ROTES DEUTSCHLAND
Rote Schaumtänzer
Text: Eva Maria Dülligen, Fotos: Thomas Epping
Soeben hat man sich an das Phänomen deutscher Roséschaumwein gewöhnt, da knallt das nächste hinterher: roter Sekt aus Deutschland. Vielen ist das Zusammenspiel von Rotwein und Kohlensäure noch suspekt. Warum Vorurteile wie «zu süss» oder «Katerbrause» auf der Premiumrotsekt-Schiene überflüssig sind, zeigen zwei Rheingauer Sektmanufakturen.
«Sekt ist nah an der Konjunktur», sagt der diplomierte Kaufmann und bittet mit Bubenlächeln, Platz zu nehmen. «Während des Wirtschaftswunders in den 50er Jahren tobten hier Sektempfänge, auf denen die Korken im Dreivierteltakt aus den Flaschen zischten.» Im Verkostungsraum der Rüdesheimer Sektkellerei Ohlig sind es heute aber nur zwei Korkverschlüsse, die den Flaschenhälsen mit einem Plopp entweichen. Was nicht heissen soll, dass die Konjunktur hier am Boden ist. Geschäftsführer Markus Jost beschreibt den Absatz des Jahres 2008 als rückläufig, verglichen mit 2014, wo stolze zwei Millionen Ohlig-Sektflaschen an ihre in- und ausländischen Liebhaber verkauft wurden.
Der Grund für die geringe Ausbeute bei der heutigen Verkostung liegt vielmehr im Sortiment des Hauses, das neben 15 verschiedenen Weiss- und Roséschaumweinen eben nur zwei Rotsekte anbietet. Zum Gesamtumsatz der Sektkellerei spülen die Nischenperler gerade mal fünf Prozent in die Kassen. Wozu also dieses wenig populäre Produkt, zumal es sich in Herstellung und Lagerung ebenso arbeits- wie kostenintensiv gebärdet? Für einige Sekthersteller wäre es gar betriebswirtschaftlicher Selbstmord, einen Rotsekt ins Portfolio zu nehmen. Stattdessen setzt man beim rheinhessischen Staatsweingut Mainz, bei der Sektkoryphäe Volker Raumland oder dem sächsischen Schloss Wackerbarth auf Rosé- sekt oder Blanc de Noirs Brut, gern aus Rebsorten wie Cabernet Sauvignon, Syrah und Merlot. Aber einen dunkelroten Spätburgundersekt hat dort niemand. «Zugegeben, unsere Roten werden von einem Minifanclub favorisiert, aber der ist treu», hält Jost dagegen. «Das sind rotweinaffine Genussmenschen mit einem Faible für Unkonventionelles.»
Lagerbier statt roter Perlen
Mit Wein, gleich welchen Typs, hatte der Urenkel des Firmengründers lange nichts an der Mütze. Als Industriekaufmann vertrieb Jost bei der Frankfurter Hoechst AG Druckplatten, legte ein BWL-Studium dazwischen und trank nach Feierabend Bier. Seiner weinverliebten australischen Gastfamilie konnte der damalige Student während eines halbjährigen Austauschs in Queensland nicht viel über die Rheingauer Weinregion berichten. «Mein Gastvater wollte mir andauernd einen Shiraz oder Chardonnay unterjubeln, aber ich hab mir eine Dose Foster’s Lager aufgemacht.» Am befremdlichsten fand der Rüdesheimer die Euphorie, mit der seine Gastgeber Sparkling Shiraz tranken. In Australien sind die dunklen Schäumer seit Jahrzehnten eine feste Grösse. Peter Lehmanns Black Queen Sparkling aus Shiraz-Reben des Barossa Valley oder The Peppermint Paddok Sparkling vom südaustralischen Weingut d’Arenberg aus der Hybridrebe Chambourcin haben internationalen Kultstatus. Jost zeigte sich weder vom feinen Mousseux noch von den schokoladenartigen Tanninen beeindruckt.
