Im Fokus
10 Schweizer Jungwinzer
Text: Thomas Vaterlaus, Fotos: Linda Pollari
Die Schweizer Weinszene präsentiert sich so jung und dynamisch wie nie zuvor. Etablierte Spitzenbetriebe befinden sich im Generationenwechsel, Neueinsteiger sorgen für Furore. Und das Beste ist: Der jugendliche Drive manifestiert sich auch im Glas!
Ob das Alter eines Winzers in irgendeiner Form relevant für die Qualität seiner Weine ist, darf bezweifelt werden. Denn würde man in einer Blindverkostung zehn Weine von über 50-jährigen Winzern mit zehn Weinen von unter 30-jährigen Winzern mischen, wäre es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Ding der Unmöglichkeit, herauszufinden, welcher Generation der Macher eines bestimmten Weines angehört. Andererseits: Wer einmal eine Zusammenkunft von «Junge Schweiz – neue Winzer» besucht hat, ist nach wenigen Minuten restlos überzeugt von der Notwendigkeit dieses Vereins. Der lockere Umgang, vor allem aber die Offenheit, mit der hier über alle Fragen und Probleme in der Weinbergsarbeit oder über den Sinn verschiedenster Methoden in der Vinifikation debattiert wird – das ist wohl nur in einem frühen Stadium einer Winzerkarriere möglich.
«Wichtig ist, dass bei den Diskussionen nicht wie so oft der eigene Standpunkt das Mass aller Dinge ist, sondern dass man durchaus bereit ist, die eigenen Konzepte infrage zu stellen oder sich zumindest mit den Argumenten der Kollegen ernsthaft zu befassen», sagt Mathias Bechtel, seit 2013 der Präsident dieses Vereins. Heisse Themen gibt es genug: Während die Weine einiger Jungwinzer erkennen lassen, dass hier mit modernem Know-how ein Maximum an Primärfrucht und Fülle angestrebt wird, bevorzugen andere einen möglichst naturbelassenen An- und Ausbau, ohne Angst vor kernigem Tannin und prägnanter Säure. So gelangt man über arbeitstechnische Fragen oft sehr schnell zu grundsätzlichen, sprich weinphilosophischen Themen.
Wichtig ist auch, dass dieser Verein trotz seiner noch immer überschaubaren Grösse von rund 30 Mitgliedern über die Sprachgrenzen hinwegagiert. Ursprünglich von Winzern aus der Deutschschweiz gegründet, bemüht sich der Verein heute, zusätzlich Mitglieder in der Romandie und im Tessin zu finden. Nur mit dieser gesamtschweizerischen Ausrichtung kann es der jungen Weinschweiz mittelfristig gelingen, auch international jene Beachtung zu finden, die sie zweifelsfrei verdient.
Strukturwandel als Chance
Obwohl sich das Weinland Schweiz in den letzten Jahren stark verändert hat, zeigt unsere Weinszene noch immer nicht die jugendliche Dynamik, wie wir sie beispielsweise in unserem östlichen Nachbarsland Österreich finden, zusehends aber auch in Deutschland, wo junge Produzenten mit bemerkenswertem Engagement in einem stets grösser werdenden Netzwerk ihre Projekte verwirklichen.«Junge Schweiz – neue Winzer» ist darum die zurzeit wichtigste Initiative, um auch der helvetischen Weinszene den jugendlichen Elan zu verleihen, den sie braucht. Die Voraussetzungen dafür sind heute besser denn je. So schafft der Prozess der Strukturbereinigung den nötigen Platz für neue Initiativen. Parzellen von älteren Nebenerwerbswinzern, deren Kinder nicht mehr zur Rebbergsarbeit bereit sind, aber auch Familienbetriebe ohne Nachfolgeregelung stehen zum Verkauf. Dies hat engagierten Neueinsteigern wie Tom Litwan (Aargau), Markus Ruch (Schaffhausen), Mathias Bechtel (Zürich), Alexandre Delétraz und Isabella und Stephane Kellenberger (beide Wallis) die Möglichkeit eröffnet, neue Betriebe zu gründen. Dass sich diese in wenigen Jahren zu Spitzenbetrieben mit hohem qualitativen Anspruch entwickeln konnten, ist auch dem dynamischen Umfeld zu verdanken, in dem sie agieren.
Andere Jungwinzer übernehmen in etablierten Weingütern die Verantwortung von ihren Eltern und profitieren dabei von deren Aufbauarbeit. Als Werner Stucky im Tessin, «Stickel» Schwarzenbach am Zürichsee oder Gian Battista von Tscharner in Graubünden in den 80er Jahren begannen, ihre Ideen vom Spitzenwein nach französischem Vorbild zu realisieren, bewegten sie sich auf «Ground Zero». Denn was damals in der Schweiz praktiziert wurde, orientierte sich an den Standards der Lebensmitteltechnologie. Penible Ordnung in Rebberg und Keller und die Sterilität der Produkte hatten absolute Priorität, individueller Ausdruck interessierte niemanden. Der Weg, den sie seither zurückgelegt haben, vom völlig belanglosen «Beerliwein» von damals zum heutigen Spitzen-Cru scheint gefühlsmässig so weit wie vom Mittelalter in die Neuzeit. Und doch fand diese enorme Entwicklung innerhalb des Wirkungsradius von nur einer Generation statt. Wenn nun die Kinder der genannten Winzer, die alle im Verein «Junge Schweiz – neue Winzer» organisiert sind, zunehmend die Verantwortung im elterlichen Betrieb übernehmen, starten sie bereits auf einem beneidenswert hohen Niveau. Und trotzdem haben sie die Möglichkeit, eigene Akzente zu setzen.
Die VINUM-Watchlist
Wenn wir nun aus dem Kreis von «Junge Schweiz – neue Winzer» erstmals eine «VINUM-Watchlist» mit zehn Winzern erstellt haben, aus der dann Anfang September im Rahmen einer Leserverkostung die «VINUM-Entdeckung des Jahres 2015» gekürt wird, so ist dies gleich in mehrfacher Hinsicht ein heikles Unterfangen. Etwa weil sich unter den Mitgliedern dieses Vereins etliche Winzer befinden, die trotz ihres noch jugendlichen Alters schon höchst arriviert sind. Stefan Gysel (Weingut aagne) etwa wurde schon vor sechs Jahren im Rahmen des von VINUM mitorganisierten Grand Prix du Vin Suisse zum «Winzer des Jahres» gekürt. Martin Wolfer aus Weinfelden errang 2013 am Concours Mondial des Pinots den Titel des «Pinot-Champions». Und aufstrebende Individualisten wie Markus Ruch aus Schaffhausen oder Tom Litwan aus Aargau werden von der Presse bereits seit Jahren als Aufsteiger gefeiert. So haben wir also beim Zusammenstellen unserer «VINUM-Watchlist 2015» folgendes Kriterium angewandt: Ausgewählt wurden zehn Jungwinzer(innen), die in ihrem Betrieb bereits eine massgebende Rolle spielen und die aufgrund ihrer Betriebsphilosophie, vor allem aber aufgrund der hervorragenden Qualität ihrer Weine, eine grössere Beachtung in der Weinszene Schweiz verdienen. Bewertet wurden die Weine im Rahmen einer Verkostung in Twann, an der 21 Mitgliedsbetriebe des Vereins jeweils zwei Weine präsentierten. Das qualitative Niveau dieser Verkostung war übrigens überdurchschnittlich hoch.