Die einen pilgern mit der grossen Herde nach Santiago de Compostela in der Hoffnung auf Inspiration. Andere radeln nach Bordeaux und gehen vor dem komischen Türmchen von Château Latour in die Knie. Wieder andere verlieben sich irgendwann in Vulkanweine und kommen ein Leben lang nie mehr von der salzigen Kraft und Klarheit dieser magischen Crus los. Hier beleuchten wir die radikalsten Vulkan-Terroirs Europas. In Santorini und Lanzarote wurzeln die Stöcke in puren schwarzen vulkanischen Aschen. Und der Ätna spuckt noch immer regelmässig Lava aus, die in ein paar hundert Jahren vielleicht zu Grand-Cru-Terroir werden wird.
Santorini
Alle 20'000 Jahre ist in Santorini mit einem Vulkanausbruch zu rechnen. Möglich, dass die Insel in 5000 Jahren oder so untergeht. Bis dahin sagen wir: «Yamas!»
«Santorini ist das schönste Pulverfass der Welt», sagt Weinbaupionier Paris Sigalas und schaut hinaus ins endlose Blau des Ägäischen Meeres. Recht hat er, zumindest dann, wenn die Idylle nicht gerade mal wieder getrübt wird durch die Ankunft einiger Kreuzfahrtschiffe, die ihre tausenden von Passagieren wie Heuschrecken-Schwärme auf die Insel ausspucken. Ganz abgesehen von den vielen Chinesen, die zum Heiraten hierherkommen. Ja, man hätte sich während der Covid-19-Krise für ein paar Monate ein Apartment in Santorini mieten müssen, mit Ausblick auf die Caldera, den einstigen Kraterrand, der heute diese Inselgruppe bildet. Man wäre fast allein gewesen mit sich und dieser atemberaubend schönen Insel-Landschaft, wo die Sorte Assyrtiko so unnachahmlich vibrierende Weine ergibt. Und abends, mit einem Cru von Sigalas oder Argyros zu einem klassischen Gericht der Insel, etwa einem Fava-Gericht, einem Püree aus hiesigen Platterbsen mit geschützter Ursprungsbezeichnung, verfeinert mit Tomaten, Kapern und Olivenöl, wäre das mediterrane Leben schlicht perfekt gewesen.
Zahlen und Fakten
SantoriniAnbaugebiet: hauptsächlich im Zentrum der Insel sowie nordöstlich von Oia und auf der Nebeninsel Thirassia
Rebfläche: rund 1000 Hektar
Produzenten: ca. 20 Abfüller
Wichtigste Rebsorten: Assyrtiko, Athiri und Aidani (alle weiss) sowie Mavrotagano (rot)
Der letzte grosse Vulkanausbrauch soll hier mutmasslich im Jahr 1628 vor Christus stattgefunden haben. Die Eruption war so gewaltig, dass sich sogar im fernen Irland die Sonne verdunkelte. Und ganz Europa litt in den folgenden Jahren unter Missernten. Der Vulkanausbruch hat aber auch den einzigartigen kargen Boden geschaffen, in den die Assyrtiko-Reben wurzeln. Trocken im Stahltank ausgebaut, ergibt die Sorte ungemein mineralisch gradlinige Weine. Trocken im Barrique vinifiziert und auf der Hefe ausgebaut, entstehen zuweilen Crus mit dem reichen Charme eines weissen Châteauneuf-du-Pape. Und wenn die Trauben in der Sonne zu Rosinen eintrocknen und der daraus gepresste, dickflüssige Nektar in Holzfässern vergoren und jahrelang ausgebaut wird, entsteht der Vinsanto V.Q.P.R.D, ein monumentaler, mediterran-sinnlicher Süsswein. Das ist die Heilige Dreifaltigkeit des Assyrtiko in Santorini. Paris Sigalas widerstand dem Ruf dieser aussergewöhnlichen Rebsorte zuerst hartnäckig. Nach seinem Mathematik-Studium in Piräus ging er 1969 in die Stadt, deren Namen er als Vornamen trägt, und erlebte dort die Nachwehen des grossen 68er-Aufstandes. Doch 1991 liess sich der damals 47-jährige Lehrer nach Santorini versetzen und führte nebst dem Unterricht die Weinbautradition seiner Familie fort. 2003 wurde er «vollberuflicher» Winzer in Oia und kelterte fortan Assyrtiko-Weine mit viel Charakter und Finesse.