Dass sein Urgrossvater Anton Ohlig in der Geisenheimer Forschungsanstalt Weinbau studierte und aus der Passion für Sekt eine ganze Manufaktur aus dem Rüdesheimer Boden stampfte, juckte ihn so wenig wie die Prophezeiung des Vaters, er würde eines Tages noch auf den Schaumweingeschmack kommen. Erst ein Sensorikseminar im Eltviller Weinbauamt legte die Hebel um. 2002 übernahm er das Ruder und wurde geschäftsführender Gesellschafter der Sektkellerei Ohlig. Heute spricht der 45-Jährige über Sekt, als hätte er ihn mit der Muttermilch aufgesogen. Zweimal im Monat gönnt er sich eine Flasche seines Spätburgundersekts. Für ihn ist dieser Sekt ein «Bärenfell-Getränk», das man abends vorm offenen Kamin trinkt, oder ein «nobler Essensbegleiter» zu französischem Rohmilchkäse oder einer Crème brûlée. Trotzdem bleibt er eine polarisierende Rarität. «Wir unterscheiden uns schon deshalb von vielen, weil unsere Grundweine aus der Region kommen. Die Assmannshäuser Lagen sind berühmt für ihre SpätburgunderQualität. Beliefert werden wir von der Rheingauer Koryphäe Robert König, der selbst einen herausragenden roten Winzersekt produziert.»
Zartbittere Erkenntnis
Die Grundweine von Pinot-Wunderkind Robert König teilt sich Ohlig mit der vier Kilometer weiter östlich gelegenen Sektkellerei Bardong in Geisenheim. «Wenn Sie einen gescheiten Rotsekt machen wollen, ist das ein teurer Spass», warnt Norbert Bardong unnötigerweise, denn das habe ich nicht vor. Lieber probiere ich seine roten Kostbarkeiten, die er auf dem Tisch in der ehemaligenIndustriehalle aufgebaut hat. Ein 1997er Spätburgunder Brut vom Rüdesheimer Klosterberg hält als Erstes her. Tiefrote Waldbeeren und schokoladige Nuancen landen im Kohlensäuremantel mit leicht bitterem Akzent auf der Zunge.
«Ich trinke entweder trockene Rotweine oder edelsüsse Weine, aber keinen süssen Rotsekt. Der muss für mich knochentrocken sein. Bei uns kommt nichts mit über sechs Gramm Restzucker in die Flasche. Extra Brut in Rot gibt es meines Wissens sonst nirgendwo. Der Weincharakter soll sich im Spätburgundersekt wiederfi nden, deshalb machen wir auch keine Cuvées – eine Rebsorte, ein Jahrgang, eine Lage, fertig.»
Norbert Bardong
Unglaubliche 15 Jahre hat dieser Brut auf der Hefe zugebracht. Das lange Hefelager sorgt im Rotsekt dafür, dass sich die Gerbstoffe immer weiter in die Aromen einbinden. Der bittere Geschmackseindruck ist nach wie vor gegeben, aber in moderater und spannender Weise, weil er eine ungewöhnliche Komponente in einem Schaumwein darstellt. «Im Unterschied zu vielen weissen Brut hat meiner hier eine feinere Perlage und komplett andere Aromen», so der gelernte Getränketechnologe. Aus dieser Position heraus hätte er vieles machen können: Tee oder Kaffee, Saft oder Mineralwasser. Der Zufall wollte aber, dass der Patensohn von Andreas Kupferberg (aus der gleichnamigen Sektdynastie) ihn beim Champagnerhaus Bricout & Cie in Avize empfahl. Nicht nur das Handwerk von der Assemblage bis zum Degorgieren fesselte Bardong. Abends sass man im Château an grossen Tafeln. Im Kamin knisterten ganze Baumstämme, und darüber kochte ein Topf mit Bouillabaisse. Infiziert vom Savoir-vivre-Virus gründete er nach seiner Rückkehr eine Sektkellerei und importierte das Gelernte von der Champagne in den Rheingau.
Extra Brut statt extra trocken
Mit Ehefrau Renate produziert er neben Chardonnay-, Blanc-de-Noirs- und Rosésekt rote Jahrgangsschaumweine, die nach klassischer Methode in der Flasche vergoren werden und mindestens zehn Jahre auf selektionierter Champagnerhefe lagern, mittlerweile nur noch auf Extra-Brut-Basis (höchstens sechs Gramm Restzucker pro Liter). In manuellen Rüttelpulten drehen die beiden wochenlang Hunderte von Flaschen, bis sich die letzten Trübpartikeln verzogen haben. Renate Bardong klärt uns über die Kerzenstümpfe auf den Pulten auf: «Sieht man die Kerzenflamme deutlich hinter der Flasche, sind Trübstoffe abgesetzt. Ist das Kerzenlicht verschwommen, sind noch Partikeln drin.» Reinen Schaumwein schenkt man bei den Bardongs am liebsten zu Sterneküche ein. Sektmenüs im Reifekeller sind Programm. Für die beiden funktioniert Rotsekt perfekt zu auf der Haut gebratenem Fisch oder Rotwild. Sterneköche wie Thomas Macyszyn verfeinern ihre Fonds beim Grossen Kulinarium im Hause Bardong mit dessen Spätburgundersekt und holen damit völlig neue Akzente aus den Saucen heraus.
