BLAUER SILVANER
Sympathische Widerhaken
Text: Rudolf Knoll
Er ist vielleicht älter als der Grüne Silvaner und möglicherweise die Urform dieser Sorte. Auf jeden Fall ist der Blaue Silvaner eine eigenständige Rebe. Sie war früher weit verbreitet, verschwand dann von der Bildfläche und wurde vor exakt 51 Jahren wiederentdeckt – und wiederbelebt.
Ob da wohl der Teufel im Spiel war, mag sich Wolfram König in Randersacker gefragt haben. 1976 hatte er in der Lage Teufelskeller Silvaner-Stöcke gepflanzt, geliefert von der Rebschule Steinmann in Sommer-hausen. Im zweiten Standjahr wurden plötzlich überall blaue Trauben entdeckt. Der Franke rief bei Johann Kaspar Steinmann an und erfuhr, dass dieser vergeblich auf eine Färbung seiner Trauben wartete. Damit war klar, dass Steinmann seine für die Erstpflanzung von Blauem Silvaner vorgesehenen Reben versehentlich nach Randersacker geliefert hatte. König erinnert sich als heute 84-Jähriger (der immer noch im Weingarten aktiv ist) schmunzelnd an dieses unbeabsichtigte Tauschgeschäft, kam aber, wie auch sein Sohn Bernhard, nie auf die Idee, die Sorte wieder auszuhacken. Denn es stellte sich schnell heraus, dass die Qualität gut war und mit dem klassischen Grünen Silvaner mithalten konnte. Später, als die Sorte nach mehrjährigem Versuchsanbau in kleinem Umfang klassifiziert wurde, kam Steinmann nach Sommerhausen und schnitt Edelreiser für eine Vermehrung in grösserem Umfang. Begonnen hatte alles 1964, als der aufmerksame Rebenzüchter Steinmann in einer 1,3 Hektar grossen Anlage unter Tausenden von Silvaner-Stöcken eine Rebe mit blauen Trauben entdeckte und sofort wusste, dass es sich hier nur um den früher weit verbreiteten, aber seit Jahrzehnten eigentlich ausgestorbenen Blauen Silvaner handeln konnte. Der heute 85-Jährige kannte die Rebe noch aus seiner Kindheit, als sie gelegentlich im gemischten Satz zu sehen war. Und er wusste aus der Literatur, dass sie auch unter dem Synonym Roth Fränkisch einst wertgeschätzt wurde.
Steinmann befürchtete, dass diese interessante Silvaner-Varietät wie so viele andere alte Reben in Vergessenheit geraten würde. Nachdem der einzelne Stock positive Merkmale im Vergleich mit dem klassischen Silvaner erkennen liess, be-schloss er eine Wiederbelebung dieser Sorte. Nachdem die Verwechslung geklärt war, konnte bald eine Leistungsselektion begonnen werden. 1976 wurde der Klon ST 25 dem Bundessortenamt zur erforderlichen Registerprüfung zur Verfügung gestellt. Acht Jahre später wurde Blauer Silvaner in die amtliche Sortenliste eingetragen und die Rebschule Steinmann als Erhaltungszüchter benannt.
Längere Flaschenreife
Im 1435 gegründeten Weingut Schloss Sommerhausen, das die Familie Steinmann nach einigen Generationen als Generalbevollmächtigte der Eigentümer-Adelsfamilie 1968 erwarb, hat die jahrhundertealte Sorte natürlich einen besonderen Stellenwert. Martin Steinmann, der heutige Eigentümer, bestockte 1,3 Hektar damit. Er vermutet, dass die Neigung der Sorte zu hohen Erträgen, ihre Säurebetonung und der höhere Gerbstoffgehalt einst dazu führten, dass sie nicht mehr beachtet wurde. «Wer sich mit ihr auseinandersetzt, bekommt zwar keine Weine für die höchsten Meriten, aber doch stets eine gute Trinkqualität.» Der Blaue Silvaner braucht eine längere Flaschenreife, er ist nicht jugendlich ungestüm und, so Martin Steinmann, «sicher nicht Everybody’s Darling, er hat seine Widerhaken. Aber die können sympathisch sein.» Er strebt jedes Jahr 80 bis 85 Grad Öchsle an und weiss, dass eine Maischestandzeit notwendig ist, weil das Traubengut sonst schwer zu pressen ist. Dadurch bekommt die Sorte etwas mehr Gerbstoffe, die aber im Glas keine negativen Auswirkungen haben und die Weine nach Anbruch länger stabil halten. Der frisch gepresste Saft ist durch die blauen Beeren nicht weiss. «Nach der ersten Pressung ist immer Farbe da», weiss Steinmann. «Doch das Farbdepot bleibt am Ende in der Hefe.» Natürlich hat er sich schon mal an eine Maischegärung gewagt, um mehr Farbstoff e aus den Häuten auszulaugen. Das Ergebnis aus 2012 war nach drei Wochen auf der Maische hellrot und geschmacklich mit guter Würze und moderater Säure durchaus in Ordnung. Aus der Reihe tanzte Steinmann 2006 mit einer Trockenbeerenauslese, vermutlich der ersten und einzigen in der Welt des Blauen Silvaners. «Das war damals in einem schwierigen Jahrgang eine Laune der Natur», erinnert er sich. Das Ergebnis: heller Bernstein, reife Birne im Duft, cremig, geschmeidig, rassig, nahezu unsterblich. Ein Winzer aus Franken hatte sich schon mal an Sekt versucht. Aber das Ergebnis erinnerte eher an prickelnden Pflaumensaft mit etwas viel Gerbstoff.
«Enorme Würzigkeit»
Richtig Karriere hat der Blaue Silvaner nicht gemacht. Rund 20 mit der Rebsorte bestockte Hektar sind heute in Deutschland registriert, fünf davon allein in Randersacker. Einige renommierte fränkische Erzeuger wie Horst Sauer, Luckert und das Weingut Trockene Schmitts haben sie im Sortiment, zu finden ist sie auch in Württemberg, Baden, an der Nahe und an Saale-Unstrut. Wer sich mit ihr befasst, hat nur Lob parat, etwa Uli Luckert: «Höhere Säure, aber würzige Aromen, für uns der klassische Silvaner.» Dieter Amling, Mitglied des fränkischen Winzerkellers Sommerach, lernte die Sorte kennen, weil seine Mutter einst Lesehelfer mit den blauen Trauben für gute Arbeit belohnte. «Sie galten als etwas Besonderes, deshalb habe ich die Reben gepflanzt.» Martina Linxweiler von der Hahnmühle im Alsenztal (Nahe) beschreibt Blauen Silvaner so: «Im Ertrag niedriger, aber viel würziger als der Grüne.» Ähnlich klingt es bei Michael Teschke aus Gau-Algesheim (Rheinhessen), der auf eine späte Lese nach dem 25. Oktober schwört. «Dann glänzt er durch seine enorme Würzigkeit am Gaumen.» Teschke attestiert ihm zu-dem einen schon fast mittelalterlichen Geschmack – was wohl für eine etwas kernig-urige Note steht. Bruno Schmitt aus Randersacker hebt ebenfalls die Würze hervor, dazu eine angenehme Mineralität. Und: «Bei unseren Kunden ist er sehr beliebt.» Ebenso bei der Kirschessigfliege. Martin Steinmann über den Jahrgang 2014: «Wir mussten etliche befallene Trauben rausschneiden.»
Blauer Silvaner aus guter Quelle
Weingut Abril, Bischoffingen (Baden) Frucht 2014 trocken
Hahnmühle, Mannweiler-Cölln (Nahe) 2014 trocken
Weingut Bernd Höfler, Michelbach-Alzenau (Franken) Michelbacher Apostelgarten 2014 trocken
Kloster Pforta, Naumburg-Bad Kösen (Saale-Unstrut) Pfortenser Köppelberg 2014 trocken
Weingut König, Randersacker (Franken) Randersackerer Teufelskeller Kabinett 2013 halbtrocken
Horst Sauer, Escherndorf (Franken) Escherndorfer Fürstenberg «S» 2014 trocken
Reinhold und Cornelia Schneider, Endingen (Baden) 2013 trocken (als Silvaner deklariert)
Schloss Sommerhausen (Franken) Vom Quaderkalk 2014 trocken «ST 25» 2013 trocken
Jürgen Simon, Alzenau-Wasserlos (Franken) Kabinett 2014 trocken
Winzerkeller Sommerach (Franken) Weinreich E1NS 2012 trocken
Michael Teschke, Gau-Algesheim Von der Dünnbach 2012
Trockene Schmitts, Randersacker (Franken) Vom alten Berg Kabinett 2013 und 2014 trocken
Weingut Wilhelm, Weinstadt (Württemberg) Strümpfelbacher Blanc de Noir 2014 trocken
Zehnthof Luckert (Franken) Sulzfelder 2013 und 2014 trocken