Riesling Jahrgang 2004

Reifeprüfung

Text: Carsten Henn

  • «Keiner der Weinprofis kam auf die Idee, dass fünfmal der gleiche Wein im Glas war.» Klaus-Peter Keller (mit Julia Keller)
  • «Ich persönlich bin ein Freak von gesunden Trauben.» Philipp Wittmann

Was ist das Geheimnis? Das ist die Frage. Und sie schien ähnlich diffizil wie die Suche der Alchemisten nach der Formel für Gold. Riesling ist Deutschlands grosse Rebe – doch können trockene Rieslinge so gut reifen wie andere grosse Weissweine? Spielen sie in derselben Liga? Denn nur Weine, die über Jahrzehnte reifen und ihre Qualität nicht nur halten, sondern verbessern können, werden zu Legenden der Weinwelt.

Lange Jahre hiess die Antwort auf die grosse Riesling-Frage: nein. Oder wahlweise: Sehr wenige können es. Die Weine von Bernhard Breuer aus dem Rheingau und Bernd Philippis legendäre Koehler-Ruprecht-Rieslinge vom Kallstadter Saumagen aus der Pfalz schafften es – viele andere, auch die bekannter Güter, fielen krachend in sich zusammen. Der «Gault & MillauWein Guide Deutschland» verkostet seit langem die besten zehn Jahre alten trockenen Rieslinge wie auch die besten fruchtsüssen Spätlesen. Bei Letzteren wissen deutsche Winzer schon seit langem, wie es geht, doch bei den trockenen scheint erst seit dem Jahrgang 2002 auf breiter Front das Wissen vorhanden zu sein, wie solche Weine hergestellt werden können.

Der Westhofener Morstein von Philipp Wittmann aus Rheinhessen gilt als einer der am besten reifenden trockenen Rieslinge Deutschlands. Immer wieder strahlt er bei Proben wegen seiner unglaublichen Frische und Präzision. Auch bei der Probe der 2004er Rieslinge lag er wieder ganz vorne. «Das Wichtige war damals, und das ist es auch heute, den Punkt zu treffen, wo die Rieslingtrauben nicht gelb und überreif, aber auch nicht unreif sind. Dann sind kräuterwürzige Nuancen wahrnehmbar, aber die Reife ist auch schmeckbar. Das ist ein Plus an Komplexität.»

Ist das vielleicht schon das ganze Geheimnis? Der richtige Lesezeitpunkt? Wie sieht es mit Botrytis aus? Philipp Wittmann muss nicht lange überlegen. «Ich persönlich bin ein Freak von gesunden Trauben. Ich mag es nicht, wenn sie alle blau sind, obwohl es Leute gibt, die sagen, erst dann sind sie richtig. Ich ernte gerne goldgelb, gesund und sortiere die Botrytis komplett raus. Das gibt die puristischere und klarere Struktur – und umso besser reift der Wein. Die Botrytis kann zu Beginn eine lautere Fruchtaromatik bringen, später wird sie dann aber verwaschen.» Ein weiterer Kniff ist bei ihm die Maischestandzeit. «Ja, ich arbeite damit und bringe damit eine Tanninstruktur in den Wein. Ich glaube, dass man dadurch Inhaltsstoffe erhält, die für die Lagerung wichtig sind. Dadurch ist der Wein in der Jugend kantiger und strahlt weniger, hat aber einen längeren Atem. Das ist aber ein Tanz auf der Rasierklinge, denn Riesling und Phenole können auch gefährlich sein. Mit zu viel Phenolen wird er im Alter auch nicht toll.»

Hilfsmittel verringern Lagerfähigkeit

Wittmann wagt diesen gefährlichen Tanz, auch weil er seinen herausragenden Weinbergen vertraut. Genau wie Klaus-Peter Keller in Flörsheim-Dalsheim. Auch er setzt auf reife, aber nicht überreife, gesunde Trauben ohne Botrytis von besten Böden. «Beim trockenen Riesling sind Erträge zwischen 30 und 40 Hektoliter pro Hektar ideal. Wird es weniger, reifen die Trauben häufig zu schnell, und der Wein verliert Konturenschärfe und Potenzial zum Altern.» Ideal sind seiner Meinung nach Jahrgänge, in denen die Trauben langsam reifen und es ausreichend Wasser im Boden gibt, weshalb sie gute Extraktwerte aufweisen. Aber selbst dann kann noch viel schiefgehen. «Im Keller gilt es, alles zu unterlassen, selbst wenn es erlaubt und von vielen Schulen empfohlen wird. Meiner Meinung nach verringern die Schönung und der Zusatz von Gärhilfsmitteln die Lagerfähigkeit grosser trockener Rieslinge.» Auch er setzt auf eine schonende Extraktion der Schale, um wertvolle Inhaltsstoffe und Aromavorstufen in den Most zu bekommen. «Ein Ausbau im Holz kann, muss aber nicht zwangsläufig helfen, eine Vergärung mit traubeneigenen Hefen sollte dagegen immer angestrebt werden.»