Um ein Geschmacksprofil zu erzeugen, das hautnah an der Rebsorte liegt, müssen handgelesene Trauben aus Rheingauer Einzellagen her. Eine minimale Dosage sorgt dafür, dass die echten Aromen nicht durch die Süsse der Fülldosage untergehen. «Alles, was ab extra trocken, also 12 bis 20 Gramm Restzucker, losgeht, macht unseren Rotsekt zu plump, zu blumig. Wenn wir ihn lieblich dosieren, puffern wir die Gerbstoffe ab, statt sie zu integrieren», erklärt Renate Bardong. Den Sekt hat die ehemalige freie Mitarbeiterin des TV-Senders ZDF durch ihren Mann wiederentdeckt, nachdem sie jahrelang wegen des Katzenjammers danach keinen getrunken hatte. Ein Freund nahm sie auf einen Aperitif mit zu Norbert, und sie war elektrisiert: «Aber erst mal nur von seinem Schaumwein.»
Rote Speisenrunder
Es muss auf jeden Fall ein Leckerbissen her, um eine runde Sache aus dem roten Premiumsekt zu machen. Auch wenn er als Aperitif oder Menüabschluss durchaus funktioniert: Fünf Rotsekte setzen Wild, Tapas oder Schokolade die aromatische Schaumkrone auf.
Ohlig privat halbtrocken
15 Punkte | 2015 bis 2016
Zeigt eine verhaltene Duftnase mit Würznoten und hellen Beerenfrüchten. Ausgeprägte Säure, daneben meersalzige Aromen . Bei einer Mariage mit Wildschweinragout treten seine filigranen Aspekte heraus, zur Pizza mit Pilzen, roten Zwiebeln und Parmesan weicht die Beerenfrucht Karamell- und Honignuancen.
Edition Anton Ohlig Assmannshäuser Spätburgunder 2010 extra trocken
16 Punkte | 2015 bis 2017
Beeriger Charakter, Minze und Salbei nach langer Beatmung. Entwickelt über die Tage Komplexität und verliert kaum an Perlage. Kirscharomen verschwinden, stattdessen weisse Blüten und Pfefferminze. Partner von Mousse au Chocolat oder Ziegenkäse mit Honigwürze.
Bardong Rüdesheimer Klosterberg 1997 Sekt b.A. Rheingau Spätburgunder Brut
17 Punkte | 2015 bis 2019
Beerennase. Die Perlage trägt die Aromen strukturiert an die Oberfläche. Frisch, trotz 15-jähriger Hefezeit. Am Gaumen Himbeeren, etwas Cassis. Mit geschmortem Kaninchen treten Gewürze hervor. Aus Schokolade mit Butterscotch löst er Karamell und Piemontkirsche.
Bardong Assmannshäuser Hinterkirch 2003 Spätburgunder Extra Brut
17 Punkte | 2015 bis 2018
Tertiäraromen von Leder und Tabak. Das Spitzenrotweinjahr 2003 spiegelt sich in der Komplexität. Fast wie ein Pinot Noir mit hauchzarter Kohlensäure. Ideal zu Tapas. Greift die pikanten Aspekte von Serrano-Schinken auf und potenziert sie angenehm. Auch die süsslichen Noten des Serrano werden betont.
Weingut Robert König Jahrgangssekt 2013 Assmannshäuser Spätburgunder Brut
17 Punkte | 2015 bis 2019
Am Gaumen vielschichtig und dicht gewoben, von angenehmer Säure getragen. Fügt Blauschimmelkäse wie dem französischen Roquefort oder dem irischen Cashel Blue feine Nussaromen hinzu. Gebäcken wie dem Nougatring entlockt er neben Mandel und Krokant auch zarte Würznoten.