Ca’ di Rajo, Veneto

Der Raboso-Flüsterer

Text: Christian Eder

Simone Cecchetto keltert in seinen Rebbergen im Piave-Gebiet östlich des Veneto eigenständige Weine aus Rebsorten, die man sonst kaum findet. Einer davon gilt sein ganz besonderes Augenmerk.

 

Ein «cavallo di razza», ein Rassepferd sei sie, sagt Simone Cecchetto: Wild und launisch, aber wenn sie einmal gezähmt sei, dann zeige sie ihren einzigartigen Charakter. Und gerade deshalb stelle sie für jeden Winzer eine Herausforderung dar. Die Rede ist von der Raboso, einer autochthonen roten Rebsorte des Piave-Gebiets im Ostendes Veneto. Die Traube war in den weiten Ebenen zwischen Alpen und Adria schon in vorrömischer Zeit verbreitet. Erwähnt wird sie aber erstmals im ersten Jahrhundert nach Christus in der «Naturalis Historiae» von Plinius dem Älteren: Sie sei «schwärzer als Pech», schreibt er.

«Der rassige Sangue del Diavolo entspricht der Tradition, der zugängliche Riserva Notti di Luna Piena ist die Zukunft.»

Simone Cecchetto Winzer

Heute ist die Raboso für ihren wilden Charakter berüchtigt, wird aber nach wie vor im Piave-Gebiet zwischen Conegliano, Oderzo, San Polo di Piave und Mottadi Livenza angebaut. Einst dominierte sie die Reblandschaft, heute sind nur noch ein paar Prozent der Rebfläche damit bestockt. Und nur wenige Winzer sind so vernarrt in sie wie Simone Cecchetto: Er keltert auf seinem Gut Ca’ di Rajo in San Polo di Piave gleich drei Weine aus Raboso – eine Cuvée und zwei reinsortige Interpretationen.

Das Weingut liegt mitten in der Piana Trevigiana, der Ebene im Osten der Provinzhauptstadt Treviso: Im Norden sieht man die Ausläufer der Alpen, 50 Kilometer weiter im Süden liegen das Meer und Venedig. Der Fluss Piave hat hier die Zusammensetzung der Böden geprägt, hat mit seinen Ablagerungen mineralische Komponenten aus den Bergen gebracht,die in den Weinen wiederzufinden sind. Weil er an das Potenzial dieses Terroirs glaubte, hat Simone Cecchetto 2005 den Weinbau zu seinem Beruf gemacht und gleich eine neue Kellerei in den Weiler Rai bei San Polo in Piave gestellt. Simone, damals gerade mal 20 Jahre alt, wollte ebenso Weinbauer werden wie sein Grossvater Marinò: «Schon mit drei, vier Jahren war ich mit ihm im Rebberg», erzählt er. Heute noch hilft der Grossvater in den Reben mit. Gerade – mit über 80 Jahren – tuckert er mit dem Traktor an uns vorbei.

Rund zwei Dutzend Etiketten hat das Weingut heute im Portefeuille: von Rebsortenweinen – wie einem nach der Oma Nina benannten Weisswein aus Incrocio Manzoni – über Blends aus internationalen und autochthonen Varietäten bis zu zahlreichen Schaumweinen, die von Prosecco DOC bis Prosecco Superiore di Conegliano Valdobbiadene DOCG reichen. Das Aushängeschild der Kellerei aber sind und bleiben Weine aus Raboso: In jungen Jahren sind sie wild und charaktervoll, geprägt von Säure und Tannin, erst mit dem Alter werden sie, wenn sie richtig behandelt werden, würzig, fast geschmeidig. Der Raboso liege ihm wohl in den Genen, ist Simone überzeugt, schliesslich sei er stets der Vino di Venezia gewesen: Weine aus Raboso wurden schon in den Zeiten der Republik Venedig exportiert.

Ungewöhnliche Methoden

Die Reben zieht Simone nach einer ungewöhnlichen Methode auf vier Meter hohen Holzpfählen, von denen sich die Triebe strahlenförmig ausbreiten: Die sogenannte Bellussera wurde im 19. Jahrhundert von den Gebrüdern Bellussi erfunden, um der Reblausplage Herr zu werden. Erst mit der Mechanisierung verschwand sie weitgehend. Bei Simone Cecchetto sind noch 15 der insgesamt 25 Hektar damit bestockt, und auch bei Neuanlagen kommt sie wieder zum Einsatz. «Der Vorteil ist, dass die Reben ein natürliches Gleichgewicht erreichen.» Kraftvolle Rebstöcke mit 50 und mehr Jahren sind keine Seltenheit.

Wie gut das System zum Raboso passt, sieht man an den Weinen von Ca’ di Rajo: Die Raboso-Trauben des Blends Marinò (der Rest ist Merlot und Cabernet) stammen alle von der Bellussera: Der Wein soll einerseits das Terroir charakterisieren, andererseits auch für Freunde eines modernen Stils passen. Simone: «Es ist vor allem die Harmonie zwischen den Rebsorten, die ihn prägt.» Hinter den beiden reinsortigen Raboso-Weinen hingegen steht eine andere Philosophie: «Sangue del Diavolo ist die Tradition, die Riserva Notti di Luna Piena die Zukunft», sagt der Winzer. Der Sangue del Diavolo ist rassig und von Säure und langlebigen Gerbstoffen geprägt («den sollte man sieben, acht Jahre im Keller vergessen»), der andere überraschend entgegenkommend und zugänglich. Das hat die Riserva dem Appassimento zu verdanken, erklärt Simone. Ein Teil der Trauben wird angetrocknet.

Aber für alle drei gilt: Sie sind unverfälscht, ohne Schnörkel, ja elegant im klassischen Sinne. Darauf ist Simone Cecchetto besonders stolz: «Das zeigt auch, welches Potenzial Raboso hat». Und das sei, so meint er abschliessend, noch lange nicht ausgeschöpft.

Weine des Winzers

 

Nina Incrocio Manzoni 2013

100% Incrocio Manzoni | 2016 bis 2019

Eleganter und gut strukturierter Bianco aus Incrocio Manzoni, einer Kreuzung aus Riesling und Weissburgunder. Erhält einen Teil seiner Komplexität aus den erst Anfang Oktober gelesenen Trauben.

Mariage: Fischgerichte, helles Fleisch, Spargelrisotto und Käse

 

Marinò Rosso IGT 2012

50% Merlot, 30% Cabernet Sauvignon, 20% Raboso | 2017 bis 2022

Finessenreicher Rotwein, der die Balance eines Bordelaiser Blends aus Merlot und Cabernet mit dem ungestümen Charakter des Raboso kombiniert. Gefällt mit seiner Aromatik und seinem Schmelz.

Mariage: Wildgerichte, Gänsebraten, würziger Käse

 

Notti di Luna Piena Raboso Piave DOC Riserva 2009

100% Raboso | 2018 bis 2025

Würziger Raboso, noch sehr jugendlich, fast wild im Auftreten, besitzt alles, was ein langlebiger eigenständiger Rotwein braucht. 70 Prozent der Trauben werden Ende Oktober gelesen, 30 Prozent werden angetrocknet.

Mariage: Hirschbraten, Wildschwein, gut durchgezogenes Steak