Die Formel für grossen trockenen Riesling wird langsam komplett. Und doch ist sie immer noch nicht vollständig. Denn nach Weinberg und Keller gibt es einen dritten entscheidenden Faktor, der bestimmt, ob ein trockener Riesling gut reift. Und es ist einer, auf den der Winzer keinen Einfluss hat. Klaus-Peter Keller erläutert ihn: «Ganz, ganz wichtig ist die gute Lagerung der Flasche. Bei einer kürzlich durchgeführten Degustation von einem 2011er Riesling eines bekannten Kollegen mit Flaschen aus fünf unterschiedlichen Quellen kamen Bewertungen von 90 bis 96 Punkten heraus. Und vielleicht noch interessanter: Keiner der Weinprofis kam auf die Idee, dass fünfmal der gleiche Wein im Glas war.»

Das Weingut Zilliken – Forstmeister Geltz in Saarburg erzeugt ebenfalls hervorragende trockene Weine, doch berühmt ist es für seine fruchtsüssen Rieslinge. Hanno Zilliken bewirtschaftet elf Hektar Weinberge, und seine Rieslinge schaffen etwas, das wie ein Zaubertrick wirkt: Sie sind schlank in der Jugend und werden mit den Jahren immer fülliger, legen geradezu Speck an –besonders die Weine seiner Spitzenlage. «Es ist eine Eigenart vom Saarburger Rausch, die sogenannten Frischekomponenten in aussergewöhnlicher Weise zu zeigen. Damit meine ich nicht nur die Säure, sondern auch ausgeprägte Schiefernoten, Minze, Kamille. Daher erscheinen selbst die Weine mit hoher und höchster Restsüsse nie übersüss.

Ausserdem sind die präzise Selektion und, ich bilde mir ein, der Ausbau in traditionellen Eichenholzfässern, also in 1000-Liter-Fudern, wichtig für die Langlebigkeit.» Da es nicht mehr viele gute gebrauchte Fässer am Markt gibt, hat Hanno Zilliken nun neue gekauft, die er mit Bedacht eingliedert. Seinen 2004ern hat der Ausbau im Fuder fraglos gutgetan – dabei war der Jahrgang gar keiner der ganz grossen. «Es war ein guter Jahrgang, der aber genau zwischen zwei noch grösseren stand, was die fruchtig-edelsüssen Weine betrifft.» Allerdings hat sich schon oft gezeigt, dass vermeintlich kleinere Jahrgänge mit der Reife die grössere Balance zeigen, und Balance ist auch das Stichwort für Hanno Zilliken, um Balance dreht sich seine Arbeit als Winzer. Um Balance beim Riesling. «Riesling ist eine ideale Rebsorte für die Reife, in den klassischen Gebieten wie Mosel, Saar und Ruwer im Besonderen. Wir haben zudem einen nassen Tropfsteinkeller, der ideal ist, um die Weine im Holz auszubauen, ohne die Nachteile wie Verdunstung und Oxidation in Kauf nehmen zu müssen.»

Bei Hanno Zilliken kommt vieles zusammen: herausragende Weinlagen, ein herausragender Keller und, wie bei Philipp Wittmann und Klaus-Peter Keller auch, ein herausragender Winzer, der im Jahr 2004 eine Spätlese gefüllt hat, die in der internen Klassifikation sogar noch über der in dieser Top Ten platzierten steht und doch in der Probe etwas weiter hinter landete. Hanno Zilliken wundert dies gar nicht. «Für diesen Wein wäre eine Probe 20 oder 30 Jahre nach der Lese spannend, jetzt, zehn Jahre danach, ist sie im Dornröschenschlaf.» Das sind die speziellen Dimensionen eines Spitzenwinzers von der Mosel und ihrer Nebenflüsse. Seine Spätlese war eine der wenigen, die höher als vor zehn Jahren bewertet wurde, wie auch die mineralisch-rassigen, stilvollen Naheweine von Dönnhoff und Emrich-Schönleber und die Klassiker von Fritz Haag und Willi Schäfer. Die Spitzenreiter sind drei Rieslinge, deren Winzer das Geheimnis der Reife fraglos gelüftet haben.

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