Bioweinbau im Aufwind
Bio über alles im Schweizer Weinjahr 2021
In einem Jahrgang, der von einem starken Druck durch Pilzkrankheiten geprägt war, mussten die Biowinzer wie alle ihre Kollegen kämpfen, um eine historisch kleine Ernte zu lesen. Unser Dossier über Schweizer Biowein blickt auf einen sehr schwierigen Jahrgang zurück, enthält aber auch eine Auswahl an bemerkenswerten Cuvées, die das Knospen-Zeichen von Bio Suisse tragen.
Unsere drei Gesprächspartner kommen aus verschiedenen Weinbauregionen. Sie haben den Jahrgang 2021 auf sehr unterschiedliche Weise erlebt. Ihre Gemeinsamkeit: Sie gewannen den Titel «Schweizer Biowinzer des Jahres» bei einem der früheren Schweizer Biowein-Wettbewerbe, die von VINUM unter der Schirmherrschaft von Bio Suisse organisiert wurden. Diese renommierten Winzer berichten von einem Jahr, in dem sie sich neu erfinden mussten. Dennoch beeinträchtigte dies nicht ihr Vertrauen in die von ihnen gewählte biologische Produktionsweise, die ihnen ermöglicht, auch bei Gegenwind Weine auf höchstem Niveau zu produzieren.
Wallis – schönes Land, aber trocken!
Frost, der den Cornalin schwer getroffen hat, eine schwierige Blüte, unter der vor allem der Chasselas gelitten hat, und Falscher Mehltau wie nie zuvor: Die Cave Caloz konnte nur 40 Prozent eines normalen Jahres einkeltern. Sandrine Caloz, Schweizer Biowinzerin 2019, erklärt, dass «man viel Arbeit investieren musste, um die Pilzinfektionen eindämmen zu können. Wir erkannten, wie wichtig es war, die gesamte Rebfläche an einem einzigen Tag behandeln zu können, da wir im Gegensatz zu anderen Jahren oft nur ein sehr begrenztes Zeitfenster zwischen zwei Regenfällen hatten. Wir haben festgestellt, dass es nicht so sehr auf das verwendete Produkt ankommt, sondern auf eine rasche Umsetzung der Massnahmen.» Auch bei der Lese wurde das Team verstärkt, um aussortieren zu können, was aussortiert werden muss. «Wir haben viele Leute für die Weinlese eingestellt, die viel länger gedauert hat als üblich, weil wir noch nie Trauben mit Mehltau eingefahren haben», sagt sie, die 2021 zum vierten Mal Mutter wurde. «Da es wenig Literatur über die Vinifizierung von Trauben mit Mehltau gibt, mussten wir im Keller etwas instinktiv vorgehen», bestätigt sie und spricht von einem «sehr interessanten Jahrgang bei den Weissweinen, aber eher begrenzt bei den Rotweinen. Ausserdem bin ich nicht davon überzeugt, dass man dem Kunden sagen kann: Verstecken Sie diese Flaschen tief im Keller, sie werden in 20 Jahren fantastisch sein.»
Der Weinkeller wurde in den 1960er Jahren von Sandrines Grossvater gebaut und ist heute für die von der Familie mittlerweile bewirtschafteten sieben Hektar unterdimensioniert. «Unser grosses Problem ist, dass wir heute fast nur den Jahrgang 2021 verkaufen und somit den Unwägbarkeiten eines einzigen Jahrgangs ausgesetzt sind», fährt die Winzerin fort und fügt hinzu, dass sie ein Projekt zum Bau eines Raumes für landwirtschaftliche Maschinen und die Lagerung der Weine hat. «Die Behördengänge laufen seit zwei Jahren, aber zwischen dem Papierkram und den Einsprüchen dauert alles sehr lange.» In der Zwischenzeit hat Sandrine Caloz die Entscheidung getroffen, an keiner Veranstaltung teilzunehmen, da «fast alle unsere Weine Ende Juni verkauft sein werden». Hingegen will sie an einigen Wettbewerben teilnehmen, insbesondere am Grand Prix du Vin Suisse, weil «die guten Ergebnisse bei diesen Wettbewerben es uns ermöglicht haben, unseren Bekanntheitsgrad stark zu steigern, und ohne sie wären wir wahrscheinlich nicht da, wo wir heute sind. Auch in schwierigen Zeiten ist die Teilnahme eine Möglichkeit, unsere Unterstützung für die Organisatoren zu zeigen, die viel für den Schweizer Wein tun.»
