VINUM-PROFIPANEL Humagne Rouge und Cornalin
Bergler mit Charakter
Text: Eva Zwahlen, Fotos: Linda Pollari
Was sind sie wert, die roten Walliser Spezialitäten Humagne Rouge und Cornalin? Das VINUM-Profipanel verkostete 30 Weine und war verblüfft von der Qualität des oft unterschätzten Humagne Rouge, der mit ausdrucksvoller Frucht und viel Eleganz punktete. Beim Cornalin möchte man den Produzenten zu mehr Zurückhaltung raten. Die eigenständige Sorte braucht weder Holzexzess noch internationale Stilistik, um in der ersten Liga mitzuspielen.
Die verkosteten 30 Weine der Sorten Humagne Rouge und Cornalin stammten vorwiegend aus den schwierigen Jahrgängen 2013 und 2014. Gerade Letzterer mit seinem verregneten Sommer war ein klassischer Winzerjahrgang, in dem nur derjenige gute Qualitäten lesen konnte, der einen Rieseneffort in den Reben geleistet hatte. Bei derart spät reifenden Sorten wie unseren beiden autochthonen Berglern kann sich mangelnde phenolische Reife in trocknenden Tanninen und mangelnder Fülle manifestieren. Viele Produzenten hatten es aber geschafft, dank rigoroser Mengenbegrenzung und sorgfältiger Arbeit das Beste aus ihren Reben herauszuholen.
Ein Kritikpunkt ist der teilweise übertriebene Holzeinsatz. Warum sollte man diese authentischen, sympathisch «anderen» Rebsorten über den gleichen Kamm scheren wie alle anderen, nach internationalem Gusto konfektionierten Weine? Wenn ein Humagne Rouge oder ein Cornalin vo rallem nach Holzwürze schmeckt und womöglich im Gaumen noch mit einer publikumswirksamen Restsüsse aufwartet, gibt es für die Konsumenten keinen Grund, nicht zu einem preiswerteren Allerweltswein zu greifen. Nicht wenige Winzer scheinen sich der Gefahr bewusst zu sein und setzen auch in der Vinifikation auf Eigenständigkeit. Glücklicherweise!
Heute schwärmt jeder Weinliebhaber von den autochthonen Spezialitäten des Wallis, doch Mitte des 20. Jahrhunderts schien für Cornalin und Humagne Rouge das letzte Stündlein geschlagen zu haben. Sie waren zunehmend durch einfacher zu kultivierende, früher reifende Sorten wie Pinot Noir oder Gamay ersetzt worden, bis nur noch wenige kümmerliche Parzellen von ihnen übrig waren.
Im letzten Moment kam die Gegenbewegung, da einige visionäre und entschlossene Winzer das Potenzial dieser alten Sorten erkannten und sie vor dem Aussterben bewahrten. Ab 1980 erlebten Cornalin und Humagne Rouge wie die autochthonen weissen Walliser Spezialitäten eine wahre Renaissance und legten flächenmässig mächtig zu, auf heute 128,6 (Cornalin) beziehungsweise 135,2 Hektar (Humagne Rouge).
Der erste Rotwein überhaupt im damaligen Weissweinland Wallis war der Cornalin, zu jener Zeit Alter Landroter, Vieux Rouge oder Rouge du Pays genannt. Erstmals urkundlich erwähnt wurde er 1313 in einem Rebverzeichnis aus dem Val d’Anniviers. Er galt nicht nur als Alltagsgetränk und «Hauswein» der Bauern, sondern auch als Stärkungs- und Heilmittel. Der Sittener Bischof soll jeder Wöchnerin zwei Flaschen Cornalin aus seinem eigenen Rebberg geschenkt haben, so wird erzählt.
Der Landrote war und ist eine anspruchsvolle, äusserst kapriziöse Sorte, die beste Lagen und vor allem warme, trockene Sommer mit viel Sonne verlangt, damit sie voll ausreifen kann. Wenn alle Bedingungen stimmen, ergibt er sehr fruchtbetonte, tiefgründige und frische Weine von grosser Rasse, in der Jugend manchmal etwas ungestüm und voller Kraft, mit zunehmender Reife von wunderbarer Finesse. Oder wie der entzückte finnische Komponist Jean Sibelius bei seinem Besuch im Wallis meinte: «Weine, in denen die Fruchtbarkeit des Mittelmeerraums, aber auch der eisige Windhauch der Gletscher und der Geruch alpiner Erde liegt.»
