Weinbauregionen der Schweiz
Zentralschweiz – Weine mit Herzblut
Text: Eva Zwahlen
Klein und fein. So charakterisieren die Innerschweizer ihre eigene Weinregion. Für Auswärtige muten die Zentralschweizer Weine fast exotisch an, so rar sind sie. Und nicht nur deshalb eine Entdeckung wert!
Sie kennen die Weine aus der Zentralschweiz nicht? Da sind Sie in bester Gesellschaft. Kaum jemand, der nicht selbst in der Region wohnt, hatte bisher das Glück, einige der kostbaren Raritäten zu probieren. Wenn Sie also das nächste Mal ins KKL nach Luzern fahren, den Pilatus besteigen oder den Weg der Schweiz rund um den Vierwaldstättersee unter die Füsse nehmen: Nutzen Sie die Gelegenheit, um einige der verblüffenden Zentralschweizer Weine zu probieren!
Natürlich wurde auch im Herzen der Schweiz «seit jeher» Wein angebaut, spätestens seit dem Hochmittelalter. In Uri etwa ist Weinbau bereits 1248 erstmals urkundlich nachgewiesen, in Form eines «nassen Zehnten», der ans Fraumünster in Zürich bezahlt werden musste. Doch die kleine Eiszeit, die eingeschleppten Rebkrankheiten und die Reblaus setzten dem Weinbau mächtig zu. Genauso wie die harte Konkurrenz aus dem Süden: Schon früh brachten Säumer auf Maultieren lombardischen Rotwein über den Gotthardpass – die Urner sollen die Teufelsbrücke lediglich wegen des Weins gebaut haben, wird gemunkelt… Mit der Eröffnung des Gotthardtunnels und der Ankunft der Eisenbahn war das Schicksal des Zentralschweizer Weinbaus endgültig besiegelt: Er verschwand gänzlich von der Bildfläche.
Bis ihm einige Idealisten mit langem Schnauf zu einer unerwarteten Renaissance verhalfen. Beat Felder, seit 30 Jahren Rebbaukommissär von Luzern, Nidwalden, Obwalden, Uri und Zug, windet Luzern ein Kränzchen: 1952 vollbrachte der Kanton nämlich die Pioniertat und bepflanzte einen Rebberg unterhalb des Schlosses Heidegg. Das setzte einiges in Bewegung. «Und in den letzten 15 Jahren ist die Post richtig abgegangen», freut sich Felder, durch und durch ein leidenschaftlicher Winzer, «und die Rebfläche in der Zentralschweiz hat sich verdreifacht. Zuwachsraten von 300 Prozent findet man sonst nur noch auf der Südinsel Neuseelands…»
Trend zu regionalen Spezialitäten
Natürlich, die Flächen bleiben relativ bescheiden, die Reben liegen verstreut in touristisch attraktiven Gegenden, doch «brauchen sich unsere Weine nicht zu verstecken!». Die Gründe für den veritablen Weinboom in der Urschweiz ortet Felder unter anderem in den deutlich verbesserten Klimabedingungen und dem starken Trend hin zu regionalen Spezialitäten. Möglich wurde die Anlage neuer Rebberge in grösserem Stil allerdings erst ab 1999. Seit damals ist nicht mehr der Bund für die Bewilligung von Neuanlagen zuständig, sondern die Kantone.
Die mächtig gestiegene Qualität der (Schweizer) Weine dürfte ebenfalls schuld daran sein, dass die Nachfrage nach heimischen Produkten so stark gewachsen ist. «Die Zentralschweiz bietet zudem ideale Bedingungen für Weinbau», gibt Felder zu bedenken. «Zusammen mit der Region Thunersee gehören wir zu den Schweizer Weinregionen mit den höchsten Niederschlägen – und was früher ein Nachteil war, entpuppt sich mit zunehmendem Klimawandel als eminenter Vorteil.» Wassermangel werde zunehmend zu einem begrenzenden Faktor für Weinbau, ist der Fachmann überzeugt. Doch kann zu viel Niederschlag nicht auch die Belastung durch Pilzkrankheiten erhöhen? «Da kann man vorsorgen, nicht nur mittels Spritzungen, sondern vor allem auch mit der Wahl pilzresistenter Sorten.» Es ist also wohl kein Zufall, dass keine andere Schweizer Weinregion einen derart hohen Anteil an sogenannten Piwi-Sorten aufweist wie die Zentralschweiz: Mittlerweile sind es bereits 25 Prozent, Tendenz steigend. Beat Felder, der auf seinen eigenen 90 Ar weder Pinot noch Riesling-Silvaner kultiviert, sondern Zweigelt, Gamaret, Sauvignon Blanc, Solaris, Muscat Oliver und Johanniter, ist überzeugt vom Potenzial pilzresistenter Varietäten und schätzt die grosse Vielfalt in den Rebbergen. «Wir haben keine eigentliche Hauptsorte. Bei uns dominiert in den Weingärten das, was in Statistiken jeweils unter übrige Sorten auftaucht…»
Die Weine aus der Zentralschweiz sind gemäss dem Rebbaukommissär typische «Cool-Climate-Weine»: frisch, knackig, saftig und herrlich fruchtig. «Bei den Weissen ist das im Trend, bei den Roten noch nicht – aber das wird bald kommen, denn die Leute sind die mastigen Rotweine zunehmend leid.» Dass Auswärtige die Luzerner oder Zuger Weine nicht kennen, liegt auf der Hand, schliesslich werden die raren Tropfen vorwiegend auf dem lokalen Markt abgesetzt, abgesehen von wenigen Ausnahmen, die sich auch national einen Namen gemacht haben. Sein grosses Ziel hat Beat Felder in 30 Jahren Engagement übrigens erreicht: In Luzern wird mittlerweile pro Einwohner eine Flasche Wein pro Jahr produziert. (Zum Vergleich: In Zürich sind es drei.) «Nur dieses Jahr werden es deutlich weniger sein, nach dem verheerenden Frost Ende April…» Die grossen Vorzüge des Zentralschweizer Weinbaus sind laut Felder Professionalität, sehr hoher Ausbildungsstand der Winzer und Innovationskraft, was sich etwa im Anteil von über zehn Prozent biologischem Anbau spiegelt. «Fast alle Weingüter sind Betriebe der ersten Generation, also junge Betriebe, die ganz nach den Vorstellungen des jeweiligen Produzenten und nach neusten Erkenntnissen angelegt wurden. Sie haben Pionierarbeit geleistet, konnten aber auch von den Erfahrungen anderer Regionen profitieren.» Verstreut auf zahlreiche Gemeinden werten die Winzerbetriebe die Landschaft auf und setzen eigene, interessante Akzente im Schweizer Weinuniversum. Und wenn die Flächen weiterhin so rasant wachsen, wird man eines Tages selbst in Zürich Zentralschweizer Weine kennen und schätzen…
Weitere Informationen: Unter www.luzerner-weine.ch/news.html kann der attraktive Weinführer Zentralschweiz mit Porträts von (fast) allen Zentralschweizer Weinproduzenten heruntergeladen werden.
