WEINSZENE PARIS
SCHÖNER SAUFEN #04
Text: Birte Jantzen, Aaron Ayscough und Dominik Vombach, Fotos: Julien Pebrel
Paris, mon amour! Die Stadt der Lichter konnte sich noch nie über ihre Weinszene beklagen. Während sie lange Zeit als etwas verstaubt galt, avanciert sie seit Jahren zum Mekka für Naturwein und authentische, urfranzösische Weinhändler und Weinbars.
Die französische Hauptstadt hatte schon immer einen guten Ruf unter Weinliebhabern. Hier betrank sich in alten Zeiten Proust mit Moselwein und Hemingway mit Beaujolais. Lange galt die Stadt der Lichter daher als zeitlos oder auch stagnierend. Das ist nun passé. Die Pariser Weinszene ist so lebendig wie nie. Gefühlt gibt es heute mehr Weinbars als Tauben.
Le Baron Rouge: Zum Abheben unkompliziert
Nach einem Streifzug über den Marché d’Aligre, den feinsten Wochenmarkt von Paris, lechzt man förmlich nach einer Erfrischung. Da kommt die kleine Weinbar «Le Baron Rouge» direkt um die Ecke ganz gelegen. Vor der stets weit geöffneten Tür tummelt sich bunt gemischtes Publikum auf dem Bürgersteig. Kaum hat man die Schwelle der kleinen und etwas altmodischen Bar überschritten, erfasst einen diese entspannte, stets gut gelaunte Atmosphäre. Eine alte, hölzerne Weinpresse dient als runder Tisch, und links an der Wand stapeln sich kleine, gefüllte Holzfässer. Alles wirkt angenehm schlicht, und wie immer ist die Bar voll besetzt. Einer der letzten Orte in Paris, wo man noch – so wie früher – Wein selber abfüllen und mit nach Hause nehmen kann.
Sébastien Galic leitet den Laden nun schon seit neun Jahren. Er steht selbst hinter der Theke und serviert süffige und unkomplizierte Weine aus allen Regionen Frankreichs. Die Weinkarte, handgeschrieben auf alten Schiefertafeln, erstaunt mit Preisen, die für Pariser Verhältnisse unglaublich demokratisch sind: von 1,50 Euro bis maximal 4 Euro das Glas. Die teuerste Flasche hier ist ein Champagner für nur 40 Euro. Dazu bekommt man von September bis April frische Austern und das ganze Jahr über leckeren Käse und französische Charcuterie serviert. Alles direkt vom Produzenten. Authentisch, schmackhaft und – so wie Sébastien – ganz ohne Chichi. Deshalb treffen sich hier die Nachbarn aus der Umgebung, Studenten, Künstler, Geschäftsführer und auch Touristen. Es wird viel diskutiert, so wie es in Frankreich üblich ist – man sollte Zeit mitbringen.
Repaire de Cartouche Bar à Vin: Gegen den Trend
Rodolphe Paquin, der Besitzer des «Repaire de Cartouche», ist ein lustiger, trinkfester Riese mit weisser Mähne. Vor knapp 18 Jahren begann er, Naturweine zu kaufen und einzulagern, was ihn heute zum Kurator des wohl umfangreichsten Angebots in Paris macht. «Ich fing nicht an, Naturweine zu kaufen, weil es modern war, sie schmeckten einfach gut», erklärt er und ergänzt: «Winzer wie Marcel Lapierre, Gramenon und Overnoy machten mich förmlich süchtig danach.» 17 Jahre lang servierte er in seinem Restaurant traditionelle Hausmannskost, bevor er im letzten Sommer beschloss, etwas Neues zu machen und den unteren Speisesaal umzubauen. «Heute gehen die Leute dort essen, wo die Musik voll aufgedreht und die Lichter ausgeschaltet sind», sagt er. Ein Trend, der ihn vor Rätsel stellt.