Invasion der Festland-Winzer
Der zweite Wegbereiter der Renaissance des Weinbaus in Santorini war Yiannis Paraskevopoulos. Der ist zwar, wie die Insulaner sagen, ein «Festland-Grieche». Doch weil der Önologe mit seinem 1994 mitbegründeten Gaia-Projekt den Anspruch formuliert hatte, mit den besten Terroirs und den besten Sorten in Griechenland zu arbeiten, blieb ihm nichts Anderes übrig, als schnell nach Santorini zu gehen. Hier dauert es zwar normalerweise mindestens ein halbes Leben, bis ein Neuankömmling als Einheimischer gilt, aber Yiannis Paraskevopoulos schaffte es dank seiner Liebe zum Assyrtiko etwas schneller. Heute produziert er in einer ehemaligen Tomatenmarkfabrik beim Flughafen eine Reihe von ausgesprochen gut komponierten, frischen und auf Primärfrucht getrimmten Assyrtikos, beispielsweise den Thalassitis. «Ich kam 1994 mit viel Enthusiasmus und ohne Geld nach Santorini. Und ich wäre hier grandios gescheitert, wenn mir die alteingesessene Winzerfamilie Argyros nicht geholfen hätte», erinnert sich Paraskevopoulos. Die Familie Argyros, heute in vierter Generation vertreten von Matthew Argyros, spielt klar die Hauptrolle in der Santorini-Weinszene und bewirtschaftet inzwischen 120 Hektar, darunter Parzellen mit bis zu 150-jährigen Stöcken. Ihr spektakulärer, 2015 realisierter Kellerneubau in Episkapi gilt als das sichtbarste Zeichen für den Aufschwung in der Santorini-Weinszene. Deren Dynamik beruht aber vor allem auf dem Zusammenspiel von hiesigen Winzern mit den grossen Winzer-Protagonisten vom Festland. Das von Yiannis Boutaris gegründete Kir Yianni Estate im hohen Norden Griechenlands hat sich schon vor Jahren an der Domaine Sigalas beteiligt. Und auch die beiden Vorzeige-Winzer Vangelis Gerovassiliou (mit seinem «Mikra Thira»-Projekt) und der sonst vor allem im Peleponnes tätige Yiannis Tselepos produzieren heute Spitzenweine in Santorini.
Trauben im Reben-Nest
Das Bild der saftig grünen Reben auf dunklem Insel-Boden lässt keinen Besucher kalt, so beeindruckend ist das Farbspiel. Sie wurzeln ungepfropft im Vulkanboden, durchsetzt mit Bimsstein und Kalk. Antik, aber ungemein durchdacht ist vor allem das Erziehungssystem. Die Weinreben werden direkt am Boden kreisförmig erzogen, so dass der Stock über die Jahre einen Korb bildet. Im Sommer sehen die Reben wie riesige Vogelnester aus. Während aussen am Korb das Blattwerk spriesst, reifen im Innern die Trauben. Das hat seinen Grund. Denn wenn der Metemi, der kalte Nordwind wütet, würden frei hängende Trauben nicht nur vom Stock weggerissen, sondern die aufgewirbelten Sandkörner würden die Beerenhäute verletzen. In ihren Nestern geborgen, kann der Wind den Trauben nichts anhaben. Nur in windgeschützten Lagen wurden in den letzten Jahren neue Rebgärten im Gobelet- oder Guyot-System angelegt. Obwohl im Sommer kaum Regen fällt, müssen die Reben ohne menschliche Hilfe ihr Überleben sichern. Auf Santorini gibt es nicht mal genug Trinkwasser für die Menschen. Bewässerung ist daher kein Thema. Die Reben decken einen Teil ihres Wasserbedarfs durch die hohe Luftfeuchtigkeit in den Morgenstunden, wenn das Wasser auf den Blättern und dem Boden kondensiert. Angesichts dieser harten Lebensbedingungen ergeben die Assyrtiko-Stöcke nur minimale Erträge zwischen zehn und 50 Hektolitern pro Hektar. Denn das Wenige ist ja von ausserordentlicher Qualität. Wie lange Santorini existieren wird, ist letztlich ungewiss. Alle 20000 Jahre sei mit einer gewaltigen Eruption zu rechnen, meinen Experten. Die letzte fand vor 4000 Jahren statt. Vielleicht wird in 16000 Jahren also die Insel samt ihrer Weinkultur untergehen. Bis dann sagen wir: «Yamas!» (tv)
Ätna
«Der Ätna hat einen unfassbaren energetischen Input. Weine, Foodprodukte und Menschen sprühen vor Vitalität und Lebenslust.»