Anlässe: Jeweils am ersten Samstag im September findet der Seetaler Wysamschtig im Kulturzentrum Braui in Hochdorf statt und am ersten Samstag im November der Wysamschtig der Region Sempachersee im ehrwürdigen Rathaus Sursee.
Einige Zahlen zum Weinbau der Zentralschweiz
Rebfläche: total rund 110 ha (Luzern: 60 ha; Schwyz: 38,5 ha, davon ca. 1,8 ha weingeografisch zur Zentralschweiz gehörend; Uri: 4,5 ha; Obwalden und Nidwalden: 2 ha; Zug: 4 ha). Rund 49% der Fläche sind mit weissen, 51% mit roten Sorten bestockt.
Die Klassiker: Blauburgunder (25%) und Riesling-Silvaner (20%) nehmen zwar auch in der Zentralschweiz immer noch eine bedeutende Rolle ein, in den Rebbergen dominiert aber eine Vielfalt alter und neuer Rebsorten, darunter auch zahlreiche pilzresistente Varietäten (25%).
Struktur des Zentralschweizer Weinbaus: Die 110 ha Reben der Zentralschweiz werden von 50 Winzern bewirtschaftet, zwölf von ihnen vinifizieren selber, die anderen lassen den Wein im Lohn keltern und verkaufen ihn unter eigener Etikette.
Die Weinregionen der Zentralschweiz
In landschaftlich grossartiger Kulisse kann man vor allem seit der Jahrtausendwende da und dort beobachten, wie kleine, feine Rebberge angelegt werden – meistens an Orten, an denen in früheren Zeiten schon Weinbau betrieben wurde, auf durchlässigen, mineralienreichen Moränenböden.
Luzern ist mit über 60 Hektar der bedeutendste Weinkanton der Zentralschweiz. Und er war auch der Kanton, der die Renaissance des zentralschweizerischen Weinbaus einläutete, indem er im Jahr 1952 unter dem Schloss Heidegg wieder Reben anpflanzte.
Die Luzerner Reben wachsen im Seetal, dem grössten Weingebiet Luzerns (zwischen Hallwilersee und Baldeggersee), auf sanften Hügeln und kalkreichen Moränenböden, die kraftvolle Weine hervorbringen. Die Gegend am Vierwaldstättersee, am Fuss von Rigi und Pilatus, ist nicht nur für Touristen eine Reise wert, sondern auch für Weinfreunde, gedeihen doch hier auf reichhaltigen Böden elegante Weine von grosser Finesse. Das Wiggertal mit seinen tonhaltigen Steilhängen und die kleinste, aber aufstrebende Region Sempachersee mit ihren durchlässigen Moränenhügeln haben sich ebenfalls einen Namen gemacht für ausgesprochen harmonische Rot- und Weissweine.
Nidwalden, Obwalden und Uri zählen zusammen nur gerade wenige Hektar Reben, kostbare kleine Weingärten an besten Lagen. In Uri wachsen die Reben vor allem in Altdorf, Bürglen und Silenen, wo sie vom «Traubenkocher» Föhn profitieren. In Obwalden lag der Weinbau lange brach, doch alte Flurnamen zeugen von seiner Existenz in alten Zeiten. Wiederbelebt hat ihn das einzige Obwaldner Weingut ab 1997, das unter anderem den historischen Landenberg wieder mit Reben bestockte.
Der Kanton Zug darf sich rühmen, über immerhin vier Hektar Reben zu verfügen. Damit machen die Trauben zwar den Kirschen noch längst keine Konkurrenz, aber der erste Schritt hin zur Renaissance des Weinbaus ist auch in Zug gemacht.
Der Kanton Schwyz mit stolzen 39 Hektar gehört politisch unbestritten zur Zentralschweiz, doch liegen die meisten seiner Rebberge in Freienbach und damit in der Region Zürichsee. Nur die kleinen Schwyzer Weinberge in Immensee am Zugersee zählen weingeografisch zur Zentralschweiz.