Der Jahrgang 2021
Die Zahlen des Bundesamts für Landwirtschaft sprechen für sich. Nach Angaben der Bundesbeamten betrug die Weinernte 2021 nur knapp über 60 Millionen Liter und damit 22,5 Millionen Liter weniger als 2020, das alles andere als ein Rekordjahr war. Dies ist die niedrigste Ernte seit 65 Jahren. Denn 1957 hatte die Weinlese nur 41 Millionen Liter betragen. Diese Zahlen lassen sich durch sehr ungünstige Wetterbedingungen für die Weinreben erklären.
Im kältesten April seit 20 Jahren kam es zu Frosteinbrüchen, von denen einige Regionen, insbesondere das Wallis, stark betroffen waren. Der kalte und trübe Frühling störte die wichtige Blütezeit. Der besonders kühle und feuchte Sommer begünstigte die beiden Pilzkrankheiten Falscher und Echter Mehltau. Dazu kamen Hagel, Gewitter, einige sintflutartige Regenfälle, und das alles vor dem Hintergrund der Pandemie.
Ergebnis: ein später Jahrgang, den alle Winzer trotz eines eher milden Herbstes als «sehr kompliziert» bezeichnen.
Reynald Parmelin sammelt jede Menge Bio-Preise bei regionalen und nationalen Wettbewerben. Der für seine blauen Flaschen berühmte Produzent aus La Côte war der erste Waadtländer Winzer, der das Bio-Suisse-Siegel erhielt. Diese Zertifizierung stammt noch aus einer Zeit, die unter 20-Jährige nicht kennen können und in der die Konzepte der nachhaltigen Entwicklung und der globalen Erwärmung bei der breiten Öffentlichkeit unbekannt waren. Seit 1994 hat sich viel verändert, aber die vom Eigentümer der Domaine La Capitaine in Begnins eingeschlagene Richtung hat sich ausgezahlt. Sein Empfangsbereich mit Blick auf den Genfersee und den Mont Blanc war jedes Wochenende voll besetzt, bis die Pandemie alles durcheinanderbrachte. «Alles hatte gut begonnen, bis das Wetter anfing, verrücktzuspielen», erklärt der Önologe und bestätigt, dass La Côte im Vergleich zu anderen Regionen zwar recht gut weggekommen ist, die Unterschiede zwischen den Dörfern und sogar innerhalb der Parzellen jedoch enorm sind. «In Begnins hatten wir mehr Regen bringende Gewitter aus dem Jura und Befall mit Falschem Mehltau, der zwischen 10 und 40 Prozent Ernteverlust verursachte. In Gilly, zwei Kilometer weiter, haben wir eine fast normale Ernte eingefahren.» Parmelin war beeindruckt von den Unterschieden, die selbst innerhalb einer Parzelle zustande kamen: «Es ist ausreichend, wenn es eine kleine flache Stelle gibt, an der das Wasser etwas länger steht, und die Stärke des Befalls kann sich verdoppeln oder sogar verdreifachen.» Im Nachhinein meint der Bio-Pionier, er sei ein wenig Opfer seiner eigenen Erfahrungen geworden. «Ich habe im Laufe des Jahres ein Dutzend Behandlungen gemacht und hätte wahrscheinlich drei mehr machen sollen. Mit der Zeit habe ich gelernt, die Produkte einzuschränken und die Behandlungsphasen in grösseren Abständen durchzuführen. Leider hat sich das, was in den letzten 20 Jahren ausreichte, 2021 als nicht ausreichend erwiesen. Theoretisch muss eine Behandlung nach 20 Millimetern Regen wiederholt werden. Was mich betrifft, so habe ich mir angewöhnt, sogar bis zu 30 oder sogar 35 Millimeter Regen abzuwarten, bevor ich wieder mit der nächsten Behandlung beginne.» Insgesamt bleibt die Bilanz in Bezug auf die eingekelterte Menge zufriedenstellend und ist in qualitativer Hinsicht eher positiv: «Wir haben Weissweine von sehr guter Qualität. Bei den roten Rebsorten ist es etwas schwieriger, aber da wir sie oft nach einem Jahr im Fass gereift verkaufen, können unsere Kunden derzeit sehr gefällige Rotweine aus dem Jahr 2020 geniessen.» Als emblematischer Bioproduzent ist die Domaine La Capitaine auch ein Pionier des Weintourismus. «Wir hatten Glück mit unserem Zeitplan», gesteht Reynald Parmelin, «denn wir hatten umfangreiche Arbeiten in den Empfangsbereichen geplant, und die Baugenehmigung kam kurz vor der Pandemie. Wir haben also dementsprechend die verordneten Schliessungen genutzt, um die geplanten Umbauten durchzuführen.»
