Holz auszubauen, dröhnte uns ein regelrechter Shitstorm entgegen, dabei gab es bis vor 30, 40 Jahren keinen Ausbau in Edelstahl.» Attmanns Weine polarisieren. Der Holzeinsatz lässt die Säure schmelziger werden, verpasst den Phenolen aber gleichzeitig eine gewisse Salzigkeit. Hinzu kommt die Gärung auf traubeneigenen Hefen. Spontan zu vergären sei riskanter, das Lesegut müsse besser interpretiert werden. Im Glas geben sich die Pinots, Sauvignon Blanc und Rieslinge häufig erst einmal scheu. Das ist nicht jedermanns Sache. Manche mögen’s plakativ. In der Politik würde man das «populistisch» nennen, sagt der von Winning-Manager lachend. Was man von den Gewächsen des Weinguts in der Mittelhardt kaum behauten kann. Elegant scheint die passendere Vokabel. Keine Donald Trumps der Aromen, vielmehr Mahatma-Gandhi-Bouquets. Laune macht es, mit Stephan Attmann zu verkosten. Weil er nicht gebetsmühlenartig Daten zu Gewächsen und Weingut herunterleiert. Ob Share Deals blutsaugender Immobilienhaie, absurdes Posting auf Twitter, ob soziale Ungerechtigkeit oder Klimawandel – der Ökonom und studierte Politologe redet Klartext zwischen Riesling und Pinot Noir: «Wo liegt das Problem, wie in Finnland das bedingungslose Einkommen einzuführen? Die Reform könnte nach fünf Jahren zeigen, ob sich das Modell bewährt.» Er sei der beste Chef, den sie je hatte, bemerkt eine erfahrene Mitarbeiterin im Vorübergehen.
«Achim wollte einen neuen Namen und wünschte, dass das Ding wieder von Winning heisst», erzählt Stephan Attmann beim Abendessen im «Leopold», dem weingutseigenen Restaurant. Saibling-Filet mit gebratenem Fenchel duftet uns entgegen. «So hiess das Gut zu Beginn des letzten Jahrhunderts, bevor es umgetauft wurde.» Hinter von Winning stünde alter Adel, er war Mitbegründer des VDP, und der Name liesse sich überall auf der Welt aussprechen. Als Attmann die Enkel Leopolds von Winning 2008 um die Namens-Lizenz bittet, geben sie grünes Licht. Sie vertrauen ihm. Alles, was sie dafür möchten, sind ein paar Kisten Wein im Jahr. «Sie hätten auch viel mehr verlangen können, doch darum ging es der Familie von Winning nicht.» So manch Grosses Gewächs lässt sich eben nicht mit Gold aufwiegen – wie der 2016 Riesling aus der Lage Forster Ungeheuer: Feuerstein, Schmelz, enorm viel Frucht, als würden sich Terroir und Doppelstückfass selber auf die Zunge legen. «Basalt heisst Druck», sagt Attmann, «den braucht der süsslich-mineralische Saibling und die Anis-Note im Fenchel als Konter.» Spät ist es geworden. Beim Espresso steht noch die Gretchenfrage an, welche Weine ihn am nachhaltigsten aus den Schuhen gehauen haben. Die wenigsten Top-Winzer geben ihre Lieblinge preis. Das weckt schon mal Begehrlichkeiten, wenn es sich um sündhaft teure Crus handelt. Und verständlichen Spott, sollten es die eigenen sein. Auch Stephan Attmann zögert, nippt an der Espressotasse. Das, was Jayson Pahlmeyer in den 90ern an Chardonnay hervorgebracht hätte, sei schon unglaublich gewesen, subtil und vibrierend und nicht so fett wie heute. Von Napa Valley kommt der Burgund-Enthusiast erwartungsgemäss zur Domaine de la Romanée-Conti: «Extrem berührt hat mich der 2005 Romanée-Conti. Ich bin auch mal in den Genuss des 1971ers La Tâche gekommen. Das sind die grössten Momente im Leben eines Pinot-Noir-Anbeters.»
Weine im Clubpaket
Weisser Burgunder trocken
VDP.Gutswein 2014
2018 bis 2024
Schöne Kräuterdichte, subtil einge-bundene Holzwürze, dann Grapefruit und Limone. Am Gaumen Noten von gelbem Steinobst, Mandarine und Marzipan. Zarte Extraktsüsse, salzige Note im Nachhall. Besitzt Länge und Reifepotenzial.
Mariage
Pfälzer Feldsalat mit Speck, geschmorter Kalbstafelspitz, mediterraner Pulpo-Salat mit leichter Aioli
Forster Ungeheuer Riesling
VDP.Grosses Gewächs 2016
2018 bis 2026
Duft von Kräutern und Zitrusfrucht. Harmonisch geschichtet mit Lagen aus rassiger gelber Frucht und geräuchertem Fleur de Sel. Ananas-Schmelz, es fädeln sich Fasern aus Karamellsirup, Sherry und Bitter Lemon dazwischen. Ein energetisches Gewächs mit enormer Länge, das seinem Namen mehr als entspricht: monströs gut.
Mariage
Spinat-Ricotta-Knödel mit Salbeibutter, Saiblingsfilet mit Safran-Sauce, Meeresfrüchte
Pinot Noir I. 2013
2018 bis 2027
Noten von Schattenmorellen, zarte Holzwürze. Noten von Zedernholz und Bitterschoko. Seidige Frucht und Rosenblätter erweitern die Aromen-Sinfonie. Gut integriertes Tannin, das dem Wein schöne Länge verleiht.
Mariage
warm geräucherte Wachtelbrust, Pilz-Gerichte, Rib-Eye-Steak, Reh-Filet mit Rosmarin