Sauer macht lustig
Seitensprung-Guide: Sauerbiere aus CH – BE – DE
Verkostung: Ulrike Palmer & Harald Scholl; Text: Harald Scholl, Fotos: VINUM
Vielleicht liegt es an der wenig schmeichelhaften Metapher «wie Sauerbier anbieten», dass sich nur Spezialisten mit diesem Bier befassen. Oder eben Belgier, was fast auf dasselbe hinauskommt. Bei ihnen geniesst Sauerbier allerhöchste Wertschätzung. In Deutschland und der Schweiz versuchen sich dagegen nur wenige Freaks daran. Dabei sind Sauerbiere eine interessante Erweiterung des Geschmackssensoriums.
Es lebe die Herausforderung! Denn genau das war dieser Seitensprung: eine ungewohnte, überraschende und teilweise fordernde Verkostung. Sauerbiere stellen mit ihrer wirklich sauren Art, den wilden Aromen und dem völligen Verzicht auf Filtration die gewohnten Geschmacksmuster des Weintrinkers auf die Probe. Zumal die getroffene Auswahl viele unterschiedliche Stile innerhalb der Gruppe der Sauerbiere darstellte. Dunkle und helle Sorten, reinsortige Jahrgänge, Jahrgangscuveés, mit oder ohne Frucht… das ist ganz sicher ein Teil der Faszination Sauerbier: Die Fülle an Stilen und Möglichkeiten ist enorm, es gibt kaum zwei Biere, die exakt gleich hergestellt wurden. Das macht es für den Einsteiger ins Thema nicht ganz einfach, den Überblick zu behalten, ambesten, man hält sich hier an das bekannte Motto vom Altmeister der Weinkritik, Hugh Johnson, der den Weg zum Kenner folgendermassen beschrieb:«Trinken, trinken, trinken.»
Die auf den ersten Blick verwirrende Vielfalt hat einfache Hintergründe. Auch hier hilft der Blick in die Weinwelt bei der Einordnung. Jeder Winzer und jede Winzerin wird auf Anfrage bestätigen, dass sein oder ihr Wein in erster Linie im Weinberg entsteht, bei der Pflege des Bodens beginnend, dem richtigen Schnitt der Reben, der Arbeit am Blattwerk und natürlich der Ernte. Im Keller wird der Wein nur noch begleitet, was natürlich auch eine leichte Untertreibung ist, aber dennoch den Kern trifft. Beim Bier – und speziell beim Sauerbier – ist das völlig anders. Hier entstehen Geschmack, Stil, Aroma, also praktisch alle relevanten Genussparameter, ausschliesslich im Keller. Die Grundzutaten Wasser, Getreide, Hopfen und gegebenenfalls Obst werden zum weit überwiegenden Teil zugekauft und nicht selber angebaut. Natürlich findet auch hier eine gründliche Qualitätskontrolle statt, und einige Brauer werden mit dem Getreide- beziehungsweise Hopfenproduzenten auch enge Verbindung halten. Aber säend und erntend auf dem Acker wird man Brauer nicht antreffen. Und dennoch: Die besten Sauerbiere reifen ganz vortrefflich über Jahrzehnte, auf diversen Flaschen finden sich entsprechende Angaben. Wie gesagt: eine herausfordernde Verkostung - und eine überraschende!