Ein schweisstreibender Jahrgang
Auf der Domaine de Miolan, beim «Schweizer Biowinzer 2021», war 2021 ein anspruchsvoller Jahrgang, der durch Frost und Mehltau beeinträchtigt wurde. «Die Saison war kompliziert, weshalb wir den kleinsten Jahrgang seit über 60 Jahren eingefahren haben», erklärt Bertrand Favre und fügt hinzu: «Der empfindliche Merlot hat sich gut geschlagen, während der Chasselas, der als nicht besonders Mehltaugefährdet gilt, nach dem 15. August vom Pilz befallen wurde.» Wie seine Kollegen im Wallis und in der Waadt äussert er Vorbehalte gegenüber den Rotweinen, «die nicht das Volumen und den Charme der 2020er oder sogar der 2019er haben werden», zeigt sich aber optimistisch hinsichtlich der Weissweine, «die Frische, Spannung und ein schönes aromatisches Potenzial haben. Wir nähern uns eher Jahrgängen wie 2002 oder 2004, die knackige und süffige Weine hervorbrachten.» Auch wenn Bertrand Favre zugibt, dass 2021 «ihn sehr ins Schwitzen gebracht hat», freut er sich, diese eher rassigen und eleganten Weine einer Kundschaft vorzustellen, die «weniger süsse und opulente Weine bevorzugt. Immer mehr Leute verlangen nach trockeneren und säurebetonteren Weinen mit einem vernünftigeren Alkoholgehalt. Also dem typischen Profil unserer Weine des Jahrgangs 2021...»
Besser, nachhaltiger, bio!
Immer mehr renommierte Weingüter in der Deutschschweiz bewirtschaften ihre Rebgärten kontrolliert biologisch. Besonders in der Bündner Herrschaft wird «bio» für Topweine vermehrt zum Standard. Auch beim Anbau von pilzwiderstandsfähigen Sorten und bei innovativen Konzepten für einen ganzheitlich nachhaltigen Weinbau setzen Deutschschweizer Winzer starke Akzente.
Nicht wenige prophezeiten dem Deutschschweizer Bio-Weinbau nach dem katastrophalen Jahr 2021 mit Frost, Hagel, Fäulnis und Pilzkrankheiten einen empfindlichen Rückschlag. Doch rückblickend zeigt sich: Die Biowinzerinnen und Biowinzer gehen ihren Weg weiter. Und Analysen zeigen, dass die Biowinzer sogar in stark betroffenen Kantonen wie Zürich, Thurgau oder Schaffhausen nicht grundsätzlich mehr Trauben verloren haben als ihre konventionell arbeitenden Kollegen. Die von Winzer zu Winzer unterschiedlich hohen Ernteausfälle waren demnach vor allem auf lokale Wetterkonstellationen zurückzuführen und nicht auf die Anbauform. Die Zeichen stehen gut, dass sich der Trend zum kontrolliert biologischen Anbau auch in den kommenden Jahren fortsetzen wird. So ist in der Bündner Herrschaft eine eigentliche Umstellungswelle zu beobachten. Das Winzerdorf Malans ist dank Bio-Pionieren wie Louis Liesch, Clavadetscher oder Boner & Rasi schon seit bald 30 Jahren eine Hochburg des Bioanbaus. Seit nun in den letzten Jahren auch renommierte Top-Weingüter wie Fromm, Wegelin oder Ueli und Jürg Liesch umgestellt haben und ihre Weine kontrolliert biologisch anbauen, hat sich Malans erst recht als Hotspot der Deutschschweizer Bioweinszene etabliert.
Bio-Pioniere setzen Massstäbe für Zukunft
Das Gleiche gilt für das nur 30 Kilometer entfernt liegende sankt-gallische Städtchen Walenstadt. Bereits über 60 Prozent der Rebfläche von 15 Hektar werden hier kontrolliert biologisch bewirtschaftet. Und weil die drei im Städtchen selbst ansässigen Winzer alle biologisch arbeiten, ist Walenstadt bis heute wohl der einzige Weinbauort der Schweiz, in dem ausschliesslich Bioweine abgefüllt werden. Das ist eine beeindruckende Leistung angesichts der klimatischen Bedingungen. Zwar ist es am östlichen Ende des Walensees fast so warm wie in der Bündner Herrschaft, doch mit 1400 Millimeter Regen pro Jahr und Quadratmeter sind die Niederschläge extrem hoch. Doch der Bioanbau hat in den letzten Jahren eindrücklich bewiesen, dass er auch unter den klimatischen Bedingungen der Ostschweiz ein Garant für absolute Spitzenweine ist. Kein Wunder, produzieren hier inzwischen mit dem Schlossgut Bachtobel im thurgauischen Weinfelden und dem Weingut Pircher im zürcherischen Eglisau seit kurzem zwei alteingesessene und prestigeträchtige Weingüter ihre Trauben kontrolliert biologisch.