Der Walliser Genetiker und Ampelograf José Vouillamoz sorgte 2003 mit seinen DNA-Analysen für eine Sensation, konnte er doch nachweisen, dass die Eltern des Walliser Urgesteins Alter Landroter aus dem Aostatal stammten: Der heutige Cornalin ist nämlich aus einer natürlichen Kreuzung zwischen Mayolet und Petit Rouge hervorgegangen, zwei Sorten, die im benachbarten Aostatal heimisch sind. Bei seiner Neulancierung, genauer 1972, wurde der Alte Landrote in Cornalin umgetauft – und startete so seine steile zweite Karriere unter neuem Namen.
Eine Namenswahl, die allerdings zu einiger Verwirrung führen sollte. Denn José Vouillamoz zeigte mit seinen Forschungen auch, dass der Cornalin (du Valais) keineswegs identisch ist mit dem im Aostatal angebauten Cornalin (d’Aosta). Allerdings ist er mit ihm verwandt, ja mehr noch: Er ist sein Vater, wie der Vaterschaftstest hieb und stichfest beweist. Zusammen mit einer unbekannten, vermutlich ausgestorbenen Sorte hat er den Cornalin d’Aosta gezeugt. Und dieses Kind unseres Walliser Cornalins wiederum gelangte irgendwann im Lauf der Jahrhunderte als Migrant ins Wallis, wurde hier heimisch – und nahm den Namen Humagne Rouge an. Ebenfalls keine glückliche Namenswahl, denn die Sorte Humagne Rouge hat genetisch keinerlei Verbindung zur weissbeerigen (und, wie Vouillamoz anmerkt, «echten») Humagne Blanche.
Erstmals erwähnt wurde die Sorte Humagne Rouge im Wallis erst um 1900, in einer handschriftlichen Rebsortenliste eines Chorherrn. Die zweite Erwähnung stammt aus dem Jahr 1945; damals kaufte ein gewisser Henri Bonvin aus Leytron einen Rebberg in Saillon mit alten, wurzelechten Humagne-Rouge-Reben. Danach erlitt die Humagne Rouge dasselbe Schicksal wie ihr Vater, der Alte Landrote alias Cornalin (du Valais): Sie drohte in Vergessenheit zu geraten, wurde im letzten Moment gerettet und erlebte ab den 1980er Jahren eine glanzvolle Renaissance.
Die Humagne Rouge, die ein wenig im Schatten ihres Vaters steht, ist eine robuste, aber wie der Cornalin spät reifende Rebsorte, die farbkräftige, dynamische Weine mit angenehm wilder, erdiger Aromatik und weichen Tanninen ergibt. Ein Wein, den man am besten auf dem Höhepunkt seiner Frucht geniesst.
Es waren die Humagne-Rouge-Weine, die beim Profipanel für die wohl grösste Überraschung sorgten. Die autochthone Spezialität löste bei der einen oder dem anderen in der Jury gar echte Begeisterungsstürme aus. Ihr facettenreiches Bouquet, ihre kraftvolle, aber elegante Art und ihre unwiderstehliche Finesse, die sie zu einem idealen Essensbegleiter machen, zeichnen sie aus.Und obwohl sie etwas im Schatten der wuchtigeren Cornalins stehen mögen, so sind es wohl eher die Humagne-Rouge-Flaschen, die zum Essen passen und während eines gemütlichen Abends geleert werden.
Resultat
Cave des Amandiers, Saillon, Humagne Rouge 2013
17 Punkte | 2016 bis 2022
Intensives, würziges Bouquet mit Noten von reifen Waldbeeren und einer Prise Pfeffer, im Gaumen kompakt, gut strukturiert und geprägt von feinkörnigen, sehr eleganten Tanninen sowie einer saftigen, Länge gebenden Säure. Beeindruckender, eigenständiger Wein aus einem Guss.
Preis ca. 27 Franken
Jean-Marie Pont, Murraz, Humagne Rouge 2014
17 Punkte | 2017 bis 2025
Vielschichtige, sehr sortentypische Nase, geprägt von kräuterwürzigen Aromen, Waldbeeren,Unterholz und floralen Nuancen. Weicher, langer Auftakt, am Gaumen rund, stoffig, mit saftiger Säure und strukturierenden Tanninen. Ein frischer, charaktervoller Wein, der noch etwas reifen muss.