Zahlen und Fakten
ÄtnaAnbaugebiet: Es gibt 133 Contrade (Lagen) – die besten liegen zwischen 800 und 1000m. Sie befinden sich im Norden, Osten und Süden des Ätnas und umgeben den Berg in Form eines Halbmondes.
Rebfläche: über 1000 Hektar Rebfläche
Produzenten: 370 Weinerzeuger (Abfüller)
Wichtigste Rebsorten: Nerello Mascalese 60% der Rebfläche, Nerello Capuccio 9% (bis zu 20% in der Cuvée erlaubt), Carricante 30%, Chardonnay <0.5%; Cabernet Franc <0.5%; Cesanese <0.5%
Wer die Vulkan-Schuttkegel erkundet, die der Ätna bei seinem Ausbruch von 1981 inmitten der Rebgärten des Winzerstädtchens Randazzo hinterlassen hat, muss Bergschuhe anziehen. Denn die Vulkan-Basaltsteine sind so schroff und kratzig, dass sie einen Stadtschuh innert 60 Minuten ruinieren. «La Montagna» – der aktive Vulkan – hat einen unfassbaren energetischen Input auf die Landschaft. Weine, Foodprodukte und Menschen sprühen vor Vitalität und Lebenslust. Energie und Diversität, bedingt durch die Morphologie der ehemaligen Eruptionen und die Lava-Ströme, machen die Contrade – die Weinbergslagen – so unterschiedlich. Die Böden führen am Ätna Regie. Im Übrigen ist der Ätna auch das älteste DOC-Weinanbaugebiet Italiens (1968). Dazu kommt, dass die Weinbergsböden unterschiedlich alt sind und bis über 1000 Meter über Meer reichen. Am Ätna braucht man immer eine Jacke, sogar im Hochsommer, denn je höher man kommt, desto windiger ist es. Die Weine sind meistens heller in der Farbe, haben eine ausgeprägte Säure und ein feines, definiertes Tannin. Sie sind pfeffrig-pflanzlich und fruchtig, und ja, es schwingt immer eine Salzigkeit mit. Der gefährlichste Vulkan der Welt liegt quasi direkt vor der Haustür der Winzer. Seit 693 vor Christus sind Ausbrüche dokumentiert. Seitdem erschüttern immer wieder neue Eruptionen die Insel, werden Häuser zerstört, der Himmel wird von Aschewolken verdunkelt. Auch in den letzten 40 Jahren ist der Ätna mehrfach ausgebrochen, zuletzt 1981, 2002 und 2019. Mal sind es die über 200 Krater am unteren Bergrand, mal die vier grossen Krater ganz oben. Der Ätna ist unberechenbar. Das «neue Sizilien» am Ätna wird von Weinen geprägt, die ein eigenständiges Aromaprofil haben und nicht so üppig daherkommen. Sie überzeugen mit einer besonderen Textur, präziser Säure und feinsinnigem Tannin. Die besten Lagen liegen im Norden, wo die Böden karg sind, und reichen bis auf 1110Meter über Meer. Die 80- bis 100-jährigen Reben ergeben extrem niedrige Erträge und erfordern aufwendige Handarbeit.
