Das Beste vom Markt: Chardonnay aus Übersee
Chardonnay is not passé
Degustation und Text: Carsten Henn, Foto: gettyimages.ch/Aleh Varanishcha
In der «Neuen Welt» wurde die Chardonnay-Rebe zum internationalen Superstar. Dort steht sie fast überall in den Weinbergen, ist «Everybody’s Darling» bei Winzern und Weingeniessern. Für viele ist sie aber auch «Everybody’s Depp». Wie unsere Probe zeigt: zu Unrecht.
Chardonnay ist mit nahezu 200 000 Hektar Fläche die weltweit zweitmeist angebaute weisse Rebsorte – und das obwohl viele Weinfreaks über sie die Nase rümpfen. Damit ist sie ein bisschen die Helene Fischer der Weinwelt – offiziell hört sie keiner, trotzdem verkauft sie LKW-Ladungen an CDs. Wobei man natürlich differenzieren muss: Burgunder aus der Bourgogne genossen immer Respekt, «Chardonnay aus der Neuen Welt» klingt für manchen Weingeniesser dagegen mehr wie eine Drohung als wie eine Verlockung. Die neuseeländischen Chardonnays in unserer Probe hielten den Blick fest aufs Burgund gerichtet. Der Village von Kumeo River ist nicht nur ein «Best Buy», sondern zu dem Preis eigentlich ein «Must Buy». So viel Chardonnay-Klasse muss man im Burgund für so wenig Geld lange suchen. Der Chardonnay von Dog Point Vineyard kostet mehr, doch legt er auch eine Schippe in Sachen Komplexität drauf. Der Wild Yeast Chardonnay von Springfield Estate in Südafrika ist zwar nicht die Spitzenlinie, doch er zeigt, wie in wirklich guten Gütern auch die kleineren Qualitäten ausfallen. In Südafrika scheint der französische Stil mit viel Frische und wenig Alkohol sogar noch flächendeckender zu sein als in Neuseeland. Auch in Australien gibt es Regionen wie das kühle Clare Valley, die auf Frische setzen und trotzdem die Kraft und Reife der «Neuen Welt» beibehalten. Diese Weine vereinen regionale Typizität mit Trinkigkeit. Vieles von dem, was aus den USA, Chile oder Argentinien nach Deutschland kommt, setzt dagegen weiterhin auf einen buttrig-cremigen Weintyp, der gerne auch prägnante Vanille-Noten vom Holzeinsatz haben darf. Aber selbst diese Chardonnays sind längst nicht mehr so schwer und massiv wie in früherer Zeit – in denen die Weine wirkten, als habe sie ein Schreiner zusammen mit einer Molkerei vinifiziert.
Zahlen und Fakten
Kalifornien ist nach Frankreich Spitzenreiter in Sachen Chardonnay mit 38 555 Hektar, gefolgt von Australien mit rund 28 000. In Südamerika sind rund 20 000 Hektar mit der Sorte bepflanzt. Weit weniger Chardonnay wird in Südafrika (8300 Hektar) und Neuseeland (3200 Hektar) angebaut. Obwohl von diesen Ländern die spannendsten Weine unserer Probe stammen. In den 1990er wurde in Neuseeland viel Chardonnay gepflanzt, doch nach wie vor regiert dort Lokalmatador Sauvignon Blanc die Weissweinwelt.
Wahlverwandtschaften
Obwohl Chardonnay ursprünglich auch als Gelber Pinot bekannt war, ist er kein Mitglied der Pinot-Familie. Denn anders als Frühburgunder, St. Laurent, Samtrot, Pinot Liébault, Weiss- und Grauburgunder ist er keine Mutation von Pinot Noir oder Pinot Meunier, sondern entstammt wie der Auxerrois einer Liaison mit der Heunisch-Rebe, die bis Mitte des 19. Jahrhunderts die wichtigste weisse Sorte in Mitteleuropa war. Über hundert der heute bekannten Rebsorten stammen von ihr ab. Darunter auch die Riesling-Rebe.