Preis ca. 23 Franken
Leukersonne – Jörg & Damian Seewer, Susten, Humagne Rouge Leukersonne 2014
16.5 Punkte | 2016 bis 2020
Purpur. Sehr intensive, fruchtbetonte Nase mit Noten von Weichseln, blondem Tabak, Heu und einer Prise Pfeffer. Kräftig am Gaumen und mit einer lebhaften Säure versehen, welche die süsse, fast ein wenig kitschige Frucht gut ausbalanciert.
Preis ca. 25.90 Franken
Provins Valais, Sion, Humagne Rouge Maître de Chais Réserve Spéciale 2014
16 Punkte | 2017 bis 2025
Fein gezeichnete, fruchtige Nase mit eleganten floralen Noten (Veilchen), im Gaumen sehr frisch und gut strukturiert, noch etwas ungestüme, sympathisch rustikale Tannine, langer Ausklang. Ein schöner, authentischer Wein, der noch etwas Zeit benötigt.
Preis ca. 31.90 Franken
Nouveau Salquenen SA – Adrian & Diego Mathier, Salgesch, Humagne Rouge Ferdinand Mathier 2013
16 Punkte | 2018 bis 2026
Parfümiertes, noch deutlich vom Barrique-Ausbau geprägtes Bouquet; die Holznoten maskieren die Noten von Beeren-Confit, Rumtopf und Veilchen. Am Gaumen saftig, konzentriert und stoffig. Moderne Stilistik und mit Potenzial.
Preis ca. 28 Franken
Histoire d’Enfer, Corin-de-la-Crête, Humagne Rouge L’Enferde la Roche 2013
16 Punkte | 2017 bis 2024
Expressive, würzige Nase, Waldbeeren, Veilchen und edles Holz sowie balsamische Nuancen. Kraftvoll und langgliedrig am Gaumen, von fast cremiger Textur und getragen von präsenten, feinkörnigen Tanninen. Wein mit ausgeprägter Stilistik.
Preis ca. 52 Franken
Domaines Rouvinez, Sierre, Humagne Rouge Domaine Ardévaz 2014
16 Punkte | 2017 bis 2024
Noch etwas verhaltene, fast strenge, aber sortentypische und frische Nase. Auch im Gaumen steht die Aromatik noch etwas im Hintergrund; der Körper ist von mittlerer Fülle, doch mit saftiger Säure und (noch) leicht trocknenden Tanninen. Würzige Noten im Finale.
Preis ca. 24 Franken
Domaine des Muses, Sierre, Humagne Rouge Tradition 2013
16 Punkte | 2016 bis 2022
Sehr schöne, facettenreiche Nase von wildem Charme, mit Noten von Kräutern, Beeren und welken Blättern; weicher Auftakt, dann getragen von präsentem Tannin und saftiger Säure, mittlere Länge. Ein körperreicher, recht harmonischer Wein.
Preis ca. 32 Franken
Benoît Dorsaz, Fully, Humagne Rouge Quintessence 2013
16 Punkte | 2018 bis 2026
Jugendlich-kräftiges Rot. Intensives, noch etwas vom Holz dominiertes Bouquet mit Noten von süssen Gewürzen, schwarzer Beerenkonfitüre und Efeu. Der Gaumen zeigt sich stoffig, vollmundig, würzig und mit griffiger Säure. Braucht noch etwas Zeit und hat Potenzial.
Preis ca. 26 Franken
Provins Valais, Sion, Humagne Rouge Maître de Chais 2014
16 Punkte | 2016 bis 2020
Pfefferwürzige, fleischige, und auch etwas reduktive Nase mit animalischen und – nach Belüftung – schwarzbeerigen Noten. Stoffiger, dicht verwobener Gaumen von moderner Stilistik und mit viel Extraktwürze, aromatisch an Zwetschgenkompott erinnernd. Schöne Länge.
Preis ca. 27.90 Franken
Domaine des Muses, Sierre, Cornalin Tradition 2014
17.5 Punkte | 2016 bis 2023
Dezente, sehr komplexe Aromen von Zwetschgen, Brombeeren, schwarzen Kirschen sowie balsamischen Noten. Dicht gebauter, kraftvoller Körper, geschliffene, reife Tannine, straffe Säure und süsse Frucht. Schöne Länge. Ein wuchtiger Wein in modernem Stil und mit Potenzial.