Frank Cornelissen, die VINUM-Winzerlegende vom Ätna (Heft 4/2020), erzählt, dass es jede Woche kleine Beben gibt. Der aus Belgien stammende Ausnahmewinzer spricht fliessend deutsch und zieht jeden in den Bann. Eigentlich sind alle Macher am Ätna explosiv und charismatisch. Das lässt die Vermutung zu, dass das Terroir so besonders energiegebend ist. In Solicchata am Nordhang des Ätna erntet Frank Cornelissen zwischen 650 und 1000 Metern die Trauben aus seinen Juwelen, wie er seine Kleinstparzellen nennt. Er ist der festen Überzeugung, dass den Menschen das Verständnis für die Komplexität des Universums fehlt und dass sie deshalb die Wirkungsweise der Natur und die Faktoren für ihr Gleichgewicht nicht wirklich erfassen können. Er versucht definitiv nicht, den übermächtigen Kräften der Natur das eigene Verständnis aufzuzwingen. Keinerlei Intervention heisst sein Credo… Die Weinbereitung erfolgt in Lavastein eingegrabenen Terrakotta-Amphoren. Neben Nerello Mascalese und Carricante baut er auch vergessene autochthone Rebsorten wie Minnella Bianca oder Nera, Grecanico und Francisi an.
Rom, Bordeaux, Toskana, Ätna
Ja, das Temperament beziehungsweise die Sprengkraft dieses Berges zieht einen besonderen Schlag von Menschen an. Darum kam auch Andrea Franchetti hierher. Er ist ein Macher, logisch. Seine Erfahrungen als Önologe und Agronom in Bordeaux brachte er zunächst in der Toskana zum Ausdruck. Das Weingut Tenuta di Trinoro in der Maremma sorgt seit langem für Aufsehen mit seinen fesselnden Cabernet- Franc-Weinen. Doch dann, im Jahr 2000, zog der Ätna Andrea Fanchetti magisch an. Heute gehört er in der hochgelegenen Gemeinde Passopisciaro zu den naturnah operierenden önologischen Erneuerern. Er hatte Glück und konnte einen 90 Jahre alten Nerello-Weinberg kaufen, daraus kelterte er den ersten Wein: Passopisciaro. Schrittweise kaufte Andrea dann erstklassige weitere Rebberge in fünf sehr unterschiedlichen Gebieten in der Guiardiola-Zone zwischen Randazzo und Castiglione. Die Hauptrebsorte ist Nerello Mascalese, ergänzt mit etwas Chardonnay, Cesanese und Petit Verdot. Die Collezione Contrada dell Etna, vier besondere Selektionen von unterschiedlichen Terroirs, ist seine Visitenkarte.
In der Côte d’Or am Ätna
Seit 1995 kenne ich Marco de Grazia, der in den 90er Jahren die Weinhändler in Deutschland mit italienischen Spitzenweinen versorgte. Der eigenwillige Lockenkopf gründete die Barolo-Boys, und wer sich mit ihm zusammentat, wusste immer, was in Italien gerade angesagt war. Die bizarre Landschaft am Ätna mit den schwarzen Böden faszinierte ihn im Jahr 2002 derart, dass er blieb. Geht man mit Marco durch die Weinberge, ist es eher Klettern. Seine Reben stehen zwischen 600 und 1000 Metern über Meer, je höher, desto steiler und felsiger wird es. Schwarze Böden aus verwitterter Lava überall, selbst die Felsen sind schwarz und seine Lagen nennt Marco – der Burgunderliebhaber – gerne «Crus». Er verglich von Anfang an den Ätna mit Burgund. Die nördlichen Hänge des Ätna rund um Solicchiata und Randazzo nennt er folgerichtig «die Côte d’Or des Ätna». Biologische Bewirtschaftung war für Marco selbstverständlich. So entstehen auch herrlich animierende Weissweine, bezaubernd floral und mit subtilem Feuersteingeschmack. Wooow! So richtig flinky und funky!
Und dann kam Angelo!
