Griechischer Wein
Neuer Schwung durch alte Sorten
Text: Rudolf Knoll
Es ist zum Weinen! Eigentlich könnte Griechenland mit seinen Weinqualitäten international für positive Schlagzeilen sorgen, stünde nicht die Schuldenkrise im Mittelpunkt der Berichterstattung. Noch ist die Weinproduktion ein belebendes Element der griechischen Wirtschaft: Die Erzeuger zeigen sich innovativ und setzen auf erstklassige, alte Sorten.
Wer kennt die Zukunft Griechenlands?Am besten passt seit Monaten ein Spruch des Philosophen Sokrates (oder seines Schülers Platon), geäussert vor rund 2400 Jahren: «Ich weiss, dass ich nichts weiss.» Die Seherin Kassandra aus Troja fragen wir besser nicht, weil sie nur Unheil voraussagte. Für einen Ratschlag beim Orakel von Delphi hätten wir eine Ziege opfern müssen. Also läuten wir bei einem weisen Mann in der Weinszene an: «Lieber Dr. Georg Tsantalis, wie geht es mit Griechenland weiter?» Kurze Überlegung, dann die hoffnungsvolle Antwort: «Ich bin optimistisch, dass wir weiterhin zur EU gehören und darauf zusammen Wein trinken können.»
Der Chef der grossen, exportorientierten Kellerei auf Chalkidike berichtet, dass die Griechen zu Hause nicht auf Wein verzichten, aber auf preiswerte Bag-in-Box-Füllungen ausweichen. Er spricht von steigenden Exporten in die weite Welt, an denen auch etliche kleinere Betriebe mit erstklassigen Weinen beteiligt sind. Nur Deutschland, der wichtigste Abnehmer, macht Probleme. «Viele Deutsche glauben der Presse, die behauptet, wir Griechen würden sie nicht mehr schätzen. Das ist falsch, schadet aber vor allem unserem wichtigen Tourismus.»
«Wir verlangen schon mal Vorkasse»
Die Weinbranche steht noch auf recht stabilen Füssen, aber sie hat dafür bei ihren Abnehmern neue Regeln eingeführt. Tsantalis: «Wir verlangen schon mal Vorkasse. Denn nur so können wir Material kaufen oder Weinberge neu anlegen. Auf die Banken ist kein Verlass.» Derart logische, vernünftige Reaktionen vermisste man lange Zeit bei der griechischen Politik. Naheliegend deshalb die Frage, ob sich nicht Winzer politisch einmischen sollten. Einer hat sogar als Bürgermeister (seit Januar 2011) die 325 000-Einwohner-Stadt Thessaloniki wieder recht gut von Misswirtschaft und Korruption entschlackt, nämlich Yiannis Boutaris (73). «Er räumt in Griechenlands zweitgrösster Stadt auf – so gut es eben geht», stellte erst Ende April die «Neue Zürcher Zeitung» fest. Früher war er einer der Chefs und Weinmacher der traditionsreichen Kellerei Boutari, dann eigenständiger Winzer mit dem Spitzengut Kyr-Yianni in Makedonien, ehe er sich 2002 der Politik zuwandte und an die Söhne Stelios und Mihalis übergab (aber seinen Schreibtisch im Weingut in Naoussa behielt).
«Also, Georg Tsantalis: Winzer in die Politik?» Er lacht zunächst und meint dann: «Davon haben wir zu wenig Ahnung. Boutaris hat das Glück, ein parteiloser Bürgermeister zu sein, der schalten kann, wie er will. Nur so funktioniert das. Wir Weinerzeuger sollten uns dagegen unseren eigentlichen Aufgaben widmen.» Das tun sie durchaus ideenreich, zum Beispiel mit der Wiederbelebung fast ausgestorbener, vergessener Sorten, die eine gute Ergänzung zu den klassischen Varietäten Xynomavro, Agiorgitiko (rot) sowie Assyrtiko, Moschophilero, Vilana und Roditis (weiss) sind. Tsantalis war einer der Ersten, die das Potenzial solcher Reben erkannten und nutzten. In einem seiner Betriebe in Maronia (Thrakien) ist die alte Sorte Mavroudi, die herzhafte, saftige Rotweine liefert, dominant. Ein anderer prominenter Weinmacher gilt als «Vater des Malagousia». Evangelos Gerovassiliou, der einst in Bordeaux beim legendären Emile Peynaud Önologie studierte, entdeckte diese vergessene Sorte in einer Rebsammlung auf den Fluren seiner einstigen Wirkungsstätte Porto Carras, erkannte ihre Wertigkeit und kam schon als selbstständiger Winzer vor gut 20 Jahren mit einem in Barriques ausgebauten Wein auf den Markt, der Aufsehen erregte.