Tatsächlich ist das «Repaire de Cartouche» nicht die modernste Bar der Stadt. Es gibt nur sechs Stühle und den ziemlich brummeligen Sommelier Laurent. Paquin serviert traditionelle Apéro-Küche: Wurst, Schinken, Meeresschnecken und seine berühmten Pasteten. Wenig attraktiv für das jüngere, schicke Klientel aus dem nahe gelegenen Marais-Viertel, das sich lieber im «Au Passage» oder in der «Clown Bar» trifft. Bei Paquin treffen sich Feinschmecker alter Schule: darunter Köche wie Thierry Breton vom «Chez Michel» oder der einflussreiche Naturweinliebhaber und Punk-Musiker François Hadji-Lazaro.
Willi’s Wine Bar: The Swinging Basset
Hinter der unauffälligen, dunkelblauen Tür im historischen Teil von Paris verbirgt sich ein postmoderner Klassiker: «Willi’s Wine Bar». Seit 35 Jahren gehört sie zu den besten Adressen in Paris gleich neben dem Palais Royal. Früher war hier ein Gayclub, bis der Brite Mark Williamson 1980 den Club kaufte und ihn zu einer Bar umbaute. Die vereint seitdem individuelle Weine und schmackhafte Küche unter einem Dach. «Dank meinem Vater und Grossvater habe ich schon früh meine Liebe für Wein und Kochen entdeckt», sagt er mit seinem charmanten britischen Akzent. Weine sucht und findet Williamson abseits bekannter Wege, er ist für seine Spürnase bekannt. An den weissen Wänden hängen die kultigen Werbeplakate von «Willi’s», die jedes Jahr in Zusammenarbeit mit einem anderen Künstler entworfen werden.
Die geschwungene Holztheke lädt ein, bei einem Gläschen zu verweilen, zum Essen geht es dann an die Bistrotische. Und falls es ein ganz besonderer Abend werden soll, kann man nebenan im «Macéo» dinieren. Williamson verwandelte das ehemalige Luxusbordell mit seinen wunderschönen Stuckdecken in ein Luxusrestaurant, dessen Weinkarte mit einem hervorragenden Preis-Leistungs-Verhältnis lockt. Während wir mit ihm plaudern, fällt unser Blick auf einen Châteauneuf-du-Pape der winzigen Domaine du Banneret – eine echte Rarität. Williamson hat eben Geschmack, was er schon 1976 beim Judgement of Paris gemeinsam mit seinem Freund Steven Spurrier bewies. Diese legendäre Blindprobe sorgte für Furore, weil die Höchstnoten überraschenderweise kalifornische und nicht französische Weine einheimsten.
Crus et Découvertes: Das Kuriositätenkabinett
Der tiefenentspannte Inhaber des Crus et Découvertes Mikael Lemasle war in seinem früheren Leben Weinvertreter. «Irgendwann konnte ich die Weine, die ich verkaufte, nicht mehr trinken», erinnerter sich, auf einem Stapel Weinkisten thronend. Also eröffnete er seine eigene Weinbar in der Rue Paul Bert und baute bald eine einfache Theke in den beengten Laden, wo er Freunde bewirtete. Vor etwa zwölf Jahren, nach einer langen Nacht mit den Loire-Winzern Olivier Cousin und Patrick Desplats, erwachte sein Interesse an wenig geschwefeltem Wein. Seitdem entwickelte sich sein Laden zur Schaltstelle für Naturweine in Paris.
Jeder Zentimeter der klapprigen Bar ist mit Flaschen vollgestellt. Darunter zig alte Jahrgänge aus den Tiefen seiner zwei Keller. Manchmal werden die Weine absichtlich zurückgehalten – wie ein 2006er Anjou Chenin von Jean-Christophe Garnier, der auch nach neun Jahren vor Saft und Lebendigkeit strotzt. «Ich verkaufe ungerne Sachen, die noch nicht fertig sind», erklärt Lemasle. Damit zählt sein Laden zu den Kuriositäten der Stadt, denn es gibt in Paris kaum Händler, die es sich leisten, Naturweine reifen zu lassen. Sie verkaufen sich zu gut, und die Steuern auf Lagerbestände sind schlichtweg zu hoch.