Seit 2015 ist auch Angelo Gaja am Ätna aktiv und bewirtschaftet mittlerweile 19 Hektar bis in Höhen von 800 Metern über Meer. Nach dem Generationenwechsel in Barbaresco hat er auf Sizilien mit fast jugendlichem Elan ein Joint Venture mit Alberto Graci gegründet. Und zwar in Belpasso und Biancavilla im Südwesten – also nicht auf der teuren und begehrten Nordseite. Der Ätna wird nicht nur liebevoll «La Montagna» genannt, sondern umgangssprachlich auch «La Signora» = «IDDA». Der Ätna ist die launische Signora der Vulkane. Schnell war der Name für das neueste Projekt der Gajas gefunden. Piemont, Toskana, Ätna – der Ruf als «der Weinmacher» Italiens ist hiermit besiegelt. Und wenn wir eines wissen, dann das: Was Angelo anpackt, gelingt auch! (cs)
Lanzarote
«Es ist nur konsequent, dass das Museum of Modern Arts das Gebiet von La Geria schon in den 60er Jahren zum Gesamtkunstwerk erklärt hat.»
Zahlen und Fakten
LanzeroteAnbaugebiet: Mit Ausnahme von Fuerteventura wird auf den anderen sechs In-seln des Archipels Gran Canaria Weinbau betrieben. Die Rebberge befinden sich zwischen 200 und 1500 Metern über Meer.
Rebfläche: total rund 8000 Hektar mit D.O.-Status
Produzenten: ca. 190 Weinerzeuger (Abfüller)
Wichtigste Rebsorten: Malvasia, Listán Blanco, Moscatel (alle weiss) sowie Listán Negro und Negramoll (beide rot). Total werden rund 80 Sorten kultiviert.
Die erste Bekanntschaft mit Lanzarote fand in einem Windsurfer-Camp an der Ostküste statt. Rund zehn Personen lebten da in den Dünen, schliefen in ihren Zelten und Bussen, trugen Carhartt-Klamotten, die damals noch als hip galten, und tranken unter einer zerfetzten Fahne, die wie blöd im Wind knatterte, abends ihre Biere. Wobei es nach Sonnenuntergang draussen nicht immer wirklich gemütlich war. Zu kräftig bliess der Passat. Beim zweiten Besuch ging es dann um die zweite Naturgewalt, welche die Insel prägt, nämlich die schweren Vulkanausbrüche, von denen jener zwischen 1730 und 1736 in La Geria im Zentrum der Insel den unvergleichlichen Lapilli-Boden, hier Picón genannt, geschaffen hat. Der Picón ist eine bis zu zwei Meter dicke Schicht aus schwarzen Vulkansteinchen, deren Umfang zwischen der Grösse von Linsen und Baumnüssen variiert, teilweise erodieren sie aber auch zu Sand. Hier wachsen die Malvasia- und Listán-Negra-Stöcke in kraterförmigen Vertiefungen. Während wir andernorts, beispielsweise im Chablis, darüber rätseln, ob wir es mit Böden zu tun haben, die nun 140 oder 150 Millionen Jahre alt sind, wachsen die Lanzarote-Crus also in Vintage-Böden, deren Alter sich präzise auf 290Jahre beziffern lässt. Abgesehen vom grünen Blattwerk der Reben, das im Kontrast zu den schwarzen Böden fast kitschig erscheint, gibt es in La Geria bis heute kaum Vegetation.