Inzwischen ist die Rebe, die elegante, feinaromatische Weine mit moderater Säure liefert, Aushängeschild in einer Reihe von Betrieben wie dem jungen Bio-Betrieb Kamara in der Nähe von Thessaloniki, Alpha in Makedonien, Vassilis Papagiannakos in Attika, Wine Art in Thrakien sowie bei Claudia Papayianni auf Chalkidike. Fans bezeichnen sie als «Quintessenz der modernen Renaissance des griechischen Weinbaus».
Biblinos – Herkunft unbekannt
Gerovassiliou, der in seinem Weingut in Epanomi bei Thessaloniki auch grossartige Rotweine von internationalen Sorten erzeugt, blieb fasziniert von unbekannten, alten Varietäten. Vor einigen Jahren entdeckte er mit seinem dortigen Partner Vassilis Tsaktsarlis an den Ausläufern des Berges Pangeon in Thrakien in einem verwilderten Weingarten eine unbekannte Rotweinsorte. Sie wurde im 1998 gegründeten, gemeinsamen Weingut Biblia Chora von Tsaktsarlis kultiviert. Die Herkunft der Rebe liess sich bei DNA Untersuchungen nicht eruieren. Man entschied sich für den Taufnamen Biblinos, weil es in der Antike in diesem Gebietden «Biblinos Oinos» (biblischen Wein) gab.
Erzeugt wird ein kraft- und temperamentvoller, vielleicht einen Tick zu alkoholischer Rotwein mit dem Duft von Sauerkirschen und Waldbeeren. Aktuell auf dem Markt sind die Jahrgänge 2010 und 2011. Spannende, sehr eigenständige Rotweine liefert auch eine Sorte, die auf der Insel Santorini früher für Süssweine genutzt wurde. Dann musste die Mavrotragano Hotelneubauten und der populären Inselsorte Assyrtiko weichen, ehe sich zwei Winzer unabhängig voneinander Ende der 90er Jahre mit ihr befassten und erstmals trockene Rotweine ausbauten.
Haridimos Hatzidakis war Kellermeister bei Boutaris und machte sich selbstständig, Paris Sigalas war Lehrer für Mathematik und begann 1991 auf Hobbybasis mit Wein. Sein Namensvetter aus der Mythologie löste einst den Trojanischen Krieg aus, unser Paris (Jahrgang 1947) stiftet dagegen Frieden mit seinen Weinen, wurde zum Star-Winzer und machte mit seinem Kollegen Hatzidakis den Mavrotragano (mavro = schwarz, tragano= knusprig) zumindest auf der Insel zum raren Kultwein. Ebenfalls einen schwarzen Vornamen hat die wiederentdeckte Rotweinsorte Mavrokoudara, die auf den Ionischen Inseln im Westen des griechischen Festlandes (unter anderem Korfu, Kephalonia) beheimatet ist, aber auch anderswo allmählich Fuss fasst. Die gehaltvollen Rotweine duften intensiv nach Sauerkirschen und Beeren und sind im Geschmack sehr muskulös. Das Weingut Avantis ist der wohl bekannteste Erzeuger, der es wagt, den Wein unfiltriert zu füllen und ihn erst nach einigen Jahren auf den Markt zu bringen. Der 1994 vom Wirtschaftswissenschaftler Apostolos Mountrichas aufgebaute 20-Hektar-Betrieb befindet sich auf der nach Kreta zweitgrössten griechischen Insel Euböaim Osten von Athen und hat auch Malagousia im Sortiment.