La Buvette: Gute Nachbarschaft
Das «La Buvette» ist eine kleine, schnuckelige Weinbar, die offiziell keine sein darf. Camille Fourmont, gab vor etwa zwei Jahren ihren Job als Barmanagerin von Inaki Aizpitartes «Le Dauphin» auf. Sie wollte etwas Eigenes erschaffen. «Wenn du deinen Job als Berufung siehst, wirst du irgendwann selbstständig», erzählt sie grinsend. Das kleine Ladenlokal in der Rue Saint-Maur, das heute das «La Buvette» beheimatet, hatte sie schon lange im Auge. «Ein klassischer Weinhandel nach dem Motto ‹rein, Flasche kaufen, raus› kam für mich nicht in Frage. Ich wollte einen Ort schaffen, an dem ich mit den Menschen etwas Zeit verbringen kann», erklärt sie. Auf eine Flasche Vin Naturel bei Camille – genau so fühlt sich das «La Buvette» heute auch an. Die Menschen hier an der Theke und auf den wenigen Stühlen kennen sich, kommen offenbar regelmässig und halten bei einem Gläschen einen kurzen Schwatz. Bunt gemischtes Publikum, wie man es im hippen elften Arrondissement erwartet.
Einige Zeit lang wurde das «La Buvette» von den Pariser Hipstern belagert, aber die sind längst weiter gezogen. Weil der Vermieter keine Weinbar in seinem Haus möchte, ist das «La Buvette» so etwas wie ein Weinladen, in dem man Flaschen öffnen und leeren darf, dazu aber etwas Kleines essen muss. Camille serviert ausschliesslich Naturweine oder befreite Weine, wie es ein Gast wunderbar formulierte. Und dazu reicht sie immer wieder wechselnde Speisen im Tapasstil. Die hausgemachte Terrine darf niemand verpassen. Ob Wein oder Essen, Camille sieht sich als Vermittlerin zwischen Produzenten und Konsumenten. «Ich will die guten Sachen mit immer mehr Menschen teilen. Das ist mein Job. Deshalb ist es mir auch wichtig, dass die Gäste die Produkte in ihrer Umgebung finden und kaufen können», sagt sie. Man könnte das «La Buvette» durchaus mit einem guten Plattenladen vergleichen: Er ist nie leer, die Besucher sind meist nett, und man geht niemals ohne ein gutes Gespräch oder eine interessante Entdeckung nach Hause.
Septime: Selbsthilfe
Wartelisten sind mühsam, aber manchmal lohnt es sich zu warten. Beispielsweise, wenn es um einen Tisch im «Septime» geht. Den muss man etwa drei Wochen vorher reservieren. Das ist selbst in Paris eine lange Zeit. Wenn wir aber die strahlenden Mittvierziger am Tisch vor uns beobachten, wird die Wartezeit zum Klacks. Alle drei begutachten den Teller vor sich und wirken wie kleine Jungs, die das richtige Geschenk zu Weihnachten erhalten haben. Seit 2013 zählt das «Septime»zu den hundert besten Restaurants weltweit. Zwei Jahre zuvor verwirklichten sich Koch Bertrand Grébaut und Sommelier Théo Pourriat ihren Traum vom eigenen Restaurant. Beide sind seit etwa 15 Jahren befreundet und hegten immer den Wunsch, gemeinsam etwas Bleibendes zu kreieren. «Wir wollten kein klassisches Restaurant mit all seinen Ritualen und auch kein Bistro. Jetzt sind wir irgendwo zwischendrin», erzählt Pourriat. Hilfe zur Selbsthilfe könnte man das nennen. 2011 war dieses Mischkonzept neu, das hatte in Paris noch niemand gewagt.
