Sachsen
Von der Bückware zur Biodynamie
Text: Eva Maria Dülligen
Sachsen wird von einigen Weinliebhabern immer noch als «Vordersibirien» abgetan. Abgesehen von strammen Wintern, in denen das Quecksilber schon mal auf 25 Grad minus abstürzt, hat die nordöstlichste Weinregion der Republik nichts mit Russlands ehemaliger Verbannungsstätte gemein. Auf dem Trip durchs Elbland fanden wir vielmehr blühende Landschaften mit bemerkenswerten Weinen und ihren charismatischen Machern.
Ganz abgeschüttelt hat man die Ära vor der Wende noch nicht. «Bückware» sei der Wein aus Meißen zu DDR-Zeiten gewesen. Er wurde nur unter der Theke vertickt, weil das Politbüro in Ostberlin das Vorkaufsrecht für das begehrte Genussmittel besass. «Die Flasche ‹Meißner Wein› war so viel wert wie eine ‹blaue Fliese›, also 100 Westmark», sagt Prinzessin zur Lippe und fährt sich schmunzelnd durch das graublonde Kurzhaar. Die Weingutsbesitzerin und Ehefrau des Prinzen Georg zur Lippe ist zwar genauso wenig wie ihr Mann im Osten geboren, hat als ehemalige politische Journalistin für Funk und Fernsehen aber messerscharfen Durchblick: Bürger wurden nach dem Zweiten Weltkrieg zu Bauern gemacht, es gab Bodenreformen, Zwangskollektivierung, und natürlich wurden auch die zur Lippes von den russischen Besatzern entschädigungslos enteignet. «Georg hat auf Hunderten von Sofas gesessen, um Stück für Stück Land zurückzukaufen», führt die gebürtige Kasselerin weiter aus, «im Februar 1990 die ersten Flächen, insgesamt 18 Hektar.» Die sind mittlerweile auf 81 Hektar angewachsen, und Schloss Proschwitz kann sich heute zu Sachsens renommiertesten Weingütern zählen. Zu einem Märchen aufblasen lässt sich die Geschichte des verarmten Adelsgeschlechts trotzdem nicht. Rote Zahlen schreibt das Familienweingut erst seit zehn Jahren nicht mehr, davor galt die Känguru-Devise «Wenig im Beutel, aber grosse Sprünge».
Audienz beim Weinpapst
Über 10 Millionen Euro auf Kreditbasis investierte der Prinz in Weinberge, Gut und Schloss. Hätten die Proschwitz-Weine nicht von den ersten Jahrgängen an einen kometenhaften Aufstieg hingelegt, wären die Banken wohl kaum so kulant gewesen. «Ich kann mich noch gut an die Lacher bei meinen ersten ProWein-Auftritten erinnern», sagt der 57-jährige VDP-Vorstand von Sachsen. «‹Was willst du denn hier?›, fragten mich die Kollegen von Mosel und Co. Dabei machen wir seit 850 Jahren Wein in Sachsen.» Weingurus wie der Brite Hugh Johnson zeigten sich da weitsichtiger. Vor allem als so mancher benachbarte Winzer, der den promovierten Ökonomen als «kapitalistischen Goldesel» abstrafte. Auf die Burgundersorten solle er sich konzentrieren, nicht wie andere hier eine aberwitzige Sortenvielfalt fahren, um Risikostreuung zu betreiben, empfahl der Weinkritiker.
«Das war wie eine Audienz beim Papst», blickt der Prinz auf den Überraschungsbesuch von Johnson zurück. Der wusste um das Potenzial des Granit-Massivs am Elbufer, auf dem feinfruchtige Weiss- und Spätburgunder mit dem typisch mineralischen Kick reifen. Auch wenn die Burgunder flächenmässig den Löwenanteil seiner Rebflächen ausmachen – auf die klassischen Sachsen-Sorten Müller-Thurgau oder Goldriesling verzichtet Georg zur Lippe nicht. Schliesslich will man die sächsische Klientel mit ihren liebsten Rebsorten ködern. Das könnte brenzlig werden: «Wenn die Sachsen so viel Wein trinken würden wie die Badener, hätten wir bald keinen mehr», gibt der Prinz zu.
Unorthodoxes Schaffen
Den Übergang vom verschlafenen Sozialismus zum Konsum-Disneyland im Westen hat Friedrich Aust im Alter von elf Jahren erlebt. Da war noch keine Rede vom Weinmachen. Überhaupt ist der gelernte Steinmetz, wie er sagt, kein Winzer aus der Generation heraus. Wir sitzen an einem Campingtisch, die Augustsonne knallt, und wir gucken bei einem Glas Kerner auf die Radebeuler Lage Goldener Wagen. Der Mann, der optisch an den jungen Otto Waalkes erinnert, wirkt so unorthodox wie seine Weine. «Es herrscht heute eine gewisse Dekadenz im Weinbau. Noch nie hat es so viel Perfektionismus gegeben», sagt er und lehnt sich zurück. Die Monopolwirtschaft in der DDR heisst er keineswegs gut. Die Erträge wurden so gesteuert, dass möglichst viel Wein reinkam, die Pflanzdichte war ähnlich hoch wie in der Champagne, nur auf einem anderen Qualitätslevel: «Wenn die Trauben nach einem kühlen Jahr 60 Grad Öchsle hatten – egal, Zucker rein und fertig.»