Wie auf einem fernen Planeten
Es scheint nicht ganz restlos geklärt zu sein, warum es je nach Ort so unterschiedlich lange dauert, bis wieder Leben in mit Vulkanasche bedeckte Flächen zurückkehrt. Nach dem Ausbruch des Anak Krakatau in Indonesien beispielsweise soll dort wenige Jahrzehnte danach schon wieder ein Wald gewachsen sein. Anderswo, wie eben in La Geria, ist nach drei Jahrhunderten noch nichts zu sehen. Das Klima scheint ein wichtiger Faktor zu sein. Wo es viel regnet und die Temperaturschwankungen gross sind, erodiert das schroffe Vulkangestein schneller, und es bildet sich eine dünne Erdauflage. Im heissen und trockenen La Geria dauert dieser Prozess um ein Vielfaches länger. Und genau deswegen ist es das extremste, radikalste, weil schlicht ausserirdisch anmutende Weinbaugebiet der Erde. Es scheint nur konsequent, dass das Museum of Modern Arts das Gebiet von La Geria schon in den 60er Jahren zum Gesamtkunstwerk erklärt hat. Schliesslich gibt es weltweit kaum Land Art von vergleichbarer Intensität. Ebenso spektakulär ist auch die Form, wie die Stöcke hier vor dem Starkwind geschützt werden. Traditionell schichteten die Winzer lose Steinhaufen als zusätzlichen Windschutz auf. Später wurden diese Mauern systematischer und in einem exakt gezogenen Halbkreis gebaut. Und heute wachsen die Reben hinter schnurgeraden, podestartigen Trockensteinmauern. Diese geben der wüstenähnlichen Ebene eine geradezu spektakuläre, sehr ästhetische Struktur.
Vulkan in Garten, Haus und Gaumen
Auch die Wasserversorgung der Pflanzen erscheint, wie auch in Santorini, als ein weiteres Wunder der Natur. Das Klima in Lanzarote ist subtropisch trocken, die knapp 200 Millimeter Niederschlag pro Jahr und Quadratmeter würden nicht reichen, um die Reben zu versorgen. Doch sie profitieren zusätzlich vom Tau, der in den Morgenstunden nicht nur auf dem Blattwerk, sondern auch in den Erdmulden der Reben kondensiert. Es handelt sich also um eine Form von Trockenkultur. Die hochkarätigsten Weine von Lanzarote sind zweifellos die Dulci, die Süssweine aus Malvasia und Moscatel. Doch der typische Vulkanwein, der mit Noten von Salz, Jod oder trockenen Steinen am ehesten an das karge Land erinnert, in dem er wächst, ist der trockene Malvasia, der übrigens trotz seiner vergleichsweise milden Säure stets spannungsgeladen und belebend wirkt. Wer seine vielseitigen Qualitäten als Essensbegleiter kennerlernen möchte, hat reichlich Gelegenheit dazu, etwa im vorzüglichen Fischrestaurant «El Risco» im Fischer- und Surferdorf Famara im rauen Norden der Insel, wo man das Salz nicht nur im Wein findet, sondern auch in der frischen Brise vom Meer, die hier stets über den Tisch weht. Doch mein Lieblingsplatz war immer die Tapasbar «Tasca La Raspa» im Hafen der Hauptstadt Arrecife, wo der Malvasia locker über einen ganzen Abend hinweg die klassischen Tapas-Speisen begleitet. Würde ich mich übrigens auf der Insel niederlassen, würde ich es wie der hier schon fast messiasartig verehrte Universalkünstler und Architekt César Manrique (1919 bis 1992) machen. Dieser hat sein Wohnhaus «Taro de Tahiche» inmitten mächtiger blasenartiger Vulkanfelsen gebaut. Raumhohe Fenster geben nicht Ausblick auf die fantastische Landschaft, sie teilen gewissermassen die Felsen, so dass ein Teil im Haus drinnen ist, der andere hingegen draussen. Wer hier also seinen Malvasia trinkt, hat das Terroir direkt im Haus!