Prunk sucht man im «Septime» vergebens. Alles wirkt gekonnt reduziert und einfach, sogar das in blaue unspektakuläre Schürzen gekleidete Servicepersonal. Grébauts Gerichte sind leicht und unkompliziert, er verwendet viele Produkte aus der Umgebung, beispielsweise von der nahegelegenen Île de France. Dazu harmonieren frische, trinkige Weine am besten, findet Pourriat, weshalb auch viele Natur- und Orangeweine von hervorragenden europäischen Produzenten auf der Karte stehen. «Wir haben aber keine Terroiristen-Weinkarte, ausschliesslich ohne SO2 oder so etwas», betont er. Die Neugier der Gäste versteht er als grossen Vorteil, denn die lässt ihm freie Hand bei der Weinauswahl. Nur etwa ein Jahr nach dem «Septime» eröffneten Grébaut und Pourriat ein paar Häuser weiter einen eigenen Weinladen namens Septime La Cave. Ein Ort, an dem es sich sehr gut bei einem maischevergorenen Frizzante von Croci warten lässt, bis wir endlich den reservierten Tisch im «Septime» in Beschlag nehmen können.
Die besten Weinlokale in Paris
Le Baron Rouge
1 Rue Théophile Roussel | F-75012 Paris
Tel. +33 (0)1 43 43 14 32
Sébastien Galic hegt im «Le Baron Rouge» ein Stück französischer Kultur: herzlich, lebhaft, ursprünglich und schmackhaft. Hier fühlt man sich schnell wie zu Hause, und genau das macht diese kleine Weinbar seit 45 Jahren so beliebt. Sonntagmorgens auf ein Gläschen Muscadet und frische Austern vorbeischauen!
Repaire de Cartouche
8 Bd. des Filles du Calvaire | F-75011 Paris
Tel. +33 (0)1 47 00 25 86
Ein kleines Juwel, das sich von den vielen, belanglosen Bars in der Umgebung abhebt. Benannt wurde das «Repaire de Cartouche» nach einem berühmten Banditen aus dem 18. Jahrhundert. Inhaber Rodolphe Paquin ist bekannt für seine leckeren Terrinen und eine der besten Weinkarten für Naturweine in Paris.
Willi’s Wine Bar
13 Rue des Petits Champs | F-75001 Paris
Hier trifft Klasse auf Understatement. Mark Williamson, Brite mit viel Gefühl für Küche und Wein, gibt der Weinszene im Herzen von Paris seit 35 Jahren gekonnt internationales Flair. Wer’s mag, kann seine fantastischen Weine auch mit nach Hause nehmen. Der perfekte Ort für einen ausgedehnten Lunch.
Crus et Découverts
7 Rue Paul Bert | F-75011 Paris
Tel. +33 (0)1 43 71 56 79
Mikael Lemasles Vinothek Crus et Découverts liegt mitten in einem kulinarischen Paradies. Die Rue Paul Bert beheimatet renommierte Restaurants und Lemasles Weinladen, einen absoluten Geheimtipp. In der französischen Hauptstadt gibt es keine spannendere und günstigere Auswahl an Naturweinen.
La Buvette
67 Rue Saint-Maur | F-75011 Paris
Tel. +33 (0)9 83 56 94 11
Kleines Bijou zwischen Weinladen und Weinbar im elften Arrondissement, das genauso gemütlich ist wie das eigene Wohnzimmer. Camille Fourmont serviert authentische Snacks wie Terrinen, Wurstwaren oder Sardinen. Dazu kann man einen Wein aus dem kleinen, aber feinen Naturweinangebot geniessen.
Septime
80 Rue de Charonne | F-75011 Paris
International gefeierte Adresse von Koch Bertrand Grébaut und seinem kongenialen Partner, dem Sommelier Théo Pourriat. Reduzierte, aber raffinierte Küche trifft eine innovative, natürliche Weinauswahl. Unbedingt einige Wochen vorher reservieren und die zugehörige Weinbar Septime La Cave besuchen.