Wineguide: Weisse Burgunder-Cuvées - eine willkommene Spielwiese

Chardonnay mit Grauburgunder und Weissburgunder in der Cuvée; oder auch mit Neuburger vermählt, mit Auxerrois oder Muskateller – in Deutschland und Österreich scheint Chardonnay ein von den Winzern gern assemblierter Weisswein zu sein. Die Anzahl von 119 angestellten Weinen lässt diesen Schluss zu. Das verwundert zunächst. Die Winzer in den  CHAD-(oder DACH-) Ländern stechen seit jeher mit ihren weissen reinsortigen Weinen hervor, mit Riesling, Grünem Veltliner und Chasselas haben sie ihren Regionen einen sicheren Platz auf der Weltkarte der grossen Weine gesichert. Warum nun die Winzer mit den hier verkosteten Assemblagen ein wenig aus dieser Tradition ausscheren, ist eigentlich schnell erklärt: Die weissen Burgundersorten sind in grossen Mengen vorhanden, und die Erzeuger halten mit diesem Zusammenspiel offensichtlich Ausschau nach dem Easy-Drinking-Klientel. Die Weine sind schmelzig, voller Birnenfrucht und Mandel, eher wuchtig als delikat, bei gleichzeitiger saftiger Frische. Seltener entstehen auch elegante und feingliedrige Gewächse, die hier und dort im Schaffensdrang an die Assemblierungskunst der weissen Rhôneweine erinnern, mit ihren drei, vier oder auch mehr Sorten. Die Winzer scheinen also Chardonnay & Co als eine willkommene Spielwiese zu nutzen. In dieser Welt stimmt die Musik, aber eigentlich steckt noch mehr Potenzial drin. Gerade die besten Weine in diesem Guide beweisen, was mit diesem Verschnitt alles möglich ist. Zwei Beispiele stechen dabei hervor: Wittmanns Westhofener Weisser Burgunder & Chardonnay, der sich geradlinig zeigt, voll fokussiert auf Finesse. Und Sattlerhofs Morillon Weiss- und Grauburgunder aus dem Pfarrweingarten 2016 (!), der nun auf seinem strahlenden Zenit steht.

«Viele Burgunder-Cuvées sind gemacht für das breite Publikum, das sofort verzückt werden will. Das ist gut so.»

Miguel Zamorano Redaktion VINUM

Der deutsche Comedian Atze Schröder hat neulich in einem Interview auf Zeit Online sinngemäss gesagt: «Ticketverkauf ist ja eine relativ demokratische Veranstaltung: Wer keinen Bock auf mich hat, wird sich kein Ticket kaufen.» Übertragen auf diese Verkostung: Die Cuvées aus Chardonnay und Grauburgunder/ Weissburgunder sind sehr demokratische Weine. Viele von Ihnen sind gemacht für ein grosses und breites Publikum, das im Hier und Jetzt verzückt werden möchte; das sich freut am dichten Schmelz, an Wucht und an Birnenfrucht. Weniger im Fokus: der Weinnerd, der sehnsuchtsvoll nach dem neuesten Kick wartet. Das ist gut so. Schliesslich beginnt die Reise ins gelobte Weinland oft bei diesen vermeintlich «kleineren» Einstiegsweinen, die grossen Spass bereiten und gleichzeitig genug Mysterium in sich tragen, das ein Neugieriger mit der Zeit entschlüsseln möchte. Ja, weisse Burgunder-Cuvées sind perfekte Einstiegsweine, und die besten von ihnen bergen enorm viel Mysteriöses in sich. Da möchte man mehr davon verstehen. Ausserdem müssen die Erzeuger die Mengen an Trauben, die Jahr für Jahr auf den Lagen gedeihen, irgendwie verarbeiten und verkaufen. Ein dritter, vierter, gar fünfter (Grau-/Weiss-)Burgunder im Sortiment? Lieber nicht. Dann was anderes und vor allem: etwas, was vielen Menschen schmeckt. Zurück zu Atze Schröder. Mit seinem Ticketverkauf-Satz wird er auch viele klassische Kabarett-Gänger gemeint haben, die bei dem Word «Comedian» grundsätzlich aussteigen. Obwohl diese sich dann oft beim abendlichen Zappen dabei erwischen, wie sie bei dieser Proll-Kunstfigur aus dem Ruhrgebiet auf RTL hängen bleiben.

«Ketzerisch gesagt: Der Erfolg der weissen Burgundersorten liegt in ihrer Austauschbarkeit begründet.»

Harald Scholl VINUM-Chefredakteur Deutschland

Die weissen Burgundersorten sind beliebt. Die Rebflächen für Weissburgunder, Grauburgunder und Chardonnay wachsen in Deutschland kontinuierlich, die Weine – ob sortenrein oder als Cuvées ausgebaut – verkaufen sich wie warme Semmeln. Warum das so ist, zeigte sich in diesem gross angelegten Tasting. In weiten Teilen verkosteten wir gefällige Weine, die zu vielen Anlässen passen, bei fast allen Speisebegleitungen funktionieren, mehr oder weniger jeden Weintrinker zufrieden stellen. Gerade Gastronomen dürften sich darüber freuen, denn mit diesen Weinen bewegt man sich im ungefährlichen Mittelfeld. Everybody’s. darling. Das ist aber das Problem. Das Besondere, das Überraschende, das Erstaunliche, das Erschreckende, das bleibt auf der Strecke. Die beiden anderen gefragten weissen Rebsorten in Deutschland – Riesling und Silvaner – sind dazu geeignet, den Boden, auf dem sie wachsen, die Handschrift des Winzers, kurz: das Terroir, in deutlicher Art wiederzugeben. Das gilt im Prinzip auch für Weissburgunder, Grauburgunder oder Chardonnay. Allerdings mit einem grossem «Aber!», denn um aus ihnen strahlende, überragende Weine zu gewinnen, muss man auch sie auf die passenden Böden stellen. Was offensichtlich nicht immer der Fall ist. Wo immer zum Beispiel die Rebsorte Chardonnay auf Muschelkalk steht – und einen mutigen wie kenntnisreichen Winzer findet –, können messerscharfe und präzise Weine entstehen, die auch international keinen Vergleich scheuen müssen. Solche Weine finden sich in diesem Guide. Aber auf der anderen Seite scheint es immer noch der Fall zu sein, dass die Mehrzahl der weissen Burgunder nicht in den idealsten Lagen steht. Und deshalb in wohliger Mittelmässigkeit stecken bleibt.

Die Verkostung

Alle Weine wurden bei Erzeugern in Deutschland, Österreich und der Schweiz angefordert. Harald Scholl und Miguel Zamorano verkosteten die Weine alle verdeckt im Februar 2023 in den Räumlichkeiten der VINUM-Redaktion in Zürich.