Preis ca. 32 Franken
Maurice Zufferey, Sierre, Cornalin Rouge du Pays 2014
16.5 Punkte | 2017 bis 2028
Schöne, vielschichtige, doch auch noch etwas strenge Nase, würzig, mit Noten von schwarzen Früchten und schwarzem Pfeffer. Im Gaumen sehr gut strukturiert von edlen, reifen Tanninen, mit saftiger Säure, dicht und elegant. Ein Wein von grosser Finesse und Rasse!
Preis ca. 25 Franken
Anne-Catherine & Denis Mercier, Sierre, Cornalin 2013
16.5 Punkte |2018 bis 2028
Jugendliche, sehr diskrete und elegante Nase mit Anklängen von reifen schwarzen Beeren, Gewürzen und gut eingebundenem Holz. Sehr dicht, mit seidigen Tanninen und guter Säurestütze, charaktervoll und aus einem Guss. Ein komplexer, tiefgründiger Wein mit viel Potenzial.
Preis ca. 45 Franken
Domaine de L’Etat du Valais, Leytron, Cornalin Cave de Châteauneuf 2014
16.5 Punkte | 2016 bis 2024
Zurückhaltendes, schwarzbeeriges und würzigesBouquet mit einem Hauch von schwarzen Oliven. Weicher Auftakt, rund, von mittlerer Fülle und mit süssem Extrakt, ausbalanciert durch frische Säure. Etwas austrocknende Tannine. Wein in modernem Stil.
Preis ca. 20 Franken
Leukersonne – Jörg & Damian Seewer, Susten, Cornalin Leukersonne 2014
16.5 Punkte | 2016 bis 2022
Reintönige, würzige Nase, die noch etwas von Gäraromen geprägt ist, Zwetschgenkompott, Zimt- und Pfeffernoten. Am Gaumen weicher, süsser Auftakt, gefolgt von einem üppigen, fast cremigen Körper, kraftvoll und auf leicht bitteren Tanninen endend.
Preis ca. 25.90 Franken
Vitis Antiqua 1798, Leuk, Cornalin Vitis Antiqua 1798 2014
16 Punkte | 2016 bis 2023
Noch etwas verhaltenes Bouquet, geprägt von schwarzen Kirschen, sauren Drops und dezenten Holznoten. Weicher Auftakt im Gaumen, kräftig, elegant und auf Bittermandelnoten endend. Ein Gemeinschaftsprojekt von fünf Leuker Winzern.
Preis ca. 45 Franken
Gérald Besse, Martigny-Combe, Cornalin Domaine St.-Théodule Les Serpentines 2014
16 Punkte | 2018 bis 2028
Dezente, aber tiefgründige Noten von Brombeeren, Gewürzen und Kräutern. Dichter, kraftvoller Körper, getragen von noch sehr jugendlichen Tanninen. Ein Wein mit Potenzial, der etwas Zeit braucht, um sich voll zu entfalten.
Preis ca. 34.50 Franken
Nouveau Salquenen SA – Adrian & Diego Mathier, Salgesch, Cornalin du Valais AOC Adrian Mathier 2013
16 Punkte | 2016 bis 2022
Intensive, würzige Nase mit balsamischen Noten und edlen, aber etwas im Vordergrund stehenden Holzaromen. Der Gaumen ist geprägt von süssem Fruchtextrakt, runde Stilistik, die zugleich schmeichelnd und elegant ist.
Preis ca. 32 Franken
Cave des Amandiers, Saillon, Cornalin Combe d’Enfer 2013
16 Punkte | 2018 bis 2028
Zurückhaltende, überaus komplexe Nase, geprägt vom Holzausbau: Röstnoten, Pflaumenkompott, Veilchen, ein Hauch Bittermandeln. Im Gaumen saftiger, frischer Auftakt, fülliger Körper, präsentes, etwas trocknendes Tannin. Wein mit beträchtlichem Potenzial.
Preis ca. 50 Franken
Provins Valais, Sion, Cornalin Maître de Chais Réserve Speciale 2012
16 Punkte | 2016 bis 2023
Ein tiefgründiger Wein mit dezentem, nach Brombeer-Coulis, Pflaumenkompott und aromatischen Kräutern duftendem Bouquet. Geschmeidiger Auftakt, kraftvoll, dicht, getragen von leicht austrocknenden, aber eleganten Tanninen. Jugendlich und in moderner Stilistik.
Preis ca. 31.90 Franken