Fein, elegant, vielschichtig
Potenzial hat zweifellos die spät reifende Sorte Koniaros, die 1998 von Mitropoulos Nerantzi entdeckt und seinem Betrieb bei Pentapoli im hohen Norden nahe der Grenze zu Bulgarien einverleibt wurde. Die Reben stehen auf Vulkangestein und liefern Trauben, die nicht mit hohen Zuckergraden prunken und damit feine, elegante, vielschichtige Rotweine möglich machen, die durchaus eine Konkurrenz für die bekannte Nemea-Rebe Agiorgitiko darstellen könnten. Nur ist Nerantzi, der auch Malagousia ausbaut, bislang der einzige Erzeuger.
Eine vielseitige Sorte ist die in Thessalien wieder geschätzte Limniona (nicht zu verwechseln mit der bekannten Rotweinrebe Limnio). Aus ihr zaubert eine junge Winzerin, die das Handwerk in Bordeaux lernte, saftige Rosés in Partnerschaft mit Syrah und einen sehr geschmeidigen, bedeutenden Rotwein. Es verwundert nicht, dass Ioanna Tsililis, die Weinmacherin des Gutes Theopetra, auch mit Malagousia umgehen kann.
Kennern Griechenlands ist vielleicht der Name bekannt. Konstantinos Tsililis ist wohl Griechenlands bester Brenner, mit seinen Tsipouro (Trester) schlägt er teure Grappa und Marc aus dem Feld. Vor 20 Jahren begann er nebenbei mit Weinbau, einem Feld, auf dem er sich auf Ioanna verlassen kann.Die weisse Szene wurde nicht nur mit Malagousia bereichert. Auf Kreta wird die kaum verbreitete autochthone Sorte Vidiano allmählich zu einer Ergänzung der feinen Inselrebe Vilana. Die Brüder Lazaros und Apostolos Alexakis aus Peridi Metohi bei Heraklion können einen fülligen, fast cremig wirkenden, nach exotischer Frucht duftenden Wein vorweisen. Vielschichtig und feinwürzig ist der goldgelbe Vidiano der Diamantakis Winery aus Kato Asites, 20 Kilometer westlich von Heraklion.
Das im Jahr 2000 gegründete Weingut Zacharioudakis legt Vidiano ins neue Holz. Die Sorte verdaut den Einflussgut und liefert einen eleganten, cremigen Wein, auf den die Eigentümer, das Journalistenehepaar Stelios Zacharioudakis und Victoria Bipa, stolz sind. Die uralte, interessante Lagorthi-Rebe wurde in den 90er Jahren von Winzer Angelos Rouvalis aus Egion (Peloponnes) aus einem kleinen Erhaltungsbestand des Weininstituts in Athen herausgelöst, vermehrt und zu einem schlanken, säurebetonten, an steirischen Sauvignon Blanc erinnernden Wein ausgebaut. Da Rouvalis sein Weingut Oenoforos vor rund zehn Jahren an den Riesen Greek Wine Cellar (Kourtakis) verkaufte, wurde es etwas still um die hoffnungsvolle Rebe. Im Norden Griechenlands war bis in die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts die Weissweinrebe Preknadi gut verbreitet, ehe die Reblaus Appetit auf ihre Wurzeln bekam. Jetzt wird sie wieder neu kultiviert.
Ein ambitionierter Erzeuger ist das nur vier Hektar umfassende Weingut Diamantakos Nähe Naoussa. Der Wein duftet nach Zimt und Nelken, ist sehr geschmeidig, füllig und hat eine feste Struktur. Originell die Namensgebung: Die Beerenhaut weist in der Reifephase Flecken auf, die wie Sommersprossen (griechisch: Prekniaris) anmuten. Man darf gespannt sein, welche weiteren autochthonen Sorten in den nächsten Jahren wiederbelebt werden und welches Potenzial sie haben. Schliesslich wusste schon der römische Dichter Vergil (70 bis19 v. Chr.): «Es ist leichter, die Sandkörner an den Küsten Griechenlands zu zählen, als die zahlreichen Rebsorten des Landes zu nennen.»