Aust stellt sich der neuen Qualitätsoffensive, holt aus Granit-Syenit-Verwitterungsböden parfümartige Weine heraus, erlaubt sich den Extraausflug, die Rotweinmaische für eine bessere Frucht-Tannin-Balance 14 Tage in geöffneten Barriques zu vergären. Nebenbei führt er ein Weinlokal, das Sternekoch Johann Lafer in seiner Sendung «So köstlich isst der Osten» unlängst über die bundesweiten Bildschirme jagte. In eine Korsage quetschen lässt sich der 36-Jährige trotzdem nicht. Tourismusförderung hin, angestrebte VDP-Mitgliedschaft her – er sei nicht der Lakai einer Gesellschaft, in der das Smartphone bei vielen ein Körperteil zu sein scheint, sagt Friedrich Aust und füllt Wasser in eine alte Wanne mitten in seinem Weinberg. «Darin nehme ich gleich ein Bad unterm Sternenhimmel.»
Nebenbei ein Grosses Gewächs
Dass manche behaupten, Klaus Zimmerling würde von seiner Frau, einer hochdotierten Bildhauerin, gesponsert, juckt ihn wenig. Echte Kopfschmerzen bereitet dem Ex-Maschinenbauingenieur, ob im Keller alles nach seinem Plan läuft. Kein geringer Anspruch, wenn man mit Spontanvergärung, sanfter Korbpressung und ohne Schönung arbeitet. «Ökologischer Anbau mit biodynamischen Elementen», subsumiert er. Mit diesem Konzept hat der VDP-Winzer – er und Prinz zur Lippe sind die einzigen in dem rund 460 Hektar grossen und damit zweitkleinsten Weinbaugebiet Deutschlands – schon bis zu drei Trauben in der Weinbibel «Gault & Millau» geerntet. Wie zur Lippe und Aust gelingt es ihm, Sortentypizität und unverkennbare Handschrift stimmig in die Flasche zu bringen. Und zwar in die Halbliterflasche, weil dieses Format ob der aromatischen Dichte reicht, um echte Geniesser glücklich zu machen, so der 55-Jährige.
Den 2013er Riesling «R» aus reiner Terrassenlage indes füllt Zimmerling in Magnumflaschen, in limitierter Auflage von 99 Stück: «Dieser Wein wird von den Prüfern nicht ganz verstanden und bekommt keine AP-Nummer. ‹Böckser›, schreien sie, also hab ich ihn erst mal als Landwein deklariert.» Dabei würde der Herabgestufte mit Aromen von Aprikose am Stein und Marzipan locker so manch Grosses Gewächs vom Podest kicken. Die macht der Dresdner nebenbei, in der Grossen Lage Pillnitzer Königlicher Weinberg.
Jahrzehntelang verschüttetes Potenzial im ehemaligen Arbeiter- und Bauernstaat wurde von vielen Sachsen-Winzern ausgegraben und kunstvoll inszeniert. Sieben Paradebeispiele neuer sächsischer Weinkultur:
Schloss Proschwitz, Zadel, Sachsen, Goldriesling 2013, QbA, trocken
16.5 Punkte | 2014 bis 2016
Kräuterwürzige Nase mit Anflug von Lakritz und Granit. Lebendiges Gaumenspiel zwischen Fruchtsüsse und eingebundener, unaufdringlicher Säure. Schöner Aperitif.
Schloss Proschwitz, Zadel, Sachsen, Spätburgunder 2011
17 Punkte | 2014 bis 2018
Sanfte Kräuterschicht, vorneweg Liebstöckel und Petersilie, dann frische Minze. Nach einer Sauerstoffdusche kommen Nuancen von Sahnebonbon dazu. Feste Säurestruktur, verabschiedet sich mit Fleur de Sel und Toffee.
Schloss Proschwitz, Zadel, Sachsen, Weissburgunder 2012, GG
17 Punkte | 2014 bis 2018
Feines Eichenaroma, umschlungen von Birne und Rauch. Langes Hefelager erzeugt angenehmes Kohlensäureprickeln. Runde Textur, nicht zu muskulös, langes Finale.
Weingut Karl Friedrich Aust, Radebeul, Sachsen, Kerner & Weissburgunder 2013, Spätlese
17 Punkte | 2014 bis 2016
Die Cuvée verströmt nasses Laub und Walnüsse. Schmelzig und betont zitrusfruchtig füllt sie den Gaumen. Verhaltene Säure und dezente Süsse im feinherben Bereich.
Weingut Karl Friedrich Aust, Radebeul, Sachsen, Kerner 2012, Sächsischer Landwein
16.5 Punkte | 2014 bis 2016
Mundwässernder Purist mit viel saftigem Pfirsich. Kaum rebsortentypische Merkmale wie krautiges Aroma, vielmehr Ausdruck des Terroirs mit mineralischen Aspekten. Schönes trockenes Finale.
Weingut Klaus Zimmerling, Dresden-Pillnitz, Sachsen, Weissburgunder 2013, QbA
16.5 Punkte | 2014 bis 2017
Der Bronzefarbene gibt sich schüchtern in der Nase. Feine Spuren von Ingwer, Lavendel und Anis. Umso expressiver mit Zitrusfrucht, Ananas und Aprikose am Gaumen. Zitroniges Finale mit Vanillehauch.
Weingut Klaus Zimmerling, Dresden-Pillnitz, Sachsen, Riesling 2013, Grosse Lage Pillnitzer Königl. Weinberg
17 Punkte | 2014 bis 2019
Wie oft bei Spontis zunächst neutrale Nase, nach einer Weile Ananas, Holunder, gereifter Ziegenkäse. Am Gaumen Ananas pur. Vorbildhafte Balance von süss, herb und fruchtsauer. Macht bis zum letzten Tropfen Spass.