Auf den Spuren von 8000 Jahren Weingeschichte
Wineguide Georgien: Orange-Wein ganz authentisch
Degustation: Thomas Vaterlaus, Miguel Zamorano; Text: Miguel Zamorano
In Qvevri ausgebaute Weine haben in der alten Welt in den vergangenen Jahren immer wieder für viel Aufsehen gesorgt. Der Clou: einfach eine Tonamphore bis zum Hals in der Erde begraben, den Wein dort komplett fermentieren und dann erstmal nichts tun. Auf dem Gebiet des heutigen Georgiens wurde diese Technik bereits vor 8000 Jahren angewendet. Sie wurde später zahlreich kopiert, von den Phöniziern, den Griechen und den Römern. In der Sowjetunion wurden die georgischen Weine mit Restsüsse viel und gerne getrunken; ein russischer Importstopp zwischen 2006 und 2013 zwang die Weinmacher dazu, neue, ferne Märkte zu erschliessen.
Heute noch wenden die Weinmacher die alte Methode an, sie verarbeiten die nicht entrappten Trauben. Nach der Pressung werden Maische und Stiele im eigenen Saft in den bis zu 1500 Liter fassenden Qvevris zunächst drei Wochen offen vergoren. In der Zeit rührt der Kellermeister die Maische nur zweimal um. Nach dieser Zeit wechselt das Vergorene bis zu vier Mal die Qvevri, und erst nach einer Maischestandzeit von etwa sechs Monaten trennt der Kellermeister die Stiele von der Maische. Mittlerweile nennen die Georgier diese Orange-Wein-Machart ganz offiziell: Amber-Weine. Nach dieser Verkostung behaupten wir, dass besonders die Orange-Weine in dieser Probe die sicher spannendsten Vertreter Georgiens sind. Da schlummert im Glas eine frische Struktur, gepaart mit Gerbstoffgrip und viel Kraft, was man so von konventionell gemachten Weinen nicht kennt. Erdig sind diese Weine, bereits jung mit einem wunderbaren komplexen Aromenkorsett bekleidet, das enorme Entdeckungsfreude voraussetzt und den Wein-Abenteurer dann reich belohnt.
Resultate, Analysen, Statements
«Das Niveau der Qvevri-Weine ist hoch wie nie zuvor, das gilt besonders für die Gewächse aus weissen Sorten.»
Thomas Vaterlaus VINUM-Chefredaktor
Die nur noch wenigen Amphoren-Handwerker in Georgien können sich vor Aufträgen kaum retten. Naturwein-Macher aus aller Welt schwören auf die extrem dünnwandigen Qvevris. Damit das komplexe Handwerkswissen nicht verloren geht, wurde in Kachetien gar eigens eine Qvevri-Akademie gegründet. Doch wer sich mit der völlig eigenständigen georgischen Weinkultur befasst, merkt schnell: Nichts schmeckt so gut, wie wenn georgische Trauben aus autochthonen georgischen Sorten in georgischen Qvevris vinifiziert werden. Dabei agieren die Winzer zunehmend kreativ. «Qvevri light» umschreibt etwa ein Konzept, bei der die Trauben weniger lang und manchmal auch entrappt in den Amphoren liegen und der Wein danach zusätzlich in Stahltanks oder Eichenholzfässern ausgebaut wird. Diese VINUM-Verkostung bestätigt meine Erkenntnisse von früheren Degustationen, wie zum Beispiel von einer Georgien-Reise im Jahr 2016. Das generelle Qualitätsniveau ist so hoch wie noch nie zuvor, doch die weissen Orange- oder Amber-Weine begeistern dabei ganz besonders. Was aus weissen Sorten wie Rkatsiteli, Chinuri oder Mtsvane in die Flaschen kommt, ist schlicht und einfach Weltklasse. Die Weine haben im besten Falle die Finesse eines grossen Chablis, gleichzeitig aber eine unvergleichliche aromatische Komplexität, die an Feuerstein, Nüsse, Wiesenkräuter, Wachs und vieles mehr erinnert. Leider kann man sich die komplexen georgischen Namen der Sorten und der Subregionen nur schwer merken, doch das macht nichts, denn die umtriebigen georgischen Sommeliers, Weinhändler und Journalisten verhelfen einem gerne stets von Neuem wieder zum Glück im Glas.
«Georgischer Wein lädt ein zum spannenden Abenteuer – zur Erweiterung des eigenen Rebsorten-Horizonts.»
Miguel Zamorano Redaktion VINUM
Wenn man so will, waren die ersten Weinmacher auf dem heutigen Gebiet Georgiens nicht nur die ersten Meister ihres Faches, sondern auch: die ersten Hipster im Weinberg. Anders kann man das aus heutiger Sicht nicht beurteilen. Sie haben alles in dem eigenen Saft vergoren, mit Stiel und Beerenhaut, mit rebbergeigenen Hefen. Komplett vergoren und ausgebaut in Ton-Amphoren, abgefüllt ohne Filterung. Vor 8000 Jahren, als vermutlich der Rest der Welt sich nur an liegengebliebenem Fallobst erfreuen durfte... Das ist natürlich etwas zu kurz gedacht. Heute noch sind die Weine aus Georgien ein wahre Entdeckung für alle diejenigen, die den eigenen Rebsorten-Horizont erweitern wollen. Und zwar um authentische und charaktervolle Rebsäfte, die besonders als Orange- oder Amber-Weine den Geniessenden in neue Dimensionen führen.
Wie soll es auch anders sein. Nur ein Abend mit georgischen Spezialitäten auf dem Tisch reicht, um zu verstehen, dass dieses kleine Land am Kaukasus wie vermutlich kein zweites den fliessenden Übergang zwischen asiatischer und europäischer Genusskultur verkörpert. Da werden dumplingartige Teigtaschen serviert, die an das ferne China erinnern oder runde Fladenbrote mit Käse, die man leicht abgewandelt schon mal auf den Märkten in Jerusalem gegessen hat. Die Weine fügen sich da wie ein weiteres Puzzleteil ein in ein buntes, fein verwobenes Ornament, reich und ausgefallen verziert. Man hat Saperavi und Rkatsiteli im Glas und spürt eine Verbindung zu den ersten Menschen, die Wein getrunken haben. Wie bei einem altsprachlichen Forscher, der einen lang verschollenen Text entziffert und versteht. Es ist ein Abenteuer voller Entdeckungsemotionen.
Top 5 der Verkostung
Rang | Beschreibung | |
---|---|---|
1 | 18,5/ 20 Punkte | Kakhetien, Georgien Alaverdi Monastery Cellar |
2 | 18,0/ 20 Punkte | Kakhetien, Georgien Tchotiashvili Vineyards |
3 | 18,0/ 20 Punkte | Kakhetien, Georgien Tchotiashvili Vineyards |
4 | 18,0/ 20 Punkte | Kakhetien, Georgien Tsinandli Estate |
5 | 18,0/ 20 Punkte | Kakhetien, Georgien Mildiani Family Winery |
Die Verkostung
Die Verkostung fand am 24. Februar 2022 statt und wurde von der Zürcher Weinhandlung Geohaus organisiert, die alle Weine zur Verfügung stellte. Thomas Vaterlaus und Miguel Zamorano probierten die Muster bedeckt. Um die offizielle georgische Benennung für Orange-Weine aufzugreifen, werden solche Erzeugnisse im Guide als Amber-Weine bezeichnet.