Eine einmalige Pionierrolle im Schweizer Bioweinbau nimmt das Weingut von Karin und Roland Lenz im thurgauischen Iselisberg ein. Auf 26 Hektar werden hier qualitativ hochstehende Bioweine gekeltert, aber auch vollfruchtige, trinkige Alltagsweine für die junge Geniessergeneration. Gleichzeitig verabschiedet sich das innovative Winzerpaar von den klassischen Rebsorten und wird künftig nur mehr pilzresistente Gewächse kultivieren. Zusammen mit dem renommierten Rebzüchter Valentin Blattner experimentieren sie permanent mit neuen, mehrfach resistenten Sorten, die langfristig ohne Pflanzenschutz auskommen. Mit Hotspots und grosszügigen Ausgleichsflächen, für die sie über 15 Prozent ihrer Rebfläche «geopfert» haben, transformieren sie ihre Rebanlagen in sich selbst regelnde Ökosysteme, die ohne herkömmlichen Pflanzenschutz auskommen. Und mit ihrer Fotovoltaikanlage produzieren sie schon seit Jahren mehr Energie, als ihr Weingut benötigt. Für viele Fachleute gilt darum dieser Thurgauer Betrieb als «das Weingut der Zukunft».
Der Visionär: Roland Lenz
Der Thurgauer Winzer Roland Lenz hat konkrete Vorstellungen, wie das Weingut der Zukunft aussehen soll. «Bio» soll es auf jeden Fall sein, aber noch viel mehr!
In der jahrtausendealten Weinbaugeschichte der Schweiz sind immer wieder neue Rebsorten aufgekommen und haben bestehende Gewächse abgelöst. Für den heute 52-jährigen Bio-Weinbau-Pionier Roland Lenz in Iselisberg im Kanton Thurgau ist klar, dass wir uns jetzt wieder in so einer Zeitenwende befinden. «Die Vorteile der neuen pilzwiderstandsfähigen Sorten sind so offensichtlich und der politische Druck zu einer pestizidfreien Landwirtschaft ist so gross, dass sich die neuen robusten Sorten mittelfristig durchsetzen werden», sagt der innovative Biowinzer, der auf seinen 26,5 Hektar nur noch mit Piwi-Sorten arbeitet. Diese kommen nicht nur ohne synthetische Pflanzenschutzmittel aus, sondern auch ohne Kupfer. Lenz führt einzig zwei Behandlungen mit Backpulver und Tonerde durch. Vom perfekten Rebberg hat er eine klare Vision. Verschiedene Piwi-Sorten wachsen da im Mischsatz, was die Anfälligkeit gegenüber Krankheiten, Schädlingen oder Pilzbefall stark verringert. Gleichzeitig bilden die Piwi-Rebstöcke eine Lebensgemeinschaft mit verschiedensten Nuss- und Fruchtbäumen. So verschwindet die Monokultur Rebberg und wird Teil einer autonomen Mischkultur, die reife schmackhafte Trauben hervorbringt.
Bioweinbau im Aufwind
Cédric Guillod, Winzer in Vully & Vorstandsmitglied von Bio Suisse, freut sich über die Dynamik des Bioweinbaus in der Westschweiz.
Nach der Entwicklung der Rebflächen, die nach den Richtlinien des ökologischen Landbaus bewirtschaftet werden, befragt, antwortet Cédric Guillod, der seit 2017 zertifizierte Winzer: «Die Statistiken zeigen, dass Ende 2021 in der Schweiz 2150 Hektar Weinberge nach den Richtlinien von Bio Suisse, Bundes-Bio oder Demeter bewirtschaftet werden. Die Entwicklung über 15 Jahre hinweg ist phänomenal.» Auf das Jahr 2021 angesprochen, meint der Freiburger: «In der Tat bestand die Gefahr, dass durch die komplizierten Wetterbedingungen der Zuwachs gebremst wurde. Klar ist, dass die klimatischen, sich beständig ändernden Herausforderungen weiter zunehmen. Letztendlich scheinen diese Komplikationen die Landwirte nicht davon abzuhalten, den Schritt in Richtung biologische Landwirtschaft zu wagen, wie unsere Umstellungskurse zeigen, die zu Beginn des Jahres sehr erfolgreich waren.» Ein weiterer erfreulicher Aspekt ist, dass die Nachfrage nach Weinen mit der Bio-Knospe ungebrochen ist: «Unsere Handelspartner bestätigen die anhaltende Nachfrage nach Bio-Produkten mit Gütesiegel, da die Verbraucher die Knospe als Qualitätszeichen anerkennen.»