Guide ÖTW Erste Lagen: Frische und Präzision nehmen zu

Österreich kommt in Bewegung

Degustation: Nicole Retter, Harald Scholl; Text: Harald Scholl

Nach der Präsentation der VDP.Grossen Gewächse in Wiesbaden ist der jährliche Aufmarsch der Österreichischen Traditions Weingüter (ÖTW) der zweite unabdingbare deutschsprachige Fixpunkt im Terminkalender der internationalen Weinjournalisten. Mit dem feinen Unterschied, dass in Grafenegg nicht nur ein Verein seine Weine zeigt, sondern gleich fünf. Neben den ÖTW-Betrieben zeigten auch die Steirischen Terroir- und Klassikweingüter (STK), Eisenberg DAC und Leithaberg DAC sowie die Vinea Wachau ihre Weine. Es fehlte nur ein ÖTW-Mitglied, das Weinviertel ist erst im Frühjahr 2024 in den ÖTW aufgenommen worden, eine Präsentation der Weine war aufgrund der Kürze der Zeit nicht mehr möglich. Aber auch so gab es ausreichend Wein zu probieren.

An den fünf Tagen wurden in diesem Jahr laut Datenbank 623 Weine vorgestellt, ein Verkostungsmarathon, der so manches Zahnfleisch an den Rand der Belastungsfähigkeit brachte. Denn was dem aussenstehenden Weinliebhaber wie ein grosses Fest erscheinen mag, ist für die Weinkritiker aus der ganzen Welt definitiv harte Arbeit. Das liegt nicht nur am Sujet Wein selber, etwa an der vorhandenen Säure. Viel anspruchsvoller waren die gezeigten Weine; die Sortenvielfalt und die Unterschiede der Anbaugebiete sind stilistisch derart unterschiedlich, dass es bisweilen schwerfiel, den Überblick zu behalten. Trotzdem zeigte es sich recht deutlich: Das Niveau der Jahrgänge 2022 und 2023 ist ungewöhnlich hoch, 91 Weine wurden mit 18 oder mehr Punkten bewertet, also annähernd 15 Prozent der verkosteten Weine. Ein Wert, der zudem belegt, dass die gezeigten Weine den Grossteil der österreichischen Spitzenweine darstellen. Wobei ausdrücklich gesagt sei, dass es auch Spitzenweine von Weinbaubetrieben gibt, die sich nicht den in Grafenegg präsentierenden Winzerorganisationen angeschlossen haben.


Resultate, Analysen, Statements

Es ist am Ende keine ganz einfache Aufgabe. Im Probenkatalog der ÖTW Erste Lagen-Präsentation sind hunderte von Weinen gelistet – mehr, als es ein durchschnittlicher Weinkritiker pro Woche seriös verkosten kann. Und doch muss diese Fülle an Weinen sein. Denn nur so lassen sich Entwicklungen und Strömungen, Jahrgänge und Stilistiken erkennen. Auch wenn die ÖTW-Weingüter, wie auch die STKWinzer, Eisenberg DAC, Leithaberg DAC und die Vinea Wachau, nur einen geringen Teil der rot-weiss-roten Weinwelt abbilden. Das muss bei allen Schlussfolgerungen unbedingt ins Kalkül miteinbezogen werden.

Das Thema Klimawandel bestimmt auch – wenig überraschend – den österreichischen Weinbau. Und ebenso wenig überraschend schaffen es die Winzerinnen und Winzer, ihren Weinen trotz der immer üppiger werdenden Reife genau das Mass an Frische, sprich Säure, mit auf den Weg zu geben, die die Weine so animierend und zugänglich macht.

«Aufbruchsstimmung wäre zu viel gesagt, aber die deutliche Veränderung der Stilistik ist überall schmeckbar»

Harald Scholl Chefredakteur Deutschland

Das gilt für die Sauvignon-Blanc-Weine (Steiermark) genauso wie für Grünen Veltliner (Kamptal, Kremstal) und auch den Riesling (Wachau). Vor allem letztgenannte überraschten mit Weinen, die sich von der barocken, opulenten Fülle der Jahre zuvor schmeckbar entfernen. Österreichischer Riesling ist dabei, ein eigenständiges und zeitgemässes Geschmacksprofil zu entwickeln. Und auch beim Blaufränkisch (Eisenberg, Leithaberg) sind die Zeiten der dicken, tanninschweren Monster vorbei. Den besten Produzenten gelingt es, feine, geradezu tänzelnde Weine zu keltern, die eben nicht dem grassierenden Pinot-Noir-Fieber nacheifern, sondern auch hier eine besondere Individualität und Leichtigkeit auf österreichische Art wagen.


Die Top 10 der verkosteten Weine

RangBeschreibung
1
97/ 100
Punkte
Niederösterreich, Österreich
Weingut Bründlmayer
2
97/ 100
Punkte
Steiermark, Österreich
Weingut GROSS GmbH
3
97/ 100
Punkte
Niederösterreich, Österreich
Weingut Dorli Muhr
4
97/ 100
Punkte
Niederösterreich, Österreich
Weingut Schloss Gobelsburg
5
97/ 100
Punkte
Niederösterreich, Österreich
Weingut Franz Hirtzberger Ges.m.b.H.
6
97/ 100
Punkte
Niederösterreich, Österreich
Weingut Jurtschitsch Sonnhof
7
98/ 100
Punkte
Steiermark, Österreich
Weingut Tement
8
96/ 100
Punkte
Niederösterreich, Österreich
Weingut Bründlmayer
9
96/ 100
Punkte
Niederösterreich, Österreich
Weingut Dorli Muhr
10
96/ 100
Punkte
Niederösterreich, Österreich
Weingut Malat

Die Verkostung

Harald Scholl und Nicole Retter verkosteten die Weine im September 2024 im Rahmen der jährlichen ÖTW-Präsentationen in Grafenegg. Alle Weine wurden offen verkostet, die Flights von den einzelnen Verkostern individuell zusammengestellt und an den Tisch gebracht. Alle anwesenden Journalisten, Händler und Sommeliers verkosteten die Weine im gleichen Modus.

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