Teneriffa gibt den Ton an
Natürlich ist Lanzarote nicht die einzige der Kanarischen Inseln, auf der Wein produziert wird. Tatsächlich verfügen sechs der sieben Inseln über eine mehr oder weniger ausgeprägte Weinbau-Tradition, einzig Fuerteventura ist weitgehend rebenlos. Während Lanzarote mit einer Rebfläche von fast 1900 Hektar ganz klar über die grösste Rebfläche verfügt, gibt in qualitiativer Hinsicht in den letzten Jahren vor allem Teneriffa den Ton an. Allein innerhalb der Ursprungsbezeichnung Tacoronte-Acentejo im Norden der Insel gibt es heute mehr als ein Dutzend Kellereien, die interessante Weine hervorbringen. Allerdings reifen diese nicht auf dem puren Vulkanboden wie auf Lanzarote. Die Entstehungsgeschichte des Archipels Gran Canaria begann mit ersten Eruptionen vor mehr als 140 Millionen Jahren. Die Böden präsentieren sich unterschiedlich, je nachdem, wie alt die Böden sind, auf denen hier heute Wein wächst. So sind besonders auf Teneriffa und La Palma die Böden weitaus fruchtbarer als auf Lanzarote und enthalten hohe Anteile von Lehm, Schotter und Kalk. Noch unterschiedlicher sind die Höhenlagen der Reben. Während sich im Anbaugebiet La Geria auf Lanzarote die Weinberge lediglich knapp 200Meter über Meer befinden, erreicht auf Teneriffa, aber auch auf La Palma der Weinbau die Höhenmarke von 1500 Meter. (tv)
Schatzkammer Vulkan
Die lockeren, wasserdurchlässigen und sehr mineralstoffreichen Vulkanböden ergeben nicht nur vorzügliche Weine, wenn sich aus dem schroffen Gestein erst eine fruchtbare Bodenschicht gebildet hat, wächst hier – im besten Sinne des Wortes – very tasty Superfood! (cs)
Die Kultnuss vom Ätna
Der magische Ort heisst Bronte und liegt 50 Kilometer nordwestlich von Catania. Hier wachsen die grünen Diamanten. Wenn die Sizilianer von grünem Gold sprechen, meinen sie nicht Olivenöl, sondern eben die Pistazien aus Bronte. Unbestritten geniesst die kleine Gegend um Bronte bezüglich der Produktion von Pistazien weltweit einen vorzüglichen Ruf. In den Gemeinden Bronte, Adrano und Biancavilla stehen seit Jahrhunderten die Pistazienbäume zwischen 400 und 900 Metern über Meer. Die Sorte Bianca wächst auf kargen Böden mit hohem Mineralgehalt. Es wird nicht bewässert oder mit chemischen Düngern gearbeitet. Da die Pistazien nicht jährlich abgeerntet werden, produzieren die Bäume im Folgejahr einer Pause eine höhere Qualität. Diese Pistazien werden als Premiumprodukt verkauft.
Die Einheimischen sagen, die geraden Jahrgänge seien die Besseren. Man sieht den Pistazien ihren Aromareichtum an. Sie sind dunkler und intensiver und haben eine lila leuchtende Haut. Im Geschmack sind sie süsser und fruchtiger. Anstelle sie zu rösten und zu salzen, werden die Nüsse aus der Sorte Bianca nur kurz an der Sonne getrocknet. Zu Recht gibt es eine geschützte DOP-Herkunftsbezeichnung für diese Spezialität und auch das Presidio Slow Food lobt die Bronte-Pistazien für ihre ursprüngliche Qualität. Kein Wunder, dass Sizilianer das beste Pistazieneis der Welt machen. Aber alle guten Eisdielen Italiens legen Wert darauf, dass ihre Pistazien aus Bronte stammen. Die Sizilianer machen auch ihr Pesto mit Pistazien. Achten Sie also beim nächsten Pistazien-Kauf auf das DOP-Siegel Pistaccio di Bronte.
Kapern mit Blick auf Stromboli
Wer in Milazzo, im nördlichsten Zipfel Siziliens, in die Hoovercraft-Fähre steigt, kann wunderbar von einer Vulkaninsel des Liparischen Archipels zur nächsten tingeln. Es ist wie Busfahren mit Touristen und Einheimischen. Erst geht’s nach Lipari, dann nach Alicudi, Filicudi, Vulcano, Salina und Stromboli oder gar noch eine Station weiter zur Jetset-Insel Panarea. Ein besonderes Privileg ist es aber, auf Salina, lateinisch «die Salzige», den Aperitivo einzunehmen und übers Meer nach Stromboli zu schauen, wo nach 18 Uhr alle zehn Minuten der Vulkan eine kleine Wolke gen Himmel schickt. Die Familie Tasca hat dort ein wunderschönes Ressort mitten in den Weinbergen am Leuchtturm. Die Malvasia-Traube gibt hier den Ton an. Die salzige Luft und der Blick übers wilde Meer machen Lust auf Malvasia und roh marinierten Kaisergranat mit einem Hauch Olivenöl, dazu Kapern in Meersalz.
Köstlich! Inmitten der Malvasia-Weinberge auf den fruchtbaren vulkanischen Böden von Salina liefert der Kapernstrauch würzig-pikante Kapern höchster Qualität. Die grössten Knospen werden nachts oder frühmorgens von Hand geerntet, einen Tag gewelkt und in Holzbottichen in grobem Meersalz eingelegt. Das angebrochene Glas bitte in der Speisekammer und nicht im Kühlschrank aufbewahren, da sonst das Aroma verfliegt. Jedes Jahr im Juni wird auf Salina das traditionelle Kapernfest Sagra del Cappero gefeiert. Das Salina-Feeling können Sie aber ganz leicht auch zu Hause zelebrieren. Etwa mit einem trockenen Malvasia von der Insel zu Ravioli mit einer Füllung aus Kapern, natürlich auch von der Insel.
Kaffee auf La Gomera
Britta Barthelmess schwärmt, wenn sie in den Kaffeefeldern steht und zum grössten Berg Spaniens, dem Teide auf Teneriffa, hinüberschaut. Britta und Dirk Barthelmess, Gaby und Achim Mantscheff, Betreiber von Moxxa Kaffee in Köln, und Klaus Langen, Inhaber von Langen-Kaffee, beleben auf der Trauminsel La Gomera eine lange Tradition von Neuem. Angeregt durch das einzigartige Klima auf den Kanaren, geprägt einerseits von viel Sonne und Wärme und andererseits durch die fantastischen Lorbeerwälder mit hoher Luftfeuchtigkeit, entstand 2017 die Idee, dort den Kaffeeanbau wiederzubeleben. In früheren Jahrzehnten hat fast jede Familie mit Landbesitz ihren eigenen Kaffee angebaut, wovon einzelne Kaffeepflanzen immer noch zeugen.
Etwa zeitgleich begann ein staatlich unterstütztes Kaffeeanbauprojekt. Mit der Unterstützung von einigen Farmern mit eigenem Land, was auf La Gomera keine Selbstverständlichkeit ist, begannen die Kaffee-Enthusiasten sowohl in Pastrana, im Süden der Insel, als auch in Hermigua, dem Nordosten der Insel, kleine Kaffeepflanzen zu setzen. Die Aufzucht der Kaffeepflanzen auf La Gomera war nicht einfach: In Hermigua ist es oft zu windig, was Kaffeepflanzen gar nicht mögen, und im Süden der Insel ist es oft zu trocken, und Wasser ist aufgrund der zunehmenden Trockenheit im Süden der Insel ein sehr kostbares Gut.
Es dauerte, die Minimalversorgung mit Wasser sicherstellen zu können. Aber der Wind in Hermigua zeigte sich schnell als der viel grössere Feind: In den ersten Jahren nach der Pflanzung riss er im Winter regelmässig alle Blätter von den Pflanzen, so dass das Team ziemlich mutlos wurde. Doch dann geschah quasi ein Wunder: Je stabiler der Stamm wurde, umso mehr konnte sich die Pflanze gegen den Wind zur Wehr zu setzen und ihre Blätter behalten, und so konnten sich auch die ersten Blüten bilden. Daraus entstanden die begehrten Kaffeekirschen. Im November 2018 wurden in Pastrana die ersten Kirschen geerntet, und es wurde eine Proberöstung gemacht. Insgesamt verfügt das Projekt bereits über 2000 Kaffeepflanzen. Der erste richtig feine, voll europäische Kaffee ist nicht mehr aufzuhalten! Denn auch wenn die Kanarischen Inseln geologisch zu Afrika gehören und auf gleicher Höhe wie die Westsahara liegen, politisch befinden wir uns hier in der EU!