Sommertrend Schorle
Wasser marsch!
Text: Matthias F. Mangold
Von akademischen Weingeistern verachtet, erfreut sich die Weinschorle – in Bayern und Österreich auch «Gspritzter» genannt – unter unorthodox veranlagten Weintrinkern grosser Beliebtheit. Warum auch nicht? Sie ist peppig, stillt den Durst und macht nicht so schnell einen dicken Kopf.
Diese Geschichte muss unter uns bleiben, die dürfen Sie nicht an die grosse Glocke hängen. Und vor allem müssen wir in erster Linie dafür sorgen, dass die Weinpolizei davon keinen Wind bekommt. Sie wissen schon: diese Leute, die uns immer vehement sagen, was geht und was nicht. Aus welchen Gläsern wir zu trinken haben und bei welcher Temperatur. Dass es keine Anlassweine gibt. Und jetzt, o Gott, wollen wir sie ja nicht auch noch herausfordern und ärgern, indem wir uns einem echten Sakrileg widmen: Schorle! Schändung des Weins, Entweihung des heiligen Gesöffs, Missbrauch einer absolut furchtbar ernsten Sache. Nein, da versteht der Weinkenner keinen Spass.
Ernst beiseite. Hat nämlich rein gar nichts hier zu suchen. Schorle ist Trinkspass. In manchen Regionen Deutschlands sogar DAS Getränk schlechthin, demnach nicht nur ein Getränk, sondern eine Lebenseinstellung. Nehmen wir die Pfalz. Auf ein Weinfest zu gehen, ohne mit Freunden einen Schoppen (das bedeutet 0,5 Liter) Rieslingschorle zu trinken, würde ein Pfälzer als genauso sinnvoll erachten, wie als Atheist jeden Sonntag den Gottesdienst zu besuchen. Man bestellt keinen Schoppen Schorle für sich alleine, sondern gleich zwei oder drei, die dann in der Runde herumgereicht werden. Wer den vorletzten Schluck getrunken hat, muss für Nachschub sorgen. Muss nicht jeder verstehen, ist aber so. Spätestens hier ist der akademische Weinpienzer aussen vor und schüttelt sich dreimal kräftig. Denn wieso um alles in der Welt mischt man den guten Wein mit Wasser? Die Antworten darauf sind überraschenderweise recht vielfältig.
Es waren – die müssen ja oft herhalten für sowas – ursprünglich die Römer, die den Weinbau nach Deutschland gebracht haben, ja, sie nahmen Weinreben eigentlich fast immer mit, wenn es um die Expansion des Reiches ging. Natürlich ging es einerseits um den Rausch, diese immense Triebkraft der Menschheit, andererseits aber um die blanke Gesundheit. Wasser war oft zweifelhafter Herkunft und Güte, also vermischte man es mit etwas Vergorenem – Essig oder eben Wein. Diese Praxis wurde noch viel wichtiger im Mittelalter, als die Menschen verstärkt begannen, in Städten zu leben, mit allem, was dazugehörte. Also auch die ganzen Handwerke, beispielsweise Gerbereien und Kürschnereien, die Flüsse und Bäche nachhaltig verunreinigten. Exkremente entsorgte man übers Fenster, sie landeten ebenfalls rasch im Wasser. Selbiges war pur zum Trinken ungeniessbar, demnach mischte man es mit Wein und Gewürzen und sandte Stossgebete nach oben.
Und dann gab es da noch diese zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Süddeutschland stationierten französischen Soldaten, die ihren Wein immer mit Wasser vermischten und zum Trinkspruch «Toujours l’amour!» die Kehle hinunterstürzten. Die des Französischen nicht mächtigen Bewohner vor Ort machten daraus letztlich die Verballhornung «Schorle-Morle», von der später nur noch die Schorle übrig blieb. Noch ältere etymologische Erklärungen gehen in Richtung «Schurimuri» für einen aufgeregten, hektischen Menschen oder zu «Schurrmurr», was ein Mischmasch bezeichnet. Auch das südwestdeutsche Wort «schuren» für «sprudeln» kommt noch infrage, da wären wir dann schon im 16. Jahrhundert und früher.
Selbst Weincracks tuns
Die Frage für heute bleibt: Unser Wasser ist inzwischen sauber, also warum es mit Wein mischen? Und machen das tatsächlich nur Weinlegastheniker und Ignoranten? Keineswegs. Hört man sich bei Winzern oder Weinfachleuten um, ist Schorle keineswegs verpönt. Dirk Würtz, Betriebsleiter beim Weingut Balthasar Ress im Rheingau, bezeichnet Schorle sogar als «einen wesentlichen Teil meiner kulturellen Weinidentität» und als «eines der wichtigsten Getränke überhaupt». Auch für die Österreicherin Dorli Muhr, Winzerin und Wein-PR-Queen, spielt Schorle eine nicht unwesentliche Rolle, was zurückgeht auf ihre Herkunft: «Ich komme aus einer Bauernfamilie. Meine Eltern arbeiteten früher oft den ganzen Tag auf dem Feld, gerade in der heissen Jahreszeit war ausreichend Flüssigkeitsaufnahme extrem wichtig. Sie füllten immer grosse Flaschen mit Leitungswasser, und in jede Flasche kam auch ein Schuss Weisswein. Das säuerte das Wasser ein wenig, löschte den Durst besser und erfrischte.» Am besten ist für Muhr eine Mischung von 90 Prozent Wasser und nur 10 Prozent Wein – was klar aufzeigt, dass es ihr darum geht, das Wasser lediglich zu «würzen». Und es sollte ein säurebetonter Wein sein, in ihrem Fall ein Welschriesling oder ein Grüner Veltliner.
Ihre ganz eigene Interpretation schildert uns die Sommelière Natalie Lumpp: «Normalerweise würde ich Wein und Wasser immer getrennt trinken. Einzige Ausnahme – die ultimative Roséschorle. In ein Rotweinglas einschenken: ein Drittel Roséwein, ein Drittel Tonic Water und ein Drittel Mineralwasser, ein Schuss Gin, frische Minzblätter und Eiswürfel – unbedingt mit einer Zitronenzeste abspritzen (wenn man die Zitronenschale knickt, gelangen die ätherischen Öle in die Schorle).»
Gut, Schorle wird also selbst von Fachleuten nicht verdammt, ganz im Gegenteil. Bei unserer nicht repräsentativen Umfrage outeten sich nicht eben wenige Winzer als Schorlefans – zur reinen Erfrischung, wohlgemerkt. Für die meisten von ihnen kommt als Rebsorte Riesling ins Glas, denn wenn schon Erfrischung, dann richtig, und mit dem entsprechenden Säurekick. Aber dann auch eben nur mit Weinen, die sich dafür anbieten: am besten Literqualitäten, die bei Spitzenwinzern eh schon ein gehobenes Niveau haben. Eine Erste Lage oder gar ein Grosses Gewächs dafür herzunehmen, ist selbstredend ein völliges No-Go. Da würde auch der Pep fehlen.
Die Farbe der Wahl ist zumeist weiss, obwohl es auch Weissherbstschorle gibt. Aus Portugieser oder Schwarzriesling. Nicht selten mit Restsüsse. Hmmm. Das muss man jetzt echt mögen.
Gib mir fünf!
Jetzt gilt es ja auch noch zu klären, welches Wasser am besten zur Schorle passt. Die meisten Leute machen sich darüber überhaupt keinen Kopf. Bei Dorli Muhr war es, wie gehört, Leitungswasser, Dirk Würtz bevorzugt die Salzigkeit von Staatlich Fachingen oder Apollinaris. In der Regel reicht «Mineralwasser», so neutral wie möglich.
Vielleicht gehen wir noch mal kurz zurück zum Mischungsverhältnis. Da liegen nämlich die Bandbreiten zwischen dünn und den Gewohnheiten in der Pfalz meilenweit auseinander. Mancher mag das Wasser eher aromatisierend. Die Pfälzer hingegen haben ihre eigenen Einheiten. Da gibt es zum Beispiel die «Fünf-Finger-Regel»: fünf Finger Riesling (hochkant) und fünf Finger Wasser (horizontal). Noch extremer ist folgende Vorgehensweise: Das Schoppenglas bis zum Eichstrich mit Riesling füllen – und dann JEDE MENGE Wasser drauf! Kurz einen Schluck abtrinken und dann wieder mit Riesling auffüllen. Nach dem Motto: Wein haben wir, das Wasser müssen wir kaufen.
Ganz unter uns: Das hält der normale, pfalzweinfestfachfremde Besucher kaum durch. Mischen Sie sich Ihre Schorle so, wie Sie das für richtig halten. Und wenn Sie es ganz bequem haben möchten, gibt es komplett vorgemixte Schorle auch in der Literflasche zu kaufen. «Zwää PS» heisst das, kommt natürlich aus der Pfalz und bedeutet «zwei Pfälzer Schoppen». Einer mit Riesling und echt trocken, der andere aus Cabernet Dorsa und Dornfelder als Rosé mit etwas Restsüsse. Ein sehr cleveres Konzept der Duttweiler Werbeagentur Meomix, denn es nimmt dem Verbraucher die Wahl der Weine ab und ist in der Tat perfekt abgestimmt. Viel Spass bei wenig Alkohol.
Perfekte Mischung
Perfekte Mischung
Perfekte Mischung