Weingut Muhr-van der Niepoort, Carnuntum
Eleganz vom Spitzerberg
Text: Ursula Geiger, Foto: Michael Holz
Dorli Muhr weiss, was sie will: finessenreiche Rotweine keltern – und zwar aus Trauben ihrer Heimat, der östlich von Wien gelegenen Weinregion Carnuntum. Mit diesem Ziel vor Augen startete sie vor 16 Jahren das Projekt, das heute eine Erfolgsgeschichte ist.
Die Weine von Dorli Muhr sind wie die Winzerin selbst: feingliedrig, geradlinig und dabei energiegeladen und von einer Intensität, der man sich nicht entziehen kann. Alles Eigenschaften, die sie für ihre zwei Jobs braucht. Dorli Muhr hält nicht nur im Weingut das Zepter in der Hand, sie managt auch in Wien eine Wein-PR-Agentur von internationalem Renommee und ist darum oft in der Welt unterwegs. Nicht nur deshalb versteht Muhr die Anliegen und Ideen der Winzer. Sie selbst stammt aus einer Bauernfamilie in Rohrau, dem Geburtsort des grossen Komponisten Joseph Haydn. Das 1600-Seelen-Dorf liegt rund 40 Kilometer östlich von Wien, nahe der Grenze zu Ungarn und zur Slowakei. Die Region ist flach und erinnert an die grossen ungarischen Ebenen, doch treff en in Carnuntum die Ausläufer der Alpen und der Karpaten aufeinander. Den Karpaten vorgelagert ist der 300 Meter hohe Spitzerberg, der einst wie ein Riff aus dem Urmeer ragte und heute die Gegend prägt. Dort, am Spitzerberg, besass Dorlis Grossmutter eine kleine Rebparzelle von 1700 Quadratmetern. In ihrer Kindheit kam Dorli oft mit in den Rebberg, half ihren Eltern bei den Laubarbeiten und der Lese, sog Landschaft und Natur in sich auf: «Der Spitzerberg hat für mich eine sehr starke emotionale Kraft. Es ist ein schutzwürdiger Standort mit Magerwiesen, Trockenrasen und der dazugehörigen Vielfalt an Pfl anzen und Tieren. Darum darf Weinbau nur am unteren Teil des Hügels betrieben werden.» Das Terroir für Weinbau ist hier einmalig und geprägt vom kontinentalen Klima. Es ist trocken – die Niederschlagsmenge liegt bei 400 Millimetern jährlich –, heiss und windig im Sommer, bitterkalt im Winter. Die kargen Böden aus Kalkstein und Kalksand sind durchlässig und können kein Wasser speichern. Mitte Juli hört es auf zu regnen. Dann drosseln die Rebstöcke ihre Photosynthese- Tätigkeit auf ein Minimum. Es wird kaum Zucker produziert, die Reife stockt. Erst zum Ende des Sommers, wenn die Nächte kühler werden und morgens Tau die Rebblätter netzt, kommt der Reifeprozess langsam wieder in die Gänge. Diese entschleunigte Reife erhält die Säure, und die Primärfrucht bleibt präzise. Die Trauben können lange am Stock bleiben, denn am Spitzerberg ist trockenes, sonniges Wetter bis in den Oktober hinein die Regel. «Meine Hauptaufgabe im Herbst ist es, für jede Parzelle den perfekten Erntezeitpunkt zu bestimmen. Wir warten relaxt auf den richtigen Moment.»
Die Spitzerberg-Rettung
Im Herbst 2002 kelterten Dorli Muhr und Miteigentümer und Portwein-Grösse Dirk van der Niepoort die ersten Trauben vom Spitzerberg. Die 500 Liter Blaufränkisch wurden im Keller eines Freundes ausgebaut. Mittlerweile ist die Rebfläche auf 40 Parzellen verteilt auf zwölf Hektar gewachsen. Die Anfänge erinnern ein wenig an früher, als Dorlis Vater den Ertrag der Spitzerberg-Reben in einer kleinen Korbpresse auf dem Hof kelterte und je nach Jahrgang ein bis zwei Fässchen in den Keller legte. Der begnadete Ziehharmonikaspieler lud übers Jahr vier- bis fünfmal Freunde zu Musik und Wein in seinen Keller, danach waren die Fässchen geleert. Eigenbedarf sozusagen. Als Dorli nach Reisen und Aufenthalten in vielen Weltgegenden ihre Heimat wieder für sich entdeckte, war die Bezeichnung «Spitzerberg » im österreichischen Rebkataster nicht aufgeführt. Die Weine vom Spitzerberg hatten altes Renommee, aber die Zeiten waren längst vergangen. Die Gegenwart war wenig berauschend. Kein Wunder, lag der Kilopreis für die Trauben doch bei mageren 15 Cent, der Bodenpreis bei 1,50 Euro pro Quadratmeter, inklusive Rebstöcken. Auch die Generationenfalle schnappte zu: Welcher Jungbauer möchte die Stöcke noch mühsam pfl egen, wenn es die Eltern nicht mehr vermögen? Den alten Rebbeständen drohte die Rodung. Bevor Dorli sich in die Spitzerberg-Rettung stürzte, lud sie die Winzer zu einem Treff en ein. Auf der Agenda stand: verkosten, diskutieren und die Zukunft des Berges planen, mit dem Ziel, die Weine auf ein höheres Level zu heben. Alle Winzer kamen. Und Dorli überzeugte mit ihrem Plädoyer für den stiefmütterlich behandelten Rebenstandort. Sie erklärte, welch grosses Potenzial die Spitzerbergweine hätten, beschwor das Selbstverständnis und den Mut der Bauern. Sie bot ordentliche Preise für Flächen und Pacht, um die Rodung der Reben zu verhindern. Ganz Kommunikationsspezialistin, hängte sie zudem im Wartezimmer des Gemeindearztes ein Poster auf: «Ich suche Rebparzellen am Spitzerberg.» Der Plan ging auf: Die älteren Winzer mit ihren Zipperlein und der Sorge, irgendwann die Reben nicht mehr bestellen zu können, meldeten sich.
«Ich möchte die alten Rebanlagen vor der Rodung schützen, denn sie bringen die spannendsten Weine.»
Teils konnte Muhr Flächen übernehmen, die 1950 oder gar früher gepflanzt wurden. «Wir bauen die alten Rebstöcke gezielt wieder auf. Sorgen uns um die Böden, arbeiten mit Grünsaaten und permanenter Begrünung.» Die Flächen werden nicht gedüngt. Fünf Jahre dauert es, so die Erfahrung der Winzerin, bis die Böden der alten Parzellen, die lang gedüngt und mit Herbiziden behandelt wurden, wieder genesen und die Reben in einem Topzustand sind, um beste Trauben hervorzubringen. Bei der Ernte werden überreife Beeren ausgesondert, der Ertrag liegt bei niederen 3000 Kilo pro Hektar, in schwierigen Jahren ist es manchmal nur die Hälfte. Seit 2007 wird in der eigenen kleinen «Kellerei» gearbeitet. Es ist eine Scheune, bestückt mit Holzgärstanden und gebrauchten Fässern, die den Winzern abgekauft wurden. «Die Barriques, mit denen wir in den ersten Jahren gearbeitet hatten, entsorgten wir. Unsere Blaufränkisch-Weine entwickeln sich schöner, ebenmässiger und ausbalancierter im grossen Holz», sagt Muhr. Seit 2014 baut der 26-jährige Lukas Brandstätter die Weine von Muhr-van der Niepoort aus. Der junge Önologe hat die schonende Weinbereitung verinnerlicht. Die Maische wird weder erwärmt noch gekühlt, und die Trauben der
besten Parzellen werden nach portugiesischem Vorbild fussgestampft. Die Reduktion auf das Wesentliche zeigt sich in den Weinen: Die präzise Frucht, die samtigen Tannine und die seidig kühle Säure sind deren Markenzeichen. Die 16 Jahre Aufb auarbeit am Spitzerberg trägt Früchte, und die Story geht weiter, denn der weisse Fleck auf der Reblandkarte geht in die Evaluation für die Klassierung der Toplagen in Niederösterreich.
Weine im Clubpaket
Carnuntum Sydhang 2016
2020 bis 2028
Typische Syrah-Aromatik mit kräuterwürzigen Noten, schwarzem Pfeffer und dunkler Frucht. Verspielte Art am Gaumen, tanzt über die Zunge mit sattem Tannin und animierender Säure.
Mariage: herrlich zu einem Lammgigot aus dem Ofen, gegrillten Lammracks oder zu Couscous mit Ratatouille. Verwegene würzen die Ratatouille kräftig mit Rasel-Hanout.
Carnuntum Prellenkirchen Ried Spitzerberg Blaufränkisch 2016
2022 bis 2035
Vielschichtig und tiefgründig, mit Noten von Heublumen, reifen, dunklen Beeren und einem Hauch Lakritze. Viel Eleganz und präzise Frucht am Gaumen, noble Tannine, straffe Säure und ein fast kreidiges Finale.
Mariage: Dazu passt ein zartes Stück Fleisch, Tafelspitz zum Beispiel, Kalbsgeschnetzeltes oder Rote-Bete-Carpaccio mit gratiniertem Ziegenfrischkäse als vegetarische Variante.
Carnuntum Prellenkirchen Samt und Seide Blaufränkisch 2016
2020 bis 2030
Komplexer Duft nach reifen Kirschen, Tabak und einem Hauch Rauchspeck, alles unterlegt mit feiner Kräuterwürze. Am Gaumen ausbalanciert mit geschliffenen Schoko-Tanninen und feinem Säurenerv.
Mariage: geschmortes Rind, Wildschweinkotelett oder rosagebratene Entenbrust. Samt und Seide kleidet alles, auch ein herzhaftes